Konzepte gegen Obdachlosigkeit: Die Straße ist kein Ort zum Leben
Wer eine Wohnung hat, ein Dach über dem Kopf, einen Mietvertrag, kann sich nicht vorstellen wie es ist, nicht einmal einen Ort zu haben, an man sich die Zähne putzen oder die Hände waschen kann. Zehntausenden Menschen in Deutschland geht es so. Sie sind obdachlos, haben keinen festen Wohnsitz und keine Unterkunft. Sie übernachten in Parks, Gärten, U-Bahn-Stationen und Hauseingängen.
„Ein Zuhause ist nicht alles, aber ohne ein Zuhause ist alles nichts“, sagt Alexander Hagener. Der Architekt baut Häuser für Obdachlose. Als Student kam er nach Wien. Der Anblick der Menschen, die ohne ein Dach über dem Kopf auf der Straße lebten, ging ihm nicht wieder aus dem Sinn.
Vorbild „Housing First“
Anlässlich der Ausstellung „Who's Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt” im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe diskutierten Expert*innen mit der Bundesbauministerin Klara Geywitz über das Thema. Geywitz berichtete von Helsinki, wo sie sich zuvor über das Programm „Housing First“ informiert hatte. „Seit den 1980er Jahren gibt es dort einen Konsens über alle Parteien hinweg, möglichst jedem Obdachlosen eine Wohnung anzubieten“, so Geywitz. Die Wohnungen werden von Stiftungen wie der „Y-Foundation“ gebaut oder gekauft und vermietet. Die Stiftung bietet zudem medizinische und psychologische Betreuung, Hilfe bei Behördengängen und Hospizplätze. Geywitz: „Menschen, die aus der Wohnungslosigkeit kommen, brauchen Kontinuität.“
Das bestätigte Rainer Schäfer, Vorstandsmitglied der Hamburger Behrens-Stiftung. Auch sie baut Wohnungen für Obdachlose und Menschen, die auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nur geringe Chancen auf ein Mietverhältnis haben. Auch sie arbeitet nach dem Konzept „Housing First“. Dabei wird obdach- oder wohnungslosen Menschen ohne Zwischenschritte als erstes eine eigene Wohnung mit einem langfristigen Mietvertrag angeboten. Sie können zudem soziale Beratung und Unterstützung in Anspruch nehmen, wann immer Bedarf danach besteht. Das kann auch noch nach Jahren der Fall sein, so Schäfer, denn diese Menschen haben oft kein soziales oder familiäres Netz haben, das sie auffangen kann.
Vorbild Wien?
Wie ist die Situation in Wien, der europäischen Stadt mit dem vorbildlichen sozialen Wohnungsbau, die Stadt, in der knapp die Hälfte der Menschen in kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen lebt? „Gefördertes Wohnen ist in Wien ein Mittelschichtprogramm“, erklärte Daniela Unterholzner, Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe „neunerhaus“ in Wien. Die Einkommensgrenze für den Bezug einer solchen Wohnung liege bei etwa 50.000 Euro Jahreseinkommen. Auch in Wien leben tausende Menschen auf der Straße.
Ähnlich ist es in Hamburg, der Stadt mit den meisten Obdachlosen in Deutschland. Etwa 19.000 sollen es sein. Im Gegensatz zu Wohnungslosen haben Obdachlose gar keine Unterkunft, übernachten im öffentlichen Raum wie Parks, Gärten oder U-Bahn-Stationen. Viele davon stammen aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Obwohl die Stadt in Sachen Wohnungsbau deutschlandweit Vorbild ist, gibt es etwa 13.000 Menschen, die vordringlich eine Wohnung suchen, weil sie in sehr beengten Verhältnissen leben, in sozialen Einrichtungen wie Frauenhäusern oder Einrichtungen der Jugendhilfe, oder weil sie eine barrierefreie Wohnung benötigen.
Bündnis für das Wohnen
2011 rief Hamburg das „Bündnis für das Wohnen“ ins Leben mit dem Ziel, jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen zu bauen, davon 3.000 geförderte. Auch im vergangenen Jahr habe Hamburg wieder 10.000 neue Wohnungen bewilligt, betonte Karin Pein, seit Dezember 2022 Senatorin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Allerdings wurde der Anteil von 3.000 geförderten Wohnungen, anders als in den Jahren zuvor, nicht erreicht. Deshalb hat die Hansestadt die Förderung für den öffentlichen Wohnungsbau deutlich erhöht.
Pein verwies auf das Sieben-Punkte-Programm zur Lösung der Wohnungslosigkeit in Hamburg. Dazu gehört unter anderem die Errichtung von Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende und das städtische Programm „Bindungsverlängerungen“. Weil eine Sozialbindung nach einigen Jahrzehnten ausläuft, kauft Hamburg weitere Jahre Sozialbindung hinzu. So bleiben die Mieten niedrig und die Wohnungen stehen für vordringlich wohnungssuchende Haushalte weiter zur Verfügung.
Vielschichtige Problemlage
Die Gründe für den Mangel an bezahlbaren Wohnungen sind vielschichtig. Zinsen und Baukosten sind stark gestiegen. Bauen wird immer teurer. Die Zuwanderung verschärft den Mangel zusätzlich. Abhilfe kommt vom Bund, der die Errichtung von 100.000 Sozialwohnungen jährlich fördert, so Ministerin Geywitz. Zudem gelte es, den Einbruch der Bauwirtschaft zu verhindern, mahnte Karen Pein. „Sie wieder hochzufahren würde Jahre dauern“, warnte die Senatorin. Die Stadt baue Schulen, Straßen, Brücken. Pein: „Hamburg ist ein verlässlicher Partner der Bauwirtschaft.“
Wichtig sei zudem der Schulterschluss zwischen Sozialem und Wohnen, ergänzte Daniela Unterholzner aus Wien. Grundsätzlich sei es einfacher, Wohnungslosigkeit zu verhindern, als für jemanden, der seine Wohnung verloren habe, eine neue zu finden. Auch die Stadtgestaltung ist gefragt: „Städte brauchen Orte, an denen man sich aufhalten kann, wenn man kein Geld hat“, sagte Geywitz und forderte: „Wir brauchen eine Debatte über das Menschenrecht auf Wohnen.“
Bis zum Jahr 2030 will die EU in den 27 Mitgliedsstaaten die Obdachlosigkeit abschaffen, das wurde 2021 in Lissabon beschlossen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Ausstellungs-Tipp
„Who's Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt” im Museum für Kunst & Gewerbe, Am Steintorplatz, 20099 Hamburg, ist noch bis zum 12.03.2023 zu sehen.