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Nicht jedes Protestcamp ist von der Versammlungsfreiheit geschützt

Das Bundesverwaltungsgericht hat Beschränkungen des Protestcamps gegen den Hamburger G20-Gipfel gebilligt. Das Camp sei keine geschützte Versammlung gewesen. Ausschlaggebend war der Charakter des Lagers als Schlafstätte.

von Christian Rath · 28. November 2024
Zelte und Transparent

G20-Protestcamp im Jahr 2017 an der St. Johanniskirche in Hamburg

Das G20-Protestcamp im Sommer 2017 durfte verboten und beschränkt werden, denn es war keine vom Grundgesetz geschützte Versammlung. Dies stellte am Mittwochabend das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig fest. Die Übernachtungsmöglichkeiten hätten vor allem Menschen gedient, die Veranstaltungen außerhalb des Camps besuchen wollten.

Zum mehrtägigen G20-Gipfel in Hamburg wurden tausende Protestierende aus ganz Deutschland und Europa in der Hansestadt erwartet. Sie sollten in zwei großen Protestcamps unterkommen, diese wurden jedoch aus Angst vor Störungen verboten. Erst nach einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts billigte die Stadt am Rand des Volksparks Altona ein kleineres Camp mit maximal 300 Schlafzelten.

Komplexe und umstrittene Rechtsfrage

Die Veranstalter, darunter das globalisierungskritische Netzwerk Attac, erhoben 2018 Klage. Sie beantragten die Feststellung, dass die anfängliche Verhinderung des Camps und die spätere Beschränkung rechtswidrig waren. Das Camp unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich” sei eine geschützte Versammlung gewesen. Beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht in Hamburg hatten die Kläger jedoch keinen Erfolg. Jetzt musste in der Revision das Bundesverwaltungsgericht entscheiden.

Ob die Infrastruktur von Protestcamps – Schlafzelte, Küchen und Toiletten – von der Versammlungsfreiheit geschützt wird, ist in der Rechtswissenschaft schon lange umstritten. Auch das Bundesverfassungsgericht ließ dies 2017 in seiner Eilentscheidung ausdrücklich offen, weil die Frage so komplex sei.

Für eine erste Klärung sorgte 2020 das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil zum Klimacamp in Garzweiler. Damals entschieden die Richter: Ein Camp ist selbst als Versammlung geschützt, wenn es einen klaren Beitrag zur Meinungsbildung leistet, etwa gegen ein Vorhaben protestiert. Die zugehörige Infrastruktur ist vom Schutz mitumfasst, wenn sie „logistisch erforderlich” ist. Beim Klimacamp war dies der Fall, weil es im ländlichen Raum um Garzweiler keine ausreichenden Übernachtungsmöglichkeiten gab. Schon damals hielten die Leipziger Richter aber fest: Es genüge nicht, dass die Infrastruktur Menschen dient, die an Veranstaltungen außerhalb des Camps teilnehmen.

Zu viele Schlafzelte, zu wenig Programm

Diese Maßstäbe legte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg 2023 an, als es über das Protestcamp im Altonaer Stadtpark urteilte und dessen Versammlungs-Charakter verneinte. Die Zelte seien für die Durchführung des Protestcamps nicht erforderlich, es gebe in Hamburg „eine ausreichende Anzahl von bezahlbaren Unterkünften”. Das Programm des Camps sei zu dünn, um die geplanten bis zu 7.000 Teilnehmer einzubinden. Die vielen Schlafzelte dienten wohl eher der Beherbergung von Teilnehmern an anderen Gipfel-Protesten.

In Leipzig argumentierte die Attac-Anwältin Ulrike Donat, dass das gesamte Camp mit allen Zelten eine gemeinsame Botschaft hatte. „Das Camp sollte bezeugen, dass ein einfaches Leben möglich ist”, sagte Donat. In Veranstaltungszelten sollten die Themen des Gipfels und des Gegen-Gipfels diskutiert werden. Die Schlafzelte seien auch logistisch notwendig gewesen, denn während des Gipfels habe es in Hamburg keine bezahlbaren Unterkünfte mehr gegeben. Dass Camp-Bewohner auch zu anderen Veranstaltungen in der Innenstadt gehen, habe nicht verhindert werden können, erklärte Attac-Anwältin Donat, „man kann ja nicht einfach sagen: Du bleibst jetzt hier”.

Beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte Attac mit diesen Argumenten aber keine Chance. Denn schon das OVG hatte festgestellt, dass die Camp-Infrastruktur vor allem auf die Beherbergung von Menschen ausgerichtet war, die an anderen Protest-Veranstaltungen teilnehmen wollten. Und diese Feststellungen mussten in der Revision, wo es nur noch um Rechtsfragen geht, zugrundegelegt werden. Auf das Konzept des Protestcamps und die Hotelpreise während des Gipfels kam es daher gar nicht mehr an. Der Vorsitzende BVerwG-Richter Ingo Kraft betonte: „Bei gemischten Versammlungen kommt es auf das Gesamtgepräge an”. Wenn die Beherbergungs-Infrastuktur deutlich überwiege, liege keine Versammlung vor.

Anwältin Donat prüft nun eine Verfassungsbeschwerde. „Das Grundproblem ist, dass hier jede Protest-Veranstaltung getrennt betrachtet wird und nicht der gesamte G20-Protest gemeinsam”, sagte sie nach der Verhandlung.

Camps sind Teil der Protestkultur 

Auch abseits von Großereignissen wie dem G20-Gipfel kommt es immer wieder zu Protestcamps in deutschen Kommunen. Zum Beispiel schlugen im Jahr 2021 Klimaschützer*innen vor dem Bremer Rathaus ihre Zelte auf. Mehrere Monate lang protestierten sie damit auch gegen den Kapitalismus und für Feminismus. Die Senatsverwaltung versuchte, das dauerhafte Aufstellen von Zelten zu unterbinden, scheiterte damit jedoch vor dem Bremer Oberverwaltungsgericht. Dieses kam zu dem Schluss: Im konkreten Fall diene das Übernachten in Zelten nicht nur der organisatorischen Durchführung der Versammlung, sondern sei Teil der Meinungskundgabe. Ein Versammlungsthema lautete: „Die Klimakrise nicht verschlafen“.

Vor wenigen Tagen hat die Polizei ein Camp in einem Wald bei Grünheide (Brandenburg) aufgelöst. Dort hatten Aktivist*innen seit Februar gegen die nahegelegene Tesla-Fabrik protestiert. Offiziell handelte es sich nicht um eine Räumung, sondern um eine „Freimachung” aus Sicherheitsgründen, um das Gelände nach möglichen Munitionsresten durchsuchen zu können.

Auf der Insel Sylt haben Punks im Sommer 2024, wie schon in den beiden Vorjahren, ein Protestcamp errichtet (ndr.de). Nicht alle Inselbewohner*innen heißen das gut. Rund 1.700 Menschen haben eine „Petition gegen die Syltpunks” unterschrieben. 

 

(Die letzten drei Absätze hat die DEMO-Redaktion ergänzt.)

Autor*in
Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent für verschiedene Tageszeitungen, den vorwärts und die DEMO.

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