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Reutlingen ist ÖPNV-Modellstadt

Mit mehreren Maßnahmen macht die Stadt Reutlingen als ÖPNV-Modellstadt des Bundes auf sich aufmerksam: Am 9. September wird ein neues, deutlich erweitertes Stadtbusnetz eingeführt. Zu einem Interview im Reutlinger Rathaus trafen sich Stefan Dvorak, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Vermessung, Mark Hogenmüller, Geschäftsführer und Betriebsleiter der Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV), und die DEMO.
von Julian Krischan · 20. Juli 2019
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Wie kam es zur Auswahl von Reutlingen als ÖPNV-Modellstadt des Bundes?

Stefan Dvorak (lacht): Was haben denn die in Mannheim gesagt? Es kam tatsächlich sehr überraschend. Aber Spaß beiseite: Wir haben uns sehr gefreut, dass wir mit unseren Maßnahmen den Bund überzeugen konnten. Wir machen nicht nur solitär Tarifmaßnahmen, sondern verbinden diese mit einer starken Angebotsausweitung.

Am 9.9. wird das neue Stadtbusnetz an den Start gehen. Wie laufen die Vorbereitungen? 44 Prozent an zusätzlichen Fahrplankilometern sind nicht gerade wenig.

Mark Hogenmüller: Nach aktuellem Planungsstand sind es sogar noch ein paar Prozent mehr. Bei uns bei der RSV laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Wir investieren 5,5 Mio. Euro in zusätzliche Fahrzeuge und stellen neues Personal ein. In den Sommerferien können wir uns intensiv um die Lieferungen der zusätzlichen Fahrzeuge und die Ausbildung der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern.

Auf der neuen ÖPNV-Achse in der Gartenstraße wird kräftig gebaut.

Stefan Dvorak: Nicht nur dort. Im gesamten Stadtgebiet investieren wir über 3,2 Mio. Euro in bauliche Maßnahmen, vor allem für neue Haltestellen. Sie haben aber Recht: Die Gartenstraße als neue ÖPNV-Achse ist der zentrale Bereich. Früher war das eine zweispurige Einbahnstraße mit nochmal zwei Parkstreifen neben der Fahrbahn. Die beiden Parkstreifen entfallen, eine der beiden Fahrspuren wird zur Busspur in Gegenrichtung umgewandelt. Schon die jetzige Komplettsperrung sendet Autofahrern das Signal, sich anderes zu orientieren. In der Rush Hour kommt man mit dem Auto kaum mehr flüssig durch Reutlingen. Zwölf Buslinien werden in Zukunft den Verkehrsfluss in der Gartenstraße verlangsamen. Fußgänger und Radfahrer bekommen mehr Raum, auf der einen Seite entsteht eine Allee.

Stieß man mit dem bisherigen Stadtbusnetz an Kapazitätsgrenzen?

Mark Hogenmüller: Es kam in den Hauptverkehrszeiten vor, dass wir zusätzlich E-Wagen einsetzen mussten.

Stefan Dvorak: Das bisherige Stadtbusnetz basierte auf einem „Rendez-vous“-Prinzip am zentralen und großflächigen Busbahnhof Stadtmitte. Dieser erschließt für Fußgänger nur einen Teil der Innenstadt optimal. Nach 25 Jahren lässt sich sagen, dass die Stadt diesem Konzept entwachsen ist. Das neue Netz bietet umsteigefreie Tangentiallinien ohne längere Standzeiten und ohne Buskohorten auf den Zulaufstrecken zum „Rendez-vous“. Allein so können an manchen Stellen Takte halbiert werden. Darüber hinaus umfasst das neue Konzept zehn zusätzliche Linien, insgesamt bessere Takte und ca. 100 neue Haltestellen. Vor allem neue Quartiersbuslinien sorgen für bessere und wohnortnahe Anbindungen an den ÖPNV.

Ist es ein Risiko, das man mit dem stark erweiterten Netz eingeht? Hat man zuvor Prognosen angestellt?

Stefan Dvorak: Bei dem Konzept wurden wir durch das Büro plan:mobil in Kassel umfangreich unterstützt. Wir sehen im neuen Netz ein großes Potenzial.

Wie läuft das Angebot eines 365-Euro-Jahrestickets seit Jahresbeginn?

Stefan Dvorak: Nach Berechnungen des naldo konnten in den ersten Monaten ca. 900 neue Abonnementkunden gewonnen werden. Hier machen wir ein günstiges Angebot für alle, die sich dauerhaft zum ÖPNV bekennen.

Gibt es Überlegungen, was nach dem Ende der Modellstadt-Förderung geschehen soll?

Stefan Dvorak: Momentan werden wir durch den Bund finanziell stark unterstützt. Durch den Verkehrsentwicklungsplan, die Direktvergabe an die RSV und eine entsprechende Mittelausstattung im Haushalt haben wir vom Gemeinderat ein klares Bekenntnis zum neuen Stadtbusnetz. Wie es mit dem 365-Euro-Jahresticket weitergehen wird, müssen wir sehen. Optimal ist es, wenn sich der kompensierte Anteil der Ermäßigung durch neue Abonnements refinanziert.

War es auch ein Kriterium, das neue Stadtbusnetz mit dem Schienenpersonennahverkehr zu verknüpfen? Das Land führt Metropolexpresszüge ein, die auch auf der Strecke nach Reutlingen fahren werden.

Stefan Dvorak: Diese Verknüpfung haben wir von uns aus berücksichtigt. Wenn die Metropolexpresszüge kommen, haben wir zwischen Reutlingen und Stuttgart einen Halbstundentakt und nicht mehr eine schwer merkbare 60-/15-/45-Minuten-Alternierung. Wir sagen aber: Was das Land da macht, reicht uns nicht. Auf der zentralen Schienenachse zwischen Reutlingen und Tübingen sollten wir tagsüber einen 15-Minuten-Takt haben. Aus diesem Grund planen wir ab Dezember 2022 die Einführung einer Regionalstadtbahn zwischen Tübingen und Bad Urach. Mehrere Stadtbuslinien halten im neuen Netz an zwei Stellen, an den wir möchten, dass dort Haltepunkte für diese Stadtbahn gebaut werden. Für das städtische Gebiet in Reutlingen planen wir außerdem, eine Bahntrasse als weiteren Streckenast für diese Stadtbahn zu reaktivieren. Wenn alles klappt, kann dieses Projekt im Dezember 2025 in Betrieb gehen.

Welchen Stellenwert spielen alternative Antriebe beim neuen Stadtbusnetz?

Mark Hogenmüller: Für den Fahrgast ist es wichtig, dass ein Bus kommt, wenn er auf dem Fahrplan steht. Unser Ziel bei der RSV ist es, im Jahr 2030 weitgehend elektrisch unterwegs zu sein. Hier gehen wir Schritt für Schritt vor. Einen Probebetrieb starten wir auf der Linie 7. Diese ist eine der Durchmessermesserlinien, sie führt - für den Fall der Fälle - an unserem Betriebshof vorbei.

Vielen Dank für das Interview.


 

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Julian Krischan

hat ein Masterstudium in Kommunikationswissenschaft absolviert. Er lebt in Berlin und arbeitet als Journalist und Moderator.

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