Remscheids OB zu Kassenkrediten: „Das schwebt wie Damoklesschwert über uns”
Burkhard Mast-Weisz (SPD) ist seit 2014 Oberbürgermeister von Remscheid. Die Stadt gehört dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte” an.
DEMO: Am Montag hat das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ in Berlin demonstriert. Was muss man über dieses Bündnis wissen?
Burkhard Mast-Weisz: Das Bündnis ist im Jahr 2009 entstanden und war zunächst eine Initiative einiger Städte im Ruhrgebiet und im Bergischen Land. Die Intention war und ist es, auf defizitäre Haushalte, hohe Kassenkredite und auf die völlig unzureichende Kommunalfinanz-Situation hinzuweisen. Mittlerweile sind wir 70 Städte aus insgesamt acht Bundesländern. Uns eint nach wie vor das gleiche Ziel: Eine gerechte Gemeindefinanzierung.
Wir schieben einen hohen Berg an Schulden vor uns her, die insbesondere dadurch entstanden sind, dass Bund und Länder Aufgaben an die Kommunen übertragen haben. Da geht es zum Beispiel um Kinderbetreuungskosten oder soziale Leistungen. Gegen die Leistungen habe ich nichts, sie sind wichtig für die Menschen. Die Finanzierung ist aber nicht geklärt. Wir fordern, dass Bund und Länder die tatsächlichen Kosten erstatten – wie jetzt beim künftigen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Dafür soll zwar Geld zur Verfügung gestellt werden, aber das reicht hinten und vorne nicht. Und wir fordern, dass eine Regelung für die Kommunalen Altschulden getroffen wird.
Ich will nicht verhehlen, dass wir auch schon das eine oder andere erreicht haben. Die Kommunen wurden bei den Kosten der Grundsicherung entlastet. Und der Bund übernimmt einen höheren Anteil an den Kosten der Unterkunft im Bereich des Hartz-IV-Gesetzes.
Sie sind Oberbürgermeister von Remscheid. Welche Auswirkungen haben die Geldprobleme auf die Stadt?
In den letzten Jahren haben wir massive Sparprogramme gefahren. In Remscheid bin ich seit 20 Jahren Wahlbeamter, davon sieben Jahre als OB. Wir haben eine Haushaltskonsolidierung nach der anderen hinter uns. Wir haben Personal abgebaut, wir haben uns liebe Leistungen eingestellt.
Sorgen machen mir auch die hohen Kredite. Wir haben derzeit eine Inflationsrate jenseits der vier Prozent. Wenn bei uns in Remscheid die Zinsen um ein Prozent ansteigen, dann haben wir sechs Millionen Euro mehr Kosten an Zinsen für Kassenkredite, die bei uns über 600 Millionen ausmachen. Das schwebt wie ein Damoklesschwert über uns.
Durch Corona haben wir außerdem massive Gewerbesteuer- und Einkommenssteuerausfälle. Gleichzeitig sind die Kosten in vielen Bereichen gestiegen. Bei uns vor Ort haben wir einen riesigen Investitionsstau, etwa bei der Unterhaltung der Straßen und Gebäude. Wir konnten jahrelang nicht investieren und mussten Personal abbauen. Jetzt gibt es viele neue Förderprogramme, aber erstens verlangen die Ministerien meistens einen Eigenanteil und zweitens kann ich daraus kein Personal finanzieren. Das fehlt jetzt, damit wir alles umsetzen können, was wir nachzuarbeiten haben.
Welche Folgen haben die kommunalen Finanzprobleme für die Gesellschaft?
Unsere Verfassung garantiert die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen. Doch in der Praxis gibt es ein großes Ungleichgewicht. Da gilt der Satz: „Sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir, welche Gebühren du bezahlst.“ Das betrifft etwa die Grundsteuer B, die Gewerbesteuer oder Kindergartenbeiträge. Gerade Industriestädte, die im Strukturwandel sind, erleben das sehr massiv – ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als die Gebühren hochzusetzen. Wir haben Städte mit einer Gewerbesteuer, die mit einem Hebesatz von 250 Punkten arbeiten, und es gibt Städte wie wir, die sind bei 490 oder 520 Punkten. Bei der Grundsteuer B reichen die Hebesätze von unter 400 bis hin zu fast 800 Punkten. Die Menschen in den Städten werden also ganz unterschiedlich belastet. Und das kann es nicht sein!
Es gibt schon eine Konkurrenz unter den Kommunen. Eine Stadt in Nordrhein-Westfalen hat Unternehmen aus anderen Städten mit hohen Gewerbesteuersätzen angeschrieben und gesagt: Kommt zu uns! Sowas nenne ich Wirtschaftskannibalismus. Bei Kita-Gebühren oder Grundsteuer läuft es ähnlich.
Auf all diese Probleme hat das Bündnis jetzt mit einer Aktion in Berlin aufmerksam gemacht. Wie lief das ab?
Es sind Vertreterinnen und Vertreter aus vielen Städten – vor allem in NRW und Rheinland-Pfalz – nach Berlin gekommen. Unser Ziel war es, parallel zu den Sondierungsgesprächen gegenüber den demokratischen Parteien deutlich zu machen, was unsere Forderungen sind. Die haben ich eben genannt – eine gerechtere Finanzverteilung, die Lösung des Altschuldenproblems und die Ermöglichung von Investitionen.
Wir haben eine Karnevalswagen bauen lassen. Damit sind wir vor die Parteizentralen gezogen und haben dort mit Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Parteien und Fraktionen gesprochen. Das war zum Beispiel bei der CDU der kommunalpolitische Sprecher, bei der SPD der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bei der Linken die Parteivorsitzende.
Unsere Botschaften haben wir ihnen in Form von Steinplatten überreicht – also wortwörtlich in Stein gemeißelt. Dabei haben wir auf die jeweiligen Wahlprogramme angespielt. Der CDU haben wir gesagt: Sicherheit braucht handlungsfähige Kommunen. Der SPD: Ein soziales Land gibt es nur mit handlungsfähigen Kommunen. Der FDP: Niedrige Gewerbesteuern gibt es nur mit handlungsfähigen Kommunen. Die Linken und Grünen haben wir daran erinnert, dass auch Gerechtigkeit und Klimaschutz starke Städte und Gemeinden voraussetzen.
Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?
Wenn ich nur die Reaktionen der fünf Gesprächspartnerinnen und -partner zum Maßstab nehmen würde, könnte ich sagen: wunderbar! Alle fünf haben verstanden und gesagt: Ja, wir müssen etwas tun.
Jetzt wird es darauf ankommen dranzubleiben, damit die Zusagen in Koalitionsgesprächen auch umgesetzt werden. Wir haben bewusst alle fünf Parteien angesprochen und nicht nur die Koalitionspartner einer möglichen Ampel. Denn es könnte Entscheidungen geben, die das Grundgesetz betreffen. Da brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit. Bund und Länder stehen in der Verantwortung, für eine gerechte Finanzierung der Kommunen zu sorgen, so wie es auch die Verfassung vorsieht.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.