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Störungen und Überstunden: Verkehrsunternehmen ziehen EM-Bilanz

Kurz vor dem Ende der Fußball-Europameisterschaft ziehen die Bus- und Bahnbetriebe Bilanz. „Die EM hat gezeigt, dass wir am Limit sind“, sagt der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen.

von Carl-Friedrich Höck · 12. Juli 2024
Menschen laufen eine Treppe hoch, im Hintergrund zwei Straßenbahnen

Englische Fußballfans steigen vor der Gelsenkirchener Arena aus der Straßenbahn.

Typische Klischees über Deutsche lauten: Sie tragen Lederhosen, essen gerne Sauerkraut und sind stets pünktlich. Letzteres trifft zumindest für deutsche Busse und Bahnen nicht immer zu. Das haben viele ausländische Fußballfans in den vergangenen Wochen gelernt.

Im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft gab es wiederholt Beschwerden. Zum Beispiel kam es beim Spiel Deutschland-Schweiz zu Störungen im Frankfurter S-Bahn-Netz. Sogar ein Reporter der New-York-Times klagte während des Fußballturniers über unzuverlässige Verbindungen, berichtete von Chaos und weinenden Kindern.

„Störanfälliges Gesamtangebot”

Nun haben die Bus- und Bahn-Unternehmen selbst ein Fazit des Turniers gezogen. Es fällt ambivalent aus. „Wir sind stolz auf das Geleistete, auf die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen“, sagte Ingo Wortmann, der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er räumte aber auch ein: „Wir sind am Limit. Das System stößt vielfach an seine Kapazitätsgrenzen, der schlechte Zustand der Infrastrukturen sorgt bei punktuell erhöhter Nachfrage für ein störanfälliges Gesamtangebot.“ Es fehle an Fahrzeugen und Personal.

Im Vergleich zur Fußball-Europameisterschaft 2006 sei Deutschland „in Bezug auf Verfügbarkeit und Qualität der Infrastruktur weiter zurückgefallen“, befand Wortmann. In den vergangenen Jahren sei zu wenig in die Infrastruktur investiert worden. Der VDV-Präsident verwies auf eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) aus dem vergangenen Jahr. Darin wurde errechnet, dass für den Erhalt und Ausbau der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur in Deutschland bis zum Jahr 2030 Investitionen von 64 Milliarden Euro nötig seien.

„Die EURO sollte der entscheidende Weckruf für Bund und Länder sein, endlich umzusteuern und den nötigen Wachstums- und Modernisierungskurs der Branche entsprechend zu finanzieren“, appellierte Wortmann an die Politik.

Sonderfahrten und dichtere Takte

Der Verbandspräsident hatte aber auch Positives zu berichten. „Die Unternehmen überzeugten mit mehrsprachigen Informationskonzepten und vielen Innovationen vor Ort. Die zwei Millionen – weltweit bisher einzigartigen – Kombitickets mit einer Gültigkeit von 36 Stunden waren die Basis für einen hohen ÖPNV-Anteil während der Spiele.“ Bis zu 30.000 Fans pro Spieltag seien mit dem öffentlichen Nahverkehr angereist. Hinzu komme der An- und Abreiseverkehr zu den Fanfesten. Die Unternehmen hätten mit Sonderfahrten, Sonderlinien und Taktverdichtungen „geleistet, was möglich war“. Die Mitarbeiter*innen hätten unzählige Überstunden gemacht und Urlaubspläne verschoben.

Der VDV nannte in seiner Bilanz auch Beispiele für die außergewöhnliche Situation im Nahverkehr. Demnach wurden am Frankfurter Hauptbahnhof während der EM an Spieltagen rund 100.000 Reisende mehr gezählt als an normalen Tagen. In Leipzig fuhren die Verkehrsbetriebe pro Spiel bis zu 5.000 Kilometer mehr als üblich. In Köln kamen an Spieltagen bis zu 32 Sonderzüge zum Einsatz. In Gelsenkirchen wurde das Verkehrsunternehmen Bogestra von weiteren Unternehmen aus Nachbarstädten unterstützt – und zum ersten Mal überhaupt fuhren Bahnen vom Essener Hauptbahnhof direkt zur Arena AufSchalke.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft setzte an Spieltagen mehr als 100 zusätzliche Mitarbeiter*innen ein. Und aus Dortmund berichten die Stadtwerke, dass an EM-Spieltagen 20 Prozent mehr Fahrgäste an den Stadion-Haltestellen verzeichnet wurden als an Bundesligaspielen. Und das, obwohl die Kapazität des Stadions 25 Prozent geringer war als im Bundesliga-Alltag, weil bei EM-Spielen keine Stehplätze erlaubt sind.
 

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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