Ringen um Erhalt von Karstadt-Kaufhof
Der Warenhauskonzern „Galeria Karstadt Kaufhof“ plant massenhafte Filialschließungen. Die Gewerkschaft Verdi hat nach tagelangen Verhandlungen mitgeteilt, dass 62 von 172 Filialen vor dem Aus stehen. Es seien enorm schwierige, viertägige Verhandlungen gewesen, hieß es. Betroffen sind Filialen in 47 Städten. „Die vom Unternehmen geplanten 80 Filialschließungen wurden auf maximal 62 reduziert“, teilte Verdi mit. Doch Verdi räumt ein, dass diese „unternehmerische Entscheidung“ die rund 6.000 Beschäftigten und ihre Familien hart treffe. Außerdem will auch „Karstadt Sports“ 20 Filialen dicht machen.
Neuer Tarifvertrag und Transfergesellschaft
Die Einigung enthält mehrere Elemente: Für Abfindungen bei Entlassungen finden die von den Betriebsräten ausgehandelten Sozialpläne Anwendung, so Verdi. Die von Filialschließungen Betroffenen werden zudem auf ihren Wunsch für mindestens sechs Monate in eine Transfergesellschaft zur Beschäftigung und Qualifizierung überführt. Verhandlungsführer Orhan Akman sagte: „Für die Schließungsfilialen und die betroffenen Kolleginnen und Kollegen ist es eine bittere Stunde. Deshalb ist die tarifvertragliche Regelung zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft in einer Transfergesellschaft ein wichtiger Punkt der Vereinbarungen.“
Künftig sollen die verbleibenden Beschäftigten ein stärkeres Mitspracherecht zur „Zukunftsgestaltung der Warenhäuser“ bekommen, darüber hinaus wurden „Maßnahmen zu guter Arbeit“ beschlossen. Das wurde in einem neuen Tarifvertrag vereinbart.
Städtetag: „Tiefer Einschnitt“
Für die betroffenen Städte sei dies ein tiefer Einschnitt, sagt Markus Lewe, der Präsident des Deutschen Städtetags. Sie stünden vor einer Herausforderung: „Wenn Filialen leer stehen, kann das gesamte Umfeld schnell an Attraktivität verlieren. Das muss verhindert werden. Wo Karstadt Kaufhof seine Häuser nicht weiterführen wird, werden die Städte gemeinsam mit anderen Akteuren nach einer standortspezifischen Nachnutzung der Gewerbeimmobilien suchen.“
Lewe verbreitet aber auch vorsichtigen Optimismus: Die Städte seien seit Jahren sehr engagiert und vielfach erfolgreich dabei, mit guten Ideen und neuen zukunftsfähigen Konzepten Innenstädte und Stadtteilzentren für die Bevölkerung vor Ort und für Besucher attraktiv zu halten.
Auswirkungen auf Innenstädte
Die jetzt beschlossenen Schließungen kommen in der Corona-Krise, die weite Teile des Handelswirtschaftlich hart getroffen hat. Das räumte auch Verdi-Chef Frank Werneke in einer Botschaft an die Beschäftigten der Galeria Karstadt Kaufhof Ende Mai ein, aber er warf der Unternehmensführung auch vor „die Situation auszunutzen um lange gehegte Pläne zur Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Stellenstreichungen durchzusetzen“. Bereits Ende 2019 war in zähen Verhandlungen eine Vereinbarung zum Erhalt der Standorte getroffen worden. Dafür hatten die Beschäftigten im Gegenzug auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichtet.
Auch Stefanie Nutzenberger, im Verdi-Vorstand zuständig für Handel, übte harsche Kritik, als die Pläne des Managements bekannt wurden: „Das ist brutal! Es hat den Anschein, dass die Unternehmensleitung und der Eigentümer die Corona-Krise missbrauchen, um ihre ursprünglichen Planungen von Standortschließungen und Entlassungen doch noch umzusetzen.“
Darüber hinaus befürchtet sie mittelfristig Auswirkungen auf zehntausende Beschäftigte in den betroffenen Innenstädten und auf die Attraktivität der Städte selbst. Denn die Warenhäuser in den Städten sind Ankerstandorte. Sie sind der Schlüssel für Frequenz und für die Ansiedlung von weiteren Einzelhandelsbetrieben", sagte Nutzenberger. In Berlin sind gleich sechs Filialen von der Schließung betroffen, in Hamburg vier, drei Filialen trifft es in München, in Dortmund, Düsseldorf, Essen und Nürnberg zwei. Diese Zahlen betreffen „Galeria Karstadt Kaufhof“.
