So wird die Schwammstadt in Deutschland Realität
Städte müssen sich auf zunehmenden Starkregen und Dürre einstellen. Das tun sie, indem Kommunen Schwammstadt-Konzepte gezielt fördern. Einblicke die aktuelle Entwicklung gab es nun auf einer Veranstaltung der Baubranche.
IMAGO / Westend61
Ein Beispiel für Schwammstadt und Dachbegrünung: Der Grüne Bunker im Hamburger Stadtteil St. Pauli.
Vor einigen Jahren galt die sogenannte Schwammstadt noch als Zukunftsvision. Mittlerweile arbeiten viele Kommunen daran, dass dieses Konzept Stück für Stück umgesetzt wird. Beispiele wurden am Mittwoch auf einer Informationsveranstaltung der Baubranche in Berlin vorgestellt.
Die Idee der Schwammstadt basiert darauf, dass Regenwasser nicht einfach abfließen soll, sondern Städte es wie ein Schwamm zwischenspeichern. Zum Beispiel mithilfe von Parks und Mulden, begrünten Dächern, unterirdischen Wasserbehältern oder Stadtbäumen. Falls es zu einem Starkregenereignis kommt, kann der Niederschlag so besser versickern und richtet weniger Schaden an. Das im Boden gespeicherte Wasser hilft, Dürreperioden abzumildern. Und an heißen Sommertagen trägt verdunstendes Wasser dazu bei, die Stadt zu kühlen.
„Wasserwende eingeleitet”
„Regenwasser ist eine Ressource, kein Abfallprodukt“, betonte Christoph Schulze Wischeler, Geschäftsführer der „Mall GmbH“. Das Unternehmen hat sich auf Regenwasserbewirtschaftung mittels Betonteilen spezialisiert. „Die Wasserwende ist eingeleitet“, glaubt Schule Wischeler. Themen wie Überflutungsschutz, wasserresiliente Infrastruktur oder der richtige Umgang mit Regenwasser würden mittlerweile auch in der Bundespolitik viel Beachtung erfahren.
Den Bürger*innen seien die zunehmenden Risiken durch Starkregenereignisse dagegen oft kaum bewusst, erklärte Tim Peters. Der Meteorologe arbeitet für die Versicherungsgruppe Provinzial Holding. Umfragen aus seiner Branche zeigten, dass 90 Prozent der Befragten die Gefahr für ihr eigenes Haus als gering einschätzten. Nur gut die Hälfte der Gebäude in Deutschland sind gegen Elementarschäden wie Hochwasser oder Starkregen versichert. Doch der Klimawandel führe dazu, dass Niederschläge seltener, dafür aber intensiver aufträten. Auch Dürreperioden würden heftiger. „Das frühere Extremereignis wird das neue Normal“, so Peters.
Klimawandel hinterlässt Spuren im Stadtbild
Dies bestätigte Heiko Sieker, Manager und Projektentwickler eines Berliner Ingenieurbüros. Wenn die Temperatur um ein Grad steige, könne die Atmosphäre sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen. Die Folge sei Starkregen, wie er zum Beispiel in Berlin 2017 auftrat, als innerhalb von zehn Stunden halb so viel Wasser vom Himmel fiel wie sonst im ganzen Jahr. Auch im Alltag seien Veränderungen sichtbar: 60 Prozent der Straßenbäume in der Bundeshauptstadt seien beschädigt. Im benachbarten Strausberg sei eine Badeanstalt geschlossen worden, weil der See so viel Wasser verloren habe.
Die gute Nachricht: Laut Sieker ist Berlin bei der Anwendung des Schwammstadt-Prinzips mittlerweile Vorreiter geworden. Alle neuen Stadtquartiere würden entsprechend geplant. Der Fachbegriff dazu lautet Regenwasser-Kaskade, womit verknüpfte Speicher-Systeme gemeint sind, also zum Beispiel grüne Dächer, Zisternen und Versickerungsflächen. Auch Baumrigolen gehören dazu, das sind kleine Auffangbecken unterhalb von Stadtbäumen. Was die neuen Ansätze bewirken, zeigt laut Sieker die Rummelsburger Bucht, wo unter anderem sogenannte „Pocket-Parks“ (Mini-Parkanlagen) angelegt wurden. In diesem Stadtquartier habe der Starkregen 2017 keine nennenswerten Schäden verursacht.
Die größte Hürde für die Schwammstadt sei die Bürokratie, urteilte Sieker. Als Beispiel zeigte er ein Foto aus Berlin von einer kleinen, begrünten Sickerfläche am Straßenrand. Doch sie wurde nicht als dekoratives Element gestaltet, sondern umzäunt und mit einer Warnbake versehen. Da habe wohl ein Verwaltungsmitarbeiter auf Nummer sicher gehen wollen, mutmaßte der Ingenieur – mit der Folge, dass bestimmt niemand einen so furchtbaren Anblick in seiner Stadt haben wolle.
Grüne Dächer speichern Regenwasser
Wie sich der Gründach-Markt entwickelt, veranschaulichte schließlich Gunter Mann, Präsident des Bundesverbandes Gebäudegrün (BuGG). Eine Erhebung aus dem Jahr 2023 habe ergeben, dass nur 16,8 Prozent der Flachdächer begrünt seien. Und davon mache der klassische Dachgarten wiederum nur knapp 14 Prozent aus. Die meisten Gründächer seien „extensiv“ – also einfache Grünflächen, die mit geringem Aufwand gepflegt werden können.
Dass es diese Flächen überhaupt gibt, führt Mann auf die kommunale Förderpolitik zurück. Jede zweite Kommune gebe finanzielle Zuschüsse für Dach- und Fassadenbegrünung. Viele Städte belohnten solche Grünflächen auch mit niedrigeren Abwassergebühren oder machten sie sogar in Bebauungsplänen zur Vorgabe. Zwar würden Bauherren über „Zwangsbegrünung“ klagen, so Mann, aber ohne diese Maßnahmen würde man auch nicht so viel umsetzen können. Immerhin konnten 2023 zehn Millionen Quadratmeter Dachfläche neu begrünt werden.
Hilfreich für die Branche sind auch Großprojekte, die über die Region hinaus auf Aufsehen sorgen. So wurde Berlins größtes Einkaufscenter, die „Mall of Berlin“, mit einem Gründach versehen, das Anwohnenden als Park oder Spielplatz dienen soll. In Stuttgart hat die „Calwer Passage“ eine grüne Fassade erhalten und im Hamburger Stadtteil St. Pauli wurde der berühmte Bunker mit einem Dachgarten und vielen weiteren Pflanzen geschmückt.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.