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Ukrainekrieg: Unterstützung auf kommunaler Ebene

Bremens Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer war vor wenigen Wochen zu Gast in der Partnerstadt Odessa. Im Interview erklärt sie, wie wichtig die Hilfe von Städten und Gemeinden ist.

von Ulf Buschmann · 17. Dezember 2024
Porträtfoto Antje Grotheer

Antje Grotheer, Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft.

DEMO: Frau Bürgerschaftspräsidentin Grotheer, der Ukrainekrieg verfolgt uns alle seit mehr als 1.000 Tagen. Erst Anfang November waren Sie mit dem Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) in Bremens neuer Partnerstadt Odessa. Welchen Eindruck haben Sie allgemein vom Zustand des Landes?

Antje Grotheer: Man sieht natürlich an vielen Stellen, dass die Ukraine seit mehr als 1.000 Tagen angegriffen wird. Man sieht die vielen Fahnen auf den Friedhöfen, auf den Gräbern der Gefallenen, man sieht die vielen jungen Gesichter auf den Grabsteinen – das hat mich sehr betroffen gemacht. Natürlich sind an vielen Stellen Zerstörungen durch Raketen- und Drohnenangriffe zu sehen. Aber nicht alles ist zerstört. Das Opernhaus zum Beispiel, das weltberühmt ist und auf das die Menschen in Odessa stolz sind, steht noch – und dort finden auch nach wie vor Aufführungen statt. Das ist ein gutes Beispiel: Die Folgen des Krieges sind überall zu sehen – aber die Menschen bemühen sich eben auch, so viel Normalität aufrechtzuerhalten wie irgend möglich.

Bremen bemüht sich seit der Unterzeichnung der Partnerschaft mit Odessa zusammen mit Danzig um Hilfe. Wie geht es den Menschen speziell in der Hafenstadt?

Ich konnte mit vielen Menschen dort ins Gespräch kommen und habe Ihnen genau diese Fragen gestellt – wie es ihnen geht und wie sie mit dem Krieg und mit der permanenten Bedrohung umgehen. Eine Frau hat mir geantwortet „Man gewöhnt sich nicht an den Krieg, aber man lernt, damit zu leben.“ Das fand ich beeindruckend – und es entspricht meinem Eindruck. Wir haben während unseres Besuchs einen Raketenalarm erlebt. Die Reaktion unserer ukrainischen Begleitung war ein Blick aufs Telefon. Die Menschen dort sind in Telegram-Gruppen vernetzt – und sobald ein Alarm anschlägt, tauschen sie sich aus, in welche Richtung die Raketen oder Drohnen unterwegs sind und wissen dann sehr schnell, ob und wie sie reagieren sollten. Die Routine, mit der das geschieht und mit der die Menschen mit einer so gefährlichen Situation umgehen, kann man sich kaum vorstellen – und sie ist erschreckend. Wir hatten damals Glück, die Raketen gingen in eine andere Richtung. Aber nur wenige Tage später wurde auch Odessa wieder zum Ziel mehrerer Angriffe.

Hilfe über die Kommunen war bereits beim Jahrestreffen des Ausschusses der Regionen (AdR) im Oktober 2022 in Brüssel Thema. Welche Rolle spielt die Europäische Union auf kommunaler Ebene? Wie hat sich die Ukraine-Unterstützung seitdem entwickelt?

Die EU ist ein essenzieller Partner für Kommunen, sowohl innerhalb der EU als auch in der Unterstützung anderer Länder wie der Ukraine. Der Ausschuss der Regionen als feste Institution der EU hat Initiativen wie die „Allianz der Regionen für den Wiederaufbau der Ukraine“ ins Leben gerufen, um den Wiederaufbau durch regionale und lokale Kooperationen zu fördern. Zudem wurden EU-Mittel für die Energiewende und Digitalisierung bereitgestellt, um ukrainische Städte langfristig zu stärken. Das zeigt: Der Ausschuss der Regionen als Bindeglied zwischen der EU und den regionalen sowie lokalen Gebietskörperschaften wird von außen gelegentlich unterschätzt, ist tatsächlich aber von allerhöchster Bedeutung. Denn die Bedürfnisse der Regionen unterscheiden sich mitunter von denen des übergeordneten Gefüges und können nur durch die Zusammenarbeit der Regionen wirklich Berücksichtigung finden. Außerdem haben wir eine ganz konkrete Zusammenarbeit begonnen: Junge ukrainische Politiker*innen können am AdR-Programm „Young Elected Politicians“ teilnehmen, mit dem wir das Verständnis für Europa und das Kennenlernen von jungen, gewählten Politiker*innen fördern.

