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Netzwerk will aus Leerstand „Gemeinwohl-Orte” machen

Wie können Kommunen leerstehende Gebäude wieder mit Leben füllen? Das neu gegründete Starke-Orte-Netzwerk sucht nach Antworten und unterstützt Kommunen dabei, neue Ansätze auszuprobieren. Mitgründerin Julia Paaß erklärt das Konzept.
von Carl-Friedrich Höck · 14. Juni 2024
Gründungsmitglieder des Netzwerkes Starke Orte während einer Inspirationsreise nach Gut Stolzenhagen

Viele Klein- und Mittelstädte leiden unter Leerstand. Das Starke-Orte-Netzwerk will neue Wege zu gehen, um den Leerstand zu entwickeln. Was ist Ihr Ansatz?

Unser Ansatz ist es, kommunale Leerstände zu „Gemeinwohl-Orten“ zu machen. Dabei geht es uns nicht um Wohnhäuser, sondern um die etwas größeren und komplexeren Gebäude, die nicht so einfach auf den Markt zu bringen sind. Das können Geschäftsgebäude sein, ehemalige Schulen, Bahnhöfe etc. Hier sollen multifunktionale Orte entstehen, die das in den Ort bringen, was gebraucht wird. Zum Beispiel soziale Infrastruktur, Kultur, Bildung, vielleicht auch Infrastruktur für Gesundheit oder Daseinsvorsorge. Bei diesem Prozess soll die Kommunalverwaltung die Gestaltungsmacht behalten.

Was leistet dabei das Netzwerk?

Wir wollen einen Beitrag leisten, solche Orte anders zu entwickeln als bisher. Häufig ist die Vorgehensweise: Die Kommune versucht das Gebäude zu verkaufen und damit den Leerstand vom Tisch zu kriegen. Das führt dann nachher manchmal zu Problemen, weil die Immobilie vom Käufer nicht weiterentwickelt wird, die Kommune aber keinen Einfluss mehr hat. Ein anderer Ansatz ist es, einen sozialen Träger zu finden, der zum Beispiel eine Kita oder Tagespflege ins Haus bringt. Da hat die Kommune schon mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn es aber darum geht, mehrere Funktionen im Gebäude unterzubringen und verschiedene Akteur*innen einzubinden, die ihre eigenen Ideen mitbringen – zum Beispiel Coworking Spaces, offene Kulturorte oder gemeinschaftliches Wohnen – dann braucht es neue Prozesse. Und es braucht den Willen, sich auf diesen Weg einzulassen und die Menschen mit ihren Ideen zu unterstützen.

Da gibt es noch große Wissenslücken. Hier will das Netzwerk ansetzen. Wir bringen Kommunalpolitiker*innen und Behördenmitarbeitende in Kontakt, die sich auf den Weg gemacht und erste Erfahrungen mit solchen Projekten gesammelt haben. Sie können sich gegenseitig Tipps geben. Und sie können kommunalen Vertreter*innen, die sich für solche Ansätze interessieren, zeigen: Das ist kein Nischending, wir sind keine Verrückten, sondern wir haben solche Projekte realisiert und sie laufen gut.

Wer sind die Gründer*innen des Netzwerkes und wie wird es finanziert?

Die Gründerinnen sind im Moment drei Kommunen und ein Landkreis: Angermünde und Herzberg in Brandenburg, Neukirchen im Erzgebirge und der Landkreis Wunsiedel im bayrischen Fichtelgebirge. Unterstützt werden sie vom Netzwerk Zukunftsorte, das ich mitgegründet habe. Das Netzwerk Zukunftsorte hat sich bisher damit befasst, Macher*innen von Wohn- und Arbeitsorten in ländlichen Gegenden zusammenzubringen. Nun wollen wir auch ein kommunales Netzwerk aufbauen. Wir werden dabei gefördert vom Bundesbauministerium und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Welche praktischen Erfahrungen konnten bisher gesammelt werden?

