Mehr Chancen für Langzeitarbeitslose
Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist es ein großer Tag: Der Bundestag hat das Teilhabechancengesetz beschlossen. Warum es ihm wichtig ist, erklärte Heil am Mittwochmorgen noch einmal im ZDF: „Wir haben eine gute Lage am Arbeitsmarkt, aber wir haben einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit. Mit dem Gesetz, was wir heute machen, geben wir Menschen langfristige Perspektiven, die ganz lange draußen sind.“ SPD-Fraktionsvize Katja Mast spricht sogar von einer „Zeitenwende in der Sozialpolitik”.
Der Staat zahlt den Lohn
Der Kern des Gesetzes: Wenn Langzeitarbeitslose in eine Arbeitsstelle vermittelt werden, zahlt der Staat zunächst einen Teil des Gehaltes oder übernimmt sogar die kompletten Lohnkosten. Solche Fördermöglichkeiten gibt es zwar auch jetzt schon, doch sie sind an komplizierte Bedingungen geknüpft. Eine lautet zum Beispiel, dass zusätzlich zur Langzeitarbeitslosigkeit noch mehrere weitere „Vermittlungshemmnisse“ vorliegen müssen. Nun wird das Verfahren vereinfacht.
Hierzu wird ein neues Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eingeführt. Damit können Arbeitsverhältnisse von Menschen gefördert werden, die das 25. Lebensjahr überschritten haben. Voraussetzung: Die betroffene Person muss in mindestens sechs der vergangenen sieben Jahre Hartz IV-Leistungen bezogen haben und in diesem Zeitraum weitgehend erwerbslos gewesen sein.
Nimmt die Person ein neues Arbeitsverhältnis auf, zahlt der Staat künftig einen kräftigen Lohnkostenzuschuss. In den ersten zwei Jahren beträgt er sogar 100 Prozent – wobei der Tariflohn innerhalb der Firma als maßgeblich gilt. Danach schmilzt der Zuschuss pro Jahr um zehn Prozent ab. Die Förderdauer beträgt bis zu fünf Jahre. Während dieser Zeit werden die Betroffenen weiter vom Jobcenter betreut. Sie sollen auch Weiterbildungen oder betriebliche Praktika absolvieren können. Ziel ist es, dass sie nach Ablauf der fünf Jahre auch ohne Förderung am Arbeitsmarkt beschäftigt bleiben.
Ein weiterer Zuschuss – einfach und unbürokratisch
Mit dem Teilhabechancengesetz wird noch ein zweiter Lohnkostenzuschuss geschaffen. Von ihm profitieren Menschen, die seit zwei Jahren arbeitslos sind, und bei denen auch die Vermittlungsversuche des Jobcenters oder andere Eingliederungsleistungen bisher nicht gefruchtet haben. Für sie kann künftig ein Lohnkostenzuschuss von 75 Prozent im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr gezahlt werden. Das sei „für die Verwaltung einfach zu handhaben und auch für die Arbeitgeber transparent“, heißt es in der Erläuterung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf.
Für die neuen Leistungen plant der Bund bis 2022 zunächst Ausgaben von vier Milliarden Euro ein. Darüber hinaus sollen die Jobcenter auch Geld in das Programm stecken können, das sie einsparen, weil sie aufgrund der geförderten Jobs die Sozialleistungen für den Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen müssen.
Städte stehen hinter dem Teilhabechancengesetz
Der Deutsche Städtetag lobt das neue Gesetz. Langzeitarbeitslose könnten nun deutlich früher als bisher gefördert werden, sagt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. „Die Städte begrüßen außerdem, dass der Bund die neuen Arbeitsplätze für schwer zu vermittelnden Langzeitarbeitslose nun für die ersten zwei Jahre bis zum ortsüblichen Tariflohn fördern will. Dadurch wird es für tarifgebundene Unternehmen, Kommunen und Wohlfahrtsverbände nun deutlich attraktiver, auch geeignete Arbeitsplätze bereit zu stellen.“ Ursprünglich sollte nur der Mindestlohn vom Staat übernommen werden. Dieser Passus wurde jedoch im Verlauf der parlamentarischen Beratung geändert – auch auf Druck der Gewerkschaften.
Die Städte setzten sich seit Jahren für einen sozialen Arbeitsmarkt ein, betont Dedy. „Für viele schwer zu vermittelnde Langzeitarbeitslose ist eine öffentlich geförderte Beschäftigung der einzig gangbare Weg, wieder stärker am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Über Beschäftigung erfahren die Menschen Wertschätzung und ihre eigene und die Lebensqualität ihrer Familien verbessern sich.“
Landkreistag begrüßt das Votum des Bundestages
Der Präsident des Deutschen Landkreistages Reinhard Sager begrüßte ebenfalls, dass der Bundestag das Gesetz noch an einigen Stellen geändert hat. Eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik hänge entscheidend von Gestaltungsspielräumen für die handelnden Akteure vor Ort ab. Es sei gut, dass auch Personen über Lohnkostenzuschüsse gefördert werden können, die innerhalb der letzten sieben Jahre für sechs Jahre Leistungen der Jobcenter erhalten haben – im Ursprungsentwurf sollten es in acht Jahren sieben sein. „Das ist positiv, weil laut dem Entwurf der Regierung gedroht hätte, viele sehr arbeitsmarktferne Menschen zu vergessen. Das Instrument darf aber nicht schon konzeptionell scheitern“, so Sager.
Zudem seien auch Menschen, die etwa wegen Zeiten von Haft, befristetem Hilfebezug im SGB XII, Zeiten von Erwerbsminderungsrenten oder früheren Förderprogrammen keine Hartz IV-Leistungen erhalten haben, zumindest nicht generell von der Förderung ausgeschlossen. „Auch das ist ein guter Fortschritt, wobei von grundlegendem Interesse ist, den Personenkreis nicht zu eng zu wählen.“ Auch müsse den Jobcentern vor Ort die Möglichkeit gegeben werden, eigene Strategien zu entwickeln, betont Sager. Die Erfahrung habe nämlich gezeigt, dass die Jobcenter bei der Auswahl der zu fördernden Personen passgenau vorgehen und dabei auch die örtliche Arbeitsmarktlage sowie die Branchenstruktur berücksichtigen.
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Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.