Welche Rolle spielen die Kommunen bei der Hilfe vor Ort? Bremen hat sich diesbezüglich ja auf seine Stärken besonnen: Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen organisieren gemeinsam Hilfe. Kann dies beispielhaft für andere Kommunen sein?

Das kann als Beispiel dienen – und ich würde mir wünschen, dass sehr viele andere Kommunen dem Beispiel folgen. Ich konnte bei meinem Besuch in Odessa sehen, wie auf diese Weise ganz konkrete Hilfe geleistet werden konnte. Ein Beispiel: Mit Bremer Hilfe konnte ein Inkubator nach Odessa transportiert werden. Und am Tag, nachdem dieser geliefert wurde, wurde ein Frühchen geboren, das genau diesen Inkubator gebraucht hat. Ich habe das Baby gesehen, es hat überlebt. Ich glaube, dass es gerade dieser Zusammenschluss in Bremen ist – Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen, aber auch die Kirchen – der diese Hilfe so stark macht, stärker als es die einzelnen Akteure für sich genommen schaffen würden.

Inzwischen gibt es ja sogar auf Stadtteilebene Partnerschaften. Inwieweit sind diese wichtig?

Natürlich stoßen Stadtteile an Grenzen bei dem, was sie leisten können. Aber jede Partnerschaft ist wichtig. Jede Hilfe ist wertvoll, so klein und unbedeutend sie uns hier in Deutschland vielleicht auch erscheinen mag. Und die Partnerschaften sind auch als Signal wichtig. Damit zeigen wir als Kommune, dass wir an die Menschen in der Ukraine denken, dass wir sie nicht vergessen haben und nicht vergessen werden. Das bedeutet den Ukrainer*innen unglaublich viel. Auch das habe ich bei meinem Besuch erfahren: Unglaubliche Dankbarkeit der Menschen dafür, dass wir als Partner*innen an ihrer Seite stehen.

Inzwischen wird immer öfter über das Einfrieren des Krieges diskutiert. Welche Rolle spielen kommunale Partnerschaften für die Zukunft beim Wiederaufbau des Landes?

Ich bin überzeugt, dass solche Partnerschaften eine enorm wichtige Rolle spielen werden, wenn es zu einem Abkommen kommt, dem die Ukraine zustimmen kann. Denn dann wird es beim Wiederaufbau ebenfalls auf konkrete Hilfe ankommen. Eine gewachsene Partnerschaft und persönliche Beziehungen können dabei eine große Hilfe sein. Ein breiter Zusammenschluss wie in Bremen, wo Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen an einem Strang ziehen, kann dann ebenfalls hilfreich sein, weil konkrete Hilfe – das, was die Ukrainer*innen in dieser Situation benötigen – auf diese Weise und in dieser Zusammenarbeit unter Umständen noch einmal schneller organisiert werden kann. Zudem können die Städte in der Ukraine beim Wiederaufbau aus unseren städtebaulichen Fehlern lernen und es besser machen, indem sie zum Beispiel Verkehrskonzepte umsetzen, die die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigen – und gerade hier spielt Barrierefreiheit tragischerweise eine große Rolle.

Was raten Sie Kommunen aus Ihren Erfahrungen heraus, die über eine Partnerschaft mit der Ukraine nachdenken? Sollte man im Blick behalten, dass der Konflikt jederzeit wieder ausbrechen könnte?

Noch kann man leider nicht im Blick behalten, dass der Konflikt wieder ausbrechen könnte, denn der Konflikt ist noch nicht vorbei – und niemand kann voraussagen, wann es soweit sein wird. Ich würde aber jeder Kommune raten, so eine Partnerschaft einzugehen. Es ist ein wichtiges Zeichen für die Menschen in der Ukraine – und es schafft auch für die Menschen in Deutschland Verbundenheit und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit.

Autor*in
Ulf Buschmann

Ulf Buschmann ist freier Journalist in Bremen. Für die DEMOKRATISCHE GEMEINDE ist er seit 1998 als Autor tätig.

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