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Städte und Landkreise klagen über Kosten der Eingliederungshilfe

Das Bundesteilhabegesetz ist seit 2017 in Kraft. Es ist als die Innovation in der bedarfsgerechten Unterstützung von Menschen mit Behinderung gefeiert worden. Nun hagelt es Kritik von allen Seiten. Streit um Zuständigkeiten bremst die Inklusion.
von Uwe Roth · 17. Mai 2024
Eine Protestaktion im Jahr 2016 für ein gutes Teilhabegesetz. Das damals auf den Weg gebrachte Gesetzt sorgt heute für Unmut – auch bei den Kommunen als Leistungsträgerinnen.

Das Präsidium des Deutschen Landkreistages hatte das Bundesteilhabegesetz (BTHG) am 8. Mai auf seiner Tagesordnung. Am Ende der Sitzung stand im Protokoll und in einer Pressemitteilung: Das BTHG habe die Erwartungen des Landkreistages nicht erfüllt. Der kommunale Spitzenverband nennt aber nicht die Menschen mit Behinderung als Leidtragende der aus seiner Sicht missglückten Reform, sondern die Leistungsträger. Das sind die Ämter, die für die Finanzierung der Unterstützungsbedarfe sorgen müssen. In einigen Bundesländern ist das die Kreisverwaltung, die für die Eingliederungshilfe zuständig ist. Insofern sorgt sich der Deutsche Landkreistag um seine Mitglieder: Diese blieben auf den Mehrkosten sitzen, die das neue Gesetz verursacht habe, lauten im Kern die Vorwürfe.

Nicht mehr Einrichtung, sondern die Person steht im Vordergrund

Das BTHG sichert diesen Menschen das Recht auf individualisierte Leistungen zu. Das noch von der damaligen Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) 2016/2017 auf den Weg gebrachte Gesetz ist eine Folge der UN-Behindertenrechtskonvention. Staaten wie Deutschland, die diese unterzeichneten, stellen damit behinderte Menschen nicht behinderten in allen Lebenslagen gleich. Jeder hat Anspruch auf einen individuellen Lebensentwurf. Folglich betrachtet das neue Gesetz Behinderte nicht länger als Personengruppe, für die die Einrichtungen der Behindertenhilfe pauschale Angebote bereithält. Damals nahm die Inklusion an Fahrt auf.

Nun sollen Menschen, die materielle und personelle Unterstützung brauchen, um ihren Alltag zu bewältigen, als Individuen betrachtet werden. Menschen mit Behinderungen sind zu Klient*innen der Leistungsträger, also des Staates, geworden. Dafür musste neu definiert werden, was die Leistungen der sogenannten Eingliederungshilfe sind. Individualisierte Leistungen sind in der Regel teurer als pauschalisierte Leistungen. Das betrifft insbesondere die Personalkosten, etwa für eine bezahlte Assistenz. Und um diese wird nun gestritten, auch unter parteipolitischen Gesichtspunkten.

Eingliederungshilfe: von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Zuständigkeiten

Das Bundesteilhabegesetz muss von den Bundesländern in Landesrecht überführt werden. Die Ergebnisse sind recht unterschiedlich ausgefallen. In der Draufsicht sind die Zuständigkeiten verwirrend. In Baden-Württemberg sind die Stadt- und Landkreise die Träger der Eingliederungshilfe, in Bayern sind es die Bezirke und in Nordrhein-Westfalen die beiden Landschaftsverbände. Manche Bundesländer wie Rheinland-Pfalz unterscheiden zwischen Unter- und Über-18-Jährigen. In diesem Fall kümmern sich Landkreise und kreisfreien Städte um die Jüngeren. Für die Erwachsenen ist das Land zuständig. In die Finanzierung der Eingliederungshilfen einbezogen sind außerdem die Renten- und andere Versicherungen, Krankenkassen, Bundesagentur für Arbeit sowie die Jobcenter.

Etwa zeitgleich zur öffentlichen Kritik des Deutschen Landkreistages kamen in Baden-Württemberg Landkreis- und Städtetag mit einem Brandbrief zum gleichen Thema in die Medien. Die kommunalen Verbände verlangen darin von der Landesregierung die volle Kompensation der Mehrkosten. Die Summe von 71 Millionen Euro steht im Raum. Der baden-württembergische Städtetagspräsident Frank Mentrup (SPD) schließt sich der Kritik an, betont zugleich, dass das Bundesteilhabegesetz seine Richtigkeit habe. Dabei ist die Kritik an der Landesregierung nicht neu: Schon 2017 beklagte der baden-württembergische Landkreistag, dass die Landkreise auf den Mehrkosten (damals war von 150 Millionen Euro die Rede) sitzenblieben, was so nicht ausgehandelt worden sei.

Landkreistag will BTHG in Teilen abändern

Warum wiederholt sich die Kritik gerade jetzt? Eine mögliche Erklärung ist: In einigen Bundesländern sind Kommunalwahlen, beim Bund sowie in den Bundesländern wird der nächste Haushaltsplan verhandelt. Nicht alle Menschen mit Behinderung können sich in die öffentliche Debatte einbringen, der Streit wird zum Teil über ihre Köpfe hinweg geführt.

Geht es nach dem Willen des Deutschen Landkreistags, kommen nicht die Kommunen für die Mehrkosten auf. Das Präsidium hat eine Liste mit „Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Bundesteilhabegesetzes“ beschlossen. Da steht die Forderung nach Kompensation an erster Stelle. Wer zahlen soll, bleibt offen. Insgesamt umfasst der Forderungskatalog 13 Punkte. Das Bundesteilhabegesetz müsste zum Teil neu geschrieben werden.

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

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