Ukrainische Geflüchtete: Fast die Hälfte will längerfristig in Deutschland bleiben
IMAGO/Philippe Ruiz
Die Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“ soll die Lebensbedingungen der Menschen ergründen, die hier Zuflucht vor dem Krieg suchen. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse der zweiten Befragungswelle vorgestellt. Rund 7.000 Ukrainer*innen wurden dafür zwischen Januar und März 2023 befragt.
Mit den neuen Ergebnissen können erstmals auch Veränderungen dokumentiert werden. Denn bereits im Spätsommer und Herbst 2022 hatte es eine Befragung gegeben. Nun zeigt sich: Die Zahl der ukrainischen Geflüchteten, die planen, längerfristig in Deutschland zu bleiben, ist leicht gestiegen. 44 Prozent der Befragten wollen mindestens noch für einige Jahre hier bleiben, wenn nicht sogar für immer. Das sind fünf Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Durchgeführt wird das Forschungsprojekt gemeinsam vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Fortschritte bei den Deutschkenntnissen
Ob jemand für sich eine dauerhafte Zukunft in Deutschland sieht, hängt laut den Forscher*innen von der familiären Situation und der sozialen Integration ab. Wer eine Ausbildung sucht, gut Deutsch spricht und sich hier willkommen fühlt, möchte oft auch im Land bleiben. Wer noch einen Partner oder eine Partnerin im Ausland hat, will Deutschland statistisch häufiger wieder verlassen.
Bei der Integration zeigt die Studie Fortschritte auf. Drei von vier ukrainischen Geflüchteten haben Anfang 2023 bereits einen oder mehrere Sprachkurse besucht. Zwar glauben nur acht Prozent, dass sie bereits über gute oder sehr gute Deutschkenntnisse verfügen. Doch es geben auch nur noch 18 Prozent an, dass sie überhaupt kein Deutsch sprechen – das sind nur noch halb so viele wie im vergangenen Spätsommer. „Durch weitere Sprachkursbesuche sowie den Austausch im Privaten und im künftigen beruflichen Alltag dürften sich die Deutschkenntnisse noch weiter verbessern“, meint die Integrationsforscherin Nina Rother vom BAMF-FZ.
Viele Geflüchtete noch ohne Erwerbseinkommen
Einen bezahlten Job haben bisher aber nur wenige. Lediglich 18 Prozent der befragten 18- bis 64-Jährigen gingen zum Befragungszeitpunkt einer Beschäftigung nach. Im Spätsommer 2022 waren es 17 Prozent, große Fortschritte sind also nicht zu verzeichnen. Ein Grund dafür: Viele Geflüchtete sind Frauen mit Kindern und (zumindest vorübergehend) alleinerziehend. Wenn sie einen Sprachkurs belegen und sich zudem noch um ihre Kinder kümmern müssen, bleibt schlicht kaum Zeit zum Arbeiten.
Verstärkt wird das Problem dadurch, dass es an Kita-Plätzen fehlt – oder die Eltern entsprechende Angebote nicht nutzen. Nur jedes zweite Kind im Alter bis sechs Jahre wird außerhalb des eigenen Zuhauses betreut. Für ukrainische Geflüchtete sei ein ausreichend großes Angebot an Kita-Plätzen wichtig, betont Migrations-Experte Andreas Ette vom BiB. „Für Eltern, um Sprachkurse besuchen und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können – und für Kinder, um die Sprache zu lernen, einen strukturierten Alltag zu haben und Freunde zu finden.“ Immerhin: Fast alle schulpflichtigen Kinder aus der Ukraine besuchen eine allgemein- oder berufsbildende Schule.
Die Geflüchteten aus Ukraine müssen oft mit wenig Geld auskommen. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen lag zum Befragungszeitpunkt bei 850 Euro – viele Haushalte liegen deutlich darunter. Die Umfrage zeigt aber auch: Mehr als zwei Drittel der Ukrainer*innen, die Anfang 2023 noch keinen Job hatten, wollen bald eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Unterbringung: Situation hat sich verbessert
Die Forscher*innen haben auch nachgefragt, wo die Geflüchteten aus der Ukraine wohnen. 79 Prozent haben mittlerweile eine private Unterkunft gefunden – das sind fünf Prozent mehr als im Sommer/Herbst 2022.
Aber sind diese Unterkünfte auch von Dauer? Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte sich Anfang des Jahres noch besorgt geäußert, weil die private Unterbringung häufig auf provisorischen Strukturen aufbaue. Zu Kriegsbeginn waren es oft Verwandte, Bekannte oder andere hilfsbereite Menschen, die ihre Couch oder ein Gästezimmer für Geflüchtete zur Verfügung gestellt haben. Jedoch oft nicht in der Absicht, das auf Jahre hinaus zu tun. Weil der Wohnungsmarkt in vielen Städten leergefegt ist, fehlt es an Alternativen.
Die neuen Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Lage etwas entspannt. Etwa ein Fünftel der Befragten hat angegeben, innerhalb des letzten halben Jahres innerhalb Deutschlands umgezogen zu sein. Meistens war der Grund, dass die Geflüchteten eine passendere Unterkunft gefunden haben. Das gebe einen Hinweis darauf, dass die Bleibeperspektiven langfristiger Natur seien, erklärt Markus Grabka vom DIW Berlin.
Psychisches Wohlbefinden verbessert
Eine weitere Erkenntnis aus der Studie: Die meisten Kinder und Jugendlichen haben die Fluchterfahrung psychisch gut verkraftet – zumindest nach Einschätzung ihrer Eltern. Vier von fünf Kindern und Jugendlichen haben laut der Umfrage einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand. Gegenüber dem vergangenen Jahr hat sich das psychische Wohlbefinden der Minderjährigen leicht verbessert. Ältere Kinder hätten größere Schwierigkeiten mit dem Ankommen in Deutschland als die jüngeren, stellen die Forscher*innen fest. Zudem geht es den Kindern, die mit beiden Elternteilen nach Deutschland gekommen sind, statistisch betrachtet besser als denen, die noch einen Vater oder eine Mutter in der Ukraine haben.
Seit dem Kriegsbeginn im Februar 2022 sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. „Das Zwischenfazit ist durchaus ermutigend, die gesellschaftliche Teilhabe hat zuletzt deutliche Fortschritte gemacht”, kommentiert Markus Grabka die Studienergebnisse. Yuliya Kosyakova vom IAB ergänzt: „Die Geflüchteten benötigen Planungssicherheit, ob sie sich in Deutschland langfristig aufhalten dürfen – auch wenn der Krieg beendet sein wird. Gerade für den Deutscherwerb und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sind die Perspektiven enorm wichtig.“
Mehr Informationen zur Studie:
diw.de (PDF)
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.