Politik kämpft um Standorte
Vor Ort sucht beginnt nun die Suche nach Wegen, um mit der Situation umzugehen. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, kündigte auf Twitter an, dass der Senat sich für den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze und den Warenhausstandort Berlin einsetzen werde. Die angekündigte Schließung sei „ein schwerer Schlag“ vor allem für die Beschäftigten – aber auch aber auch für die Kieze. „Die Filialen sind von zentraler Bedeutung für die Nahversorgung und sind oftmals Lebensmittelpunkt der Stadtquartiere“.
Der Dortmunder Oberbürgermeister Ulli Sierau (SPD) hat nach der Schock-Nachricht für Montag Abend zu einem Krisentreffen mit Vertretern von Handel, Gewerkschaften und Immobilienbesitzern geladen, wie der WDR berichtete. Im ersten Schritt solle es darum gehen, wie Karstadt und Kaufhof in der Stadt gehalten werden und möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden können. Essens OB Thomas Kufen bedauert die Entscheidung und „hält sie für falsch“, wie er auf Facebook schreibt. Kufen und die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft hätten in den letzten Tagen und Wochen intensive Gespräche geführt und den Prozess begleitet. Auch Münchnes OB Dieter Reiter kündigte Gespräche der Stadtspitze mit Verantwortlichen an, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.
Der sozialdemokratische Oberbürgermeister Potsdams, Mike Schubert, hat sich am Montag mit Vertretern des Einzelhandelsverbandes Berlin-Brandenburg und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam zu ersten Beratungen getroffen. Es sei schon einmal gelungen, die Brandenburger Straße wieder nach vorne zu bringen. Dort befindet sich die betroffene Karstadt-Filiale, die Schubert als „Magnet der Innenstadt“ bezeichnet. Sie habe zuletzt wachsende Umsatzzahlen gehabt und eine langfristige Standortgarantie. „Die Brandenburger Straße bleibt die stärkste Einkaufsstraße Brandenburgs. Die Landeshauptstadt wird dazu ihren Beitrag leisten“, kündigte Schubert an. Man investiere jetzt schon insgesamt 2,5 Millionen Euro in die Brandenburger Straße, um sie attraktiver zu gestalten. „Unser Ziel wird es nun sein, mit dem Eigentümer zusammenzukommen und alle Möglichkeiten, die es gibt, das Haus zu erhalten, auszuloten“, so Schubert weiter.
Auch Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König will nichts kampflos aufgeben: Er und sein Wirtschaftsreferent Dr. Michael Fraas sehen sowohl Galeria Karstadt Kaufhof, als auch die Eigentümer der Immobilien, in denen die Filialen eingemietet sind, in der Pflicht: „Die Beschäftigten brauchen eine Perspektive. Hier steht die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH in einer besonderen Verantwortung, denn die Belegschaft hat im Sinne der Sanierungsbemühungen in den letzten zehn Jahren auf Geld verzichtet.“ Weil auch die Weigerung der Immobilieneigentümer, einen Mietnachlass zu gewähren, einer der Gründe für die angekündigte Schließung sein soll, betont König laut einer Mitteilung: „Es muss doch auch im Interesse der Vermieter der beiden Immobilien sein, gerade in diesen Zeiten überhaupt Mieter zu haben. Er kündigte an, auf die beiden Immobilieneigentümer zugehen zu wollen.
Attraktivität weiter verbessern
Parallel macht man sich – nicht nur in Potsdam – darüber Gedanken, wie die Attraktivität der Innenstadt weiter verbessert werden kann, welche Potenziale noch zu stärken sind. Die Stadt Recklinghausen, wo ein ehemaliges Karstadt-Gebäude lange leer stand, hat die Kurve schon gekriegt: Ein „MarktQuartier“ mit mehr Gastronomie, Kindertagesstätte, Wohnungen, Einzelhandel soll neues Leben in die Stadt bringen. Mit den Umbauarbeiten wurde Anfang 2020 bereits begonnen.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.