Tauschaktion: Warum Marburgs OB Spiels in Reha-Werkstätten angepackt hat
Marburgs Rathauschef Thomas Spies hat für einen Tag in Reha-Werkstätten gearbeitet, während er selbst von zwei Werkstatt-Mitarbeiter*innen im Amt vertreten wurde. Im Interview erzählt der Oberbürgermeister, welche Erfahrungen er mit der Aktion „Schichtwechsel” gemacht hat.
Stadt Marburg
Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD)
Für die Aktion „Schichtwechsel“ haben Sie ihren Arbeitsplatz für einen Tag mit einem Ehepaar getauscht, das in Reha-Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeitet. Warum?
Thomas Spies: Ich halte es für eine tolle Idee der Lebenshilfe, Menschen, die in den Werkstätten beschäftigt sind, eine andere Umgebung erleben zu lassen – und umgekehrt. Für mich gehört es zu den Kernaufgaben eines Kommunalpolitikers, sich in die Lebenswirklichkeit der verschiedenen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern einzufühlen. Das ist nötig, wenn man vernünftige Politik machen will. Inklusion ist mir wichtig. Also finde ich, man muss hingehen und mit statt nur über die Menschen zu sprechen.
Welche Erfahrung nehmen Sie aus dem Ämtertausch für sich mit und was genau haben Sie in den Werkstätten gemacht?
Eine spannende Erfahrung war, dass wir dazu neigen, die Kompetenzen von Menschen mit Behinderung zu unterschätzen. Ich habe erlebt, mit wie viel Begeisterung und Ernsthaftigkeit die Leute in der Werkstatt ihre Arbeit verrichten. Wenn jeder seinen Job so wichtig nehmen würde, würde manches besser funktionieren – und das gilt auch für führende Positionen. Die eigene Aufgabe steht im Mittelpunkt, nicht das persönliche Fortkommen.
An dem Tag habe ich in zwei Metallwerkstätten gearbeitet. In einer wurden LED-Lampen zusammengebaut in der anderen Türschilder und ähnliche Dinge gefräst. Das hat viel Spaß gemacht, so etwas hatte ich noch nicht gemacht. Dann war ich in einer Wäscherei. Da gab es einen faszinierenden Bügelautomaten. Außerdem habe ich in der Küche mitgeholfen, als das Mittagessen ausgeteilt wurde. Zum Schluss hat sich ein Mitarbeiter-Chor außer der Reihe getroffen und mir ein Ständchen gesungen. Das war total lieb und hat mich sehr gefreut.
Ihr eigener Platz als Oberbürgermeister wurde an diesem Tag vom Ehepaar Anita und Markus Riehl eingenommen. Haben Sie sich gut vertreten gefühlt?
Oh ja! Den ersten Termin haben wir zusammen wahrgenommen. Da sollte ich ein Grußwort halten bei der Veranstaltung einer sozialen Einrichtung, das haben wir dann zu dritt gemacht. Danach war ich nicht mehr dabei, aber ich habe eine Menge positiver Rückmeldungen erhalten über den Beitrag der beiden. Beschwert hat sich niemand. Offenbar war man also mit meiner Vertretung zufrieden.
Wollen Sie denn nächstes Jahr wieder die Rollen für einen Tag tauschen?
Auf jeden Fall! Es gibt zwar noch keine konkreten Pläne, aber ich habe der Lebenshilfe mitgeteilt, dass ich das gerne nochmal machen möchte. Offenbar habe ich meinen Job auch einigermaßen gut gemacht, sodass sie mich hoffentlich wieder nehmen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.