Alle Gründerkommunen sind in dem Bereich gemeinwohlorientierte Leerstandsentwicklung schon engagiert. Angermünde zeigt zum Beispiel mit dem „Haus mit Zukunft“, was es dem Ort bringt, wenn eine Kommune Freiraum vorhält und die Menschen einfach machen lässt. Hier sind ein Gründerzentrum und viele Angeobte für die Bürger*innen entstanden.

Was passiert dort genau?

Hier hatte es die Stadt mit einem leerstehenden Haus zu tun. Der Bürgermeister hat es nicht an einen Träger vergeben, sondern gesagt: Wir halten das frei und versuchen Leute zu gewinnen, die darin etwas entwickeln wollen. Daraufhin wurden Raumstipendien vergeben: Menschen mit guten Ideen konnten zu einem sehr geringen Entgelt die Räume nutzen und dort Projekte entwickeln. Jetzt gibt es dort zum Beispiel Angebote für Bewegung und Entspannung, Kunst und Handwerk (z.B. Weben, Spinnen, Glas und Keramik) Coaching und ein Stop-Motion-Studio. Auch mehrere Zukunftswerkstätten zum Thema Mobilität, Ernährung und Energie gibt es. Diese Angebote wären wahrscheinlich nicht in Angermünde entstanden, wenn es den Raum dafür nicht gegeben hätte. Ein anderes Beispiel: In Neukirchen wird ein leerstehendes Autohaus zu einem Gemeindezentrum entwickelt, wo Kulinarik eine große Rolle spielt.

Auch Großstädte haben mit Leerstand zu kämpfen. Wo sehen Sie einen Vorteil der kleinen Kommunen, was können sie besonders gut?

Die Wege sind hier kürzer und es sind nicht gleich unglaublich viele Menschen involviert. Wenn sich dann auch in der Verwaltung eine Haltung etabliert, dass Leute mit ihren neuen Ideen unterstützt werden, statt Gründe zu finden, warum Sachen nicht gehen, dann können Gründungsprojekte potenziell schneller umgesetzt werden als in Großstädten. Denn in der Kleinstadt ist der persönliche Kontakt einfacher. Man kriegt mit, was nebenan passiert. Verwaltung, Bürgermeister*in und Bewohner*innen können sich viel direkter Feedback geben.

Auf der anderen Seite gibt es in Klein- und Mittelstädten noch viel weniger Wissen darüber, mit welchen Mitteln und Werkzeugen man solche Prozesse durchführen kann. In Großstädten wie Frankfurt am Main wird schon viel mit Konzeptverfahren gearbeitet. Dort hat man auch das Geld und die Kapazitäten dafür. Kleine Kommunen sind damit überfrachtet, weil es weniger Verwaltungsmitarbeitende gibt. Da braucht es eher Hands-on-Konzepte. Unser Netzwerk setzt ganz bewusst hier an und will helfen, mehr gute Beispiele und pragmatische Ansätze auf den Weg zu bringen.

Das Netzwerk gründet sich gerade. Welche Schritte stehen jetzt an?

Im Vorfeld haben wir eine Social-Media-Kampagne gestartet und schon viele schöne Rückmeldungen bekommen. Ende Mai ist die Website online gegangen, auf der man sich umfassend über das Netzwerk und das Thema Leerstandsentwicklung informieren kann.

Gibt es Bedingungen für Kommunen, die in das Netzwerk aufgenommen werden wollen?

Zunächst ja, weil wir auf ein eher langsames und organisches Wachstum achten wollen. Die persönliche Komponente soll nicht verlorengehen. Im ersten Jahr ist uns wichtig, dass die Kommunen, die dazukommen, auch schon Erfahrungen in der alternativen Entwicklung von Leerstand mitbringen. Und es wäre gut, wenn sie ein konkretes Objekt haben, das sie entwickeln wollen, sodass wir nicht auf der theoretischen Ebene stehenbleiben. Und natürlich müssen die Verwaltungen offen dafür sein, ihre Erfahrungen zu teilen und Zeit in das Netzwerk zu investieren. Bekanntlich haben Bürgermeister*innen eher wenig Zeit, aber wir sehen das auch als eine Investition in die Entwicklung der Kommune.

Mehr Informationen über das Netzwerk finden sich im Netz unter
www.starke-orte.land

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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