Mit Cluster-Wohnungen gegen die Einsamkeit
Cluster-Wohnungen bieten Gemeinschaft und die Privatheit der eigenen vier Wände. Eine Baugenossenschaft in Hamburg wagt das Experiment und wandelt ihr Bürogebäude entsprechend um.
Bergedorf Bille
Visualisierung: So soll das Gebäude einmal aussehen.
Mit Freunden oder Bekannten unter einem Dach leben, möglicherweise sogar mit mehreren Generationen – der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hat dieses Ideal in seinen Büchern und Interviews immer wieder propagiert. Er hat dafür viel Zustimmung erhalten. Trotzdem hat sich das Wohnmodell in der Fläche nicht durchgesetzt. Nun gewinnt es angesichts steigender Mieten und Baupreise unter dem Begriff „Cluster-Wohnen“ an Attraktivität. Cluster-Wohnungen kombinieren beides: die Privatheit der eigenen vier Wände mit den Vorteilen einer Wohngemeinschaft.
Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf-Bille im Osten Hamburgs hat jetzt ein solches Projekt gestartet. Die Verwaltung ist in einen Neubau umgezogen. Seitdem gilt für das leerstehende ehemalige Verwaltungsgebäude: „Aus Büros werden Wohnungen“.
Privatsphäre und Gemeinschaftsräume
„Wir reden verstärkt über Einsamkeit. Die betrifft nicht nur alte Menschen, sondern auch junge“, sagt Rolf Below von der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille. Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte liegt mittlerweile bei mehr als 40 Prozent. Die Kehrseite der Individualisierung ist Vereinzelung. Hinzu kommt, dass Wohnraum in Ballungsräumen knapp ist und immer teurer wird.
Cluster-Wohnen schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Es ist nicht nur preiswerter. Es fördert auch die Gemeinschaft und den Austausch untereinander. „Alle haben eine eigene kleine Wohnung mit Kochnische und Bad, aber sie treten aus ihrer Wohnung nicht in einen Flur, sondern in Gemeinschaftsräume mit einem großen Wohnbereich und einer Gemeinschaftsküche. So wird der Wohnraum sinnvoller genutzt“, sagt Below. Beim Cluster-Wohnen zahlt jeder für die eigene Wohnung. Die Kosten für die Gemeinschaftsflächen teilen sich alle.
Neuer Ansatz für den Wohnungsmarkt
Die Baugenossenschaft mit ihren 23.000 Mitgliedern will mit dem Modellprojekt eine Alternative zum individuellen Wohnen bieten. Die Idee dazu kam aus der Mitte der Genossenschaft von einem Mitgliedervertreter. Das Wohnmodell könnte auch für etwas Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen, ist Below überzeugt.
Derzeit leben viele Ältere, deren Kinder ausgezogen sind, in großen Wohnungen. Below: „Sie scheuen sich umzuziehen, weil meist jede neue Wohnung teurer wäre als das, was sie haben. Hinzu kommt außerdem die Organisation des Umzugs und ein neues soziales Umfeld. Familien mit Kindern hingegen finden nichts oder nur zu viel zu hohen Preisen.“
Auch beim Umbau betritt die Genossenschaft Neuland. Es ist ihr erstes Cluster-Wohnprojekt. Das ursprüngliche Gebäude soll in seiner Form erhalten bleiben. So sind Energieaufwand und CO2-Fußabdruck erheblich geringer als bei einem Neubau.
Hamburg will gemeinschaftliches Wohnen unterstützen
Die Stadt Hamburg, zu der Bergedorf gehört, hat die Möglichkeit erkannt, mit der Umwandlung von Büros neuen Wohnraum zu schaffen. Baugrundstücke werden zunehmend rar. „Weil Teile der Belegschaft ganz oder zeitweilig im Home-Office arbeiten, nimmt der Leerstand von Büro- und Gewerbeflächen zu. Diese Flächen können für Wohnnutzungen umgewandelt werden, wodurch auch im Bestand Raum für gemeinschaftliche Wohnformen geschaffen wird“, sagt eine Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.
Dem Cluster-Wohnen räumt die Behörde besondere Chancen ein: „Bestehende großflächige Gewerbeeinheiten lassen sich in flexible, gemeinschaftlich genutzte Wohnstrukturen transformieren, die sich insbesondere für Gruppen oder kooperative Wohnformen eignen“, so die Sprecherin. Zudem verbindet Cluster-Wohnen innovative Wohnkonzepte mit sozialer Vernetzung, Ressourcenschonung und einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Dazu verringert die Stadt baurechtliche Hürden, zum Beispiel in Bezug auf Brandwände. Die Behörde gibt aber zu, dass die Umnutzung „baurechtlich anspruchsvoll“ ist. Schließlich geht es immer auch um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner.
Wer zieht ein?
Preiswerter als ein Neubau wird der Umbau vermutlich nicht, vermutet Below. Das hat Folgen für die Mieten. Im Bestand liegen sie im Durchschnitt bei um die 7,88 Euro pro Quadratmeter (netto kalt). Die Mieten im umgebauten Gebäude werden grob um die 14 Euro pro Quadratmeter (netto kalt) liegen. Für einen Teil der Wohnungen hat die Genossenschaft schon Mieter gefunden. Die Stiftung Das Rauhe Haus, die Menschen mit Assistenzbedarf unterstützt, will mehrere Cluster-Wohnungen anmieten. Die anderen Wohnungen sollen, so die Genossenschaft, ihren Mitgliedern angeboten werden.
Auf Informationsveranstaltungen und in ihrer Mitgliederzeitschrift „bei uns„ wirbt die Genossenschaft für ihr neues Projekt. In der Ausgabe vom Frühjahr 2025 bringt die Bewohnerin eines ähnlichen Projekts in Berlin es so auf den Punkt: Man müsse bei dieser Wohnform Gemeinschaft mögen, sei ihr aber durch die eigenen Räume nicht immer ausgesetzt. Sie Möglichkeit, andere im Gemeinschaftsraum treffen zu können, empfindet sie als „großartige Bereicherung“.