Städte und Gemeinden warnen vor Überforderung
Den deutschen Kommunen steht ein großer Umbruch bevor. In den nächsten zehn Jahren werden rund 500.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen – das entspricht fast einem Drittel des gesamten Personals. Es ist absehbar, dass nicht alle Fachkräfte ersetzt werden können. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) spricht von einer drohenden Personalnot.
Gleichzeitig werde erwartet, so der Verband, dass die Kommunen „immer mehr Leistungen für die Menschen erbringen sollen“. Das beklagten DStGB-Präsident Uwe Brandl und Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Darin zog der Verband eine Bilanz des Vorjahres und blickte auf die 2023 anstehenden Aufgaben. „Mit einem Weiter-so werden wir die Herausforderungen nicht meistern können“, warnte Brandl. In Richtung des Bundes und der Länder forderte er: Statt immer neue Standards zu schaffen, die dann auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen, solle man sich auf das Notwendige beschränken.
Konkret gingen sie auf diese Themen ein:
Personalnotstand: Abfedern könne man diesen mit neuen Arbeitszeitmodellen, erklärte Landsberg. Viele Fachkräfte arbeiteten in Teilzeit – wenn die Rahmenbedingungen stimmen, könne man sie für Vollzeitjobs gewinnen, hoffen die Kommunen. „Wir müssen jetzt gegensteuern mit einem attraktiven öffentlichen Dienst, einer Erhöhung der Erwerbsquote, konsequenter Qualifizierung von Erwerbslosen und der Zuwanderung von Fachkräften“, meinen Brandl und Landsberg. Das allein werde aber nicht reichen.
Digitalisierung: Davon erhoffen sich die Kommunen eine Entlastung, weil Verwaltungsprozesse damit effizienter werden könnten. Doch die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ist krachend gescheitert – dieses sah eigentlich vor, dass Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 digital anbieten und sie über einen gemeinsamen Portalverbund verknüpfen. Der Städte- und Gemeindebund wünscht sich mehr Hilfe von Bund und Ländern. Ein positives Beispiel ist laut Landsberg die Software Sormas: Der Bund hat sie während der Corona-Pandemie den Kommunen zur Verfügung gestellt, um die Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern besser zu organisieren. Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten habe das funktioniert.
Bürokratieabbau: „Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Vorschriften“, lautete die zentrale Botschaft des DStGB. Bund und Länder müssten stärker darauf achten, dass neue Gesetze auch in der Praxis vollziehbar sind. Wenn man jeden Einzelfall möglichst gerecht abbilden wolle, führe das zu Regelungsdickichten. Als Beispiel für Bürokratie nannte Landsberg den „Grabsteinrütteltest“: Weil einer Frau auf einem Friedhof ein Grabstein auf den Fuß gefallen sei, müssten nun sämtliche Grabsteine auf ihre Standfestigkeit überprüft werden – und das von dafür geschultem Personal.
Aufnahme von Geflüchteten: Die Städte und Gemeinden seien an der Grenze ihrer Kapazitäten, so Brandl und Landsberg. Gleichzeitig müsse man sich darauf einstellen, dass Flüchtlingsbewegungen weltweit eher zu- als abnehmen. Sie mahnten „eine nachhaltige Gesamtstrategie von Bund und Ländern“ an. Notwendig sei unter anderem ein umfangreiches System von effektiven Erstaufnahmeeinrichtungen, um auf neue Herausforderungen vernünftig reagieren zu können.
Ganztagsbetreuung für Grundschüler*innen: Darauf wird ab dem Jahr 2026 schrittweise ein Rechtsanspruch eingeführt. „Es wird lange dauern, bis das in Deutschland flächendeckend funktioniert“, glaubt Landsberg. Um den Rechtsanspruch umzusätzen, wären laut DStGB mehr als 100.000 Erzieher*innen notwendig – die gebe es aber gar nicht. Auch fehlten Flächen, um die Gebäude zu schaffen, die es für die Ganztagsbetreuung brauche. Der Verband wirbt dafür, den Rechtsanspruch teilweise auszusetzen. Die Probleme könnten nicht im Gerichtssaal gelöst werden. Landsberg kritisierte, dass die Kultusministerkonferenz bei ihren Prognosen von zu niedrigen Betreuungsbedarfen ausgegangen sei. Hinzu kämen nun noch 150.000 Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine geflohen sind.
Folgen der Zeitenwende: „Explodierende Energiekosten infolge des Krieges in der Ukraine, Herausforderungen bei der Versorgungssicherheit, Inflation, gestörte Lieferketten, aber auch Herkulesaufgaben bei Klimaschutz und Klimaanpassung zeigen längst die Grenze der Leistungsfähigkeit unseres Staates auf“, erklärten Brandl und Landsberg. Die Kommunen seien im Dauerkrisenmodus. Deshalb fordert der kommunale Spitzenverband „eine Neuausrichtung der Politik“. Vieles, was die Ampel-Koalition vor den Krisen im Koalitionsvertrag vereinbart habe, werde sich nicht mehr umsetzen lassen. Die Politik müsse sich deshalb stärker auf zentrale Herausforderungen konzentrieren, zum Beispiel die Energiewende. Der Staat könne nicht alles ausgleichen. Deutschland stehe vor einer Rezession, das bedeute auch sinkende Steuereinnahmen für die Städte und Gemeinden. Gleichzeitig werde erwartet, dass die Kommunen ihre Daseinsvorsorgeleistungen unverändert anbieten. „Das wird leider so einfach nicht funktionieren“, betonen Brandl und Landsberg. „Wir müssen den Realitäten ins Auge blicken und uns ehrlich machen.“ Den Menschen müsse in der Krise auch mehr Eigenverantwortung abverlangt werden.
Mehr Informationen:
Die Broschüre mit der DStGB-Jahresbilanz 2022/Ausblick 2023 steht hier zum Download bereit.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.