Klimaanpassung in Kiel: Mehr Grün, weniger Neuversiegelung
Das Ziel ist ehrgeizig, die Fraktionen sind einig: Bis 2050 will Kiel die Neuversiegelung in der Stadt stoppen.
Lh Kiel/Kathrin Teichert
Kiel aus der Luft betrachtet: Die Stadt ist weniger versiegelt als viele andere Kommunen, doch darauf möchte sich die Ratsversammlung nicht ausruhen.
Städte spüren den Klimawandel besonders stark. Im Sommer wird es wegen der vielen versiegelten Flächen heißer als auf dem Land, und bei Starkregen kann das Wasser weniger gut versickern. Begrünte Flächen hingegen mildern den Temperaturanstieg und beugen Überschwemmungen vor, sie bieten Aufenthalts- und Naherholungsmöglichkeiten, vielfältige Lebensräume und können einen Beitrag zum Artenschutz leisten. Deshalb hat die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel in der Ratsversammlung am 19. September 2024 die Verwaltung beauftragt, eine ökologische Flächenstrategie zu erstellen. Es sei wichtig, „dass es möglichst wohnortnah im Stadtteil viele unversiegelte, begrünte Flächen gibt“, heißt es in dem von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) eingebrachten Antrag.
„Wichtig ist uns, dass die ökologische Flächenstrategie nicht in Konkurrenz zum Wohnungsbau und zur Stadtentwicklung steht“, betont Matthias Hüls, Sprecher für Umwelt- und Klimaschutzpolitik der SPD-Ratsfraktion. Außerdem fordern die Antragstellenden, dass kein neues Regelwerk aufgestellt wird. Stattdessen soll die ökologische Flächenstrategie in bestehende Regelwerke wie Flächennutzungs- und Landschaftspläne oder das Konzept Stadtgrün integriert werden. Zudem soll die Verwaltung ein Instrumentarium erarbeiten, das die Umsetzung und die Kontrolle der Maßnahmen ermöglicht. Hüls: „Ziel ist, die Inanspruchnahme neuer Flächen bis 2050 auf null zu reduzieren.“
Besser geht immer
Die Voraussetzungen für den Erfolg sind in Kiel verglichen mit anderen Städten in Deutschland vergleichsweise gut. Der Versiegelungsgrad beträgt 48 Prozent, mehr als 60 Prozent sind das in anderen Städten, so eine Untersuchung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungen aus dem vergangenen Jahr. Trotzdem gelte, so Hüls, auch für Kiel: „Besser geht immer.“ Der größte der Teil der Stadt liegt an der Förde, einer mit der Ostsee verbundenen Meeresbucht. Die Stadtteile Ravensberg und Düsternbrook befinden sich hingegen auf mehr als 40 Meter hohen Hügeln. Hüls: „Bei Starkregen kann es in einigen Straßenzügen dazu kommen, dass die Kanalisation das Wasser nicht aufnehmen kann.“ Ökologische Flächenstrategie hieße in diesem Fall, dass im Vorfeld auf den höher gelegenen Stellen Möglichkeiten geschaffen werden, wo das Wasser sich sammeln und versickern kann, so dass es die Kanalisation in den weiter unten gelegenen Stadtteilen nicht überlastet.
Weitere konkrete Maßnahmen der Strategie könnten sein:
- ein Flächenkataster als Entscheidungshilfe, das Auskunft gibt über die Flächenver- und entsiegelung, möglichst mit einer qualitativen Bewertung;
- die bestehenden Grünflächen ökologisch weiter aufwerten und die natürliche Biodiversität fördern;
- Grünflächen und Naturräume im ganzen Stadtgebiet schützen und ausbauen, auch um die Attraktivität von Quartieren zu steigern. Dazu gehört zum Beispiel die Nutzung von entsiegelten Flächen für Kleingärten, die Bereitstellung geeigneter quartiersnaher Grünflächen für Urban Gardening;
- den Flächenverbrauch für neue Wohn- und Gewerbeflächen verringern, indem in die Höhe gebaut, nachverdichtet, Quartiersparkhäuser errichtet werden;
- bei Baumaßnahmen Versickerungsmöglichkeit schaffen, geeignete Flächen wieder vernässen, öffentliche Flächen wo möglich entsiegeln und naturnah gestalten;
- besonders von Starkregen oder Hitzewellen gefährdete Bereiche der Stadt identifizieren, um dort besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Breiter Konsens
„Einfach wird das nicht, vor allem, weil Kiel dringend neuen Wohnraum braucht“, ist Matthias Hüls überzeugt. Im Fokus für den Wohnungsbau sind vor allem aufgelassene Industrie- und Gewerbeflächen in der Stadt. Dazu gehören das Gelände der ehemaligen Germania Werft (22,5 Hektar) sowie der ehemalige Posthof im Stadtteil Gaarden (4,5 Hektar) oder der Flugplatz des Marinegeschwaders 5 (85,5 Hektar) in Holtenau. Zum Teil sind solche Flächen jedoch erst nach umfangreicher Altlastensanierung nutzbar. Trotz all dieser Schwierigkeiten haben am Ende alle Fraktionen in der Ratsfraktion der ökologischen Flächenstrategie zugestimmt. Hüls nennt zwei Gründe für den Konsens: Zum einen haben die Fraktionsvorsitzenden sich vor der Abstimmung intensiv ausgetauscht. Zum anderen wurde von Anfang an darauf geachtet, keinen Widerspruch zwischen Stadtentwicklung und Wohnungsbau sowie Klimaanpassung und Stärkung von Grünflächen aufkommen zu lassen.
Dieser Text wurde zuerst in der Ausgabe Dezember 2024 von „vorwärts-kommunal” veröffentlicht.