Vandalismus und Bedrohungen: Wie Genoss*innen den Wahlkampf erleben
IMAGO/Christoph Hardt
Zwei Gewaltattacken innerhalb von nur einer Woche haben die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Am 3. Mai wurde der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, in Dresden von vier Männern angegriffen und so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus operiert werden musste. Auch Wahlkämpfende der Grünen wurden von den Männern attackiert. Am 7. Mai schlug ein Mann Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und verletzte sie leicht.
Diese Vorfälle sind nur die Spitze des Eisberges. Das offenbart eine DEMO-Umfrage an mehrere SPD-Landesverbände zu den derzeit laufenden Wahlkämpfen. Am 9. Juni wird das Europäische Parlament neu gewählt, zeitgleich finden Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt.
Heftigkeit hat zugenommen
Brandenburgs SPD-Generalsekretär David Kolesnyk berichtet zum Beispiel: „Es gab unterschiedliche Bedrohungen – auch gegen Leib und Leben – und eine große Zahl von Zerstörungen von Plakaten.“ Die Genoss*innen in Baden-Württemberg teilen mit: Die Wahlkämpfenden würden beleidigt und beschimpft. „Schon zahlreiche Plakate wurden zerstört. Die Anzahl und Heftigkeit hat im Vergleich zu vergangenen Wahlkämpfen in diesem Jahr spürbar zugenommen“, so der SPD-Landesverband.
Er nennt auch Beispiele: In der Rhein-Neckar-Region wurden demnach Kandidierende beim Aufhängen von Plakaten weggestoßen. Im Raum Freiburg wurde ein Mitarbeiter einer Firma, die für die SPD Plakate anbringt, bespuckt.
Der Saar-SPD sind zwar im aktuellen Wahlkampf noch keine tätlichen Angriffe auf SPD-Mitglieder bekannt. Doch auch hier seien haupt- und ehrenamtliche Mitglieder auf Veranstaltungen oder an Infoständen immer wieder verbalen Beleidigungen ausgesetzt. „Wir sehen uns mit einer zunehmenden Hetze im Internet konfrontiert“, sagt die Landesvorsitzende Anke Rehlinger. Und es gebe eine steigende Zahl von Vandalismusakten. Darunter beschmierte Wahlplakate und Großflächen – teilweise mit Hakenkreuzen und SS-Runen – oder beschädigte Beklebungen an den Wahlkreisbüros.
Was ein OB-Kandidat erlebte
An den Menschen, die sich in der Politik engagieren, geht das nicht spurlos vorbei. Die Nachricht vom Anschlag auf Matthias Ecke habe ihn nachdenklich gemacht, sagt zum Beispiel Florian Schäfer. Der 38-Jährige kandidiert in Saarlouis für das Oberbürgermeisteramt. Er sei eigentlich nicht zart besaitet und suche oft die inhaltliche Diskussion mit anderen Menschen, erzählte er dem Tagesspiegel. Er könne sich aber vorstellen, dass ein Angriff wie in Dresden auch in Saarlouis oder überall sonst in Deutschland passieren könnte. „Man merkt nämlich deutlich, dass die Kritik an uns immer deutlicher und handgreiflicher wird. Und häufiger.“
Der Sozialdemokrat wurde bereits selbst angegriffen. Es war bei der Fastnacht, erinnert sich Schäfer. „Im vergangenen Jahr kam plötzlich ein Mann auf mich zu, sagte etwas zu Flüchtlingen und schlug mir mit der Faust auf die Brust. Das war etwas, das mich länger verfolgt hat.“
SPD sieht Mitverantwortung bei AfD
In Sachsen haben die beiden SPD-Vorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel nach dem Angriff auf Ecke eine Erklärung veröffentlicht. Darin heißt es: „Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen, und wir beobachten und erfahren schon jetzt ein Ausmaß an Übergriffen, das unter keinen Umständen auch nur ansatzweise akzeptabel ist.“ Homann und Michel benennen auch klar, wer aus ihrer Sicht dafür verantwortlich ist: „Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät haben, geht auf. Deren Anhänger sind mittlerweile völlig enthemmt und betrachten uns Demokraten beim Ausüben ihrer Grundrechte offenbar als Freiwild.“ Zugleich beteuern sie: „Wir lassen uns nicht mundtot machen.“
Deutliche Worte findet auch Brandenburgs SPD-Generalsekretär. Aufgrund der Botschaften, die auf zerstörten Plakaten hinterlassen wurden, seien die Taten „dem Umfeld der erwiesen rechtsextremen AfDler zuzurechen“. Dass diese Partei offiziell den Angriff auf Matthias Ecke in Dresden verurteilt hat, ist für David Kolesnyk Heuchelei. „Die AfD Brandenburg muss sich für die völlig entgleisten Worte ihres Spitzenkandidaten, der zur Jagd auf (Ministerpräsident Dietmar) Woidke und die SPD aufgerufen hat, entschuldigen und sie zurücknehmen“, fordert der SPD-Generalsekretär.
Bündnis zum Schutz von Kommunalen
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan verweist darauf, dass Angriffe und Hass insbesondere für Amts- und Mandatsträger*innen mit familiärer Einwanderungsgeschichte nicht neu seien. Doch die Bereitschaft sinke, sich kommunalpolitisch zu engagieren, denn die Zahlen stiegen. „Von 2019 bis 2023 haben sich die Angriffe auf Vertreter*innen politischer Parteien verdoppelt auf 2.790.“
Um kommunalpolitisch engagierte Menschen besser zu schützen, hat die Integrationsbeauftragte das Projekt „Kommunale Allianzen“ gegründet. In zehn Modellkommunen werden bis Ende 2025 „starke Allianzen für mehr Sicherheit aufgebaut, Strategiekonzepte gegen Hass und Rassismus entwickelt und Trainings für Verwaltungen angeboten“, teilt Alabali-Radovan mit. Das gesammelte Wissen solle mit allen 11.000 Kommunen in Deutschland geteilt werden.
Wie die SPD auf Attacken reagiert
In Brandenburg rät die SPD den Plakatier-Teams, Konflikten aus dem Weg zu gehen und nicht alleine unterwegs zu sein. Der Landesverband Baden-Württemberg berichtet der DEMO von drei Ansätzen, mit denen die SPD auf den aufgeheizten Wahlkampf reagiert. Erstens: Die Wahlkämpfenden erhalten Informationen zu sicherheitsbewusstem Verhalten. Dabei zieht die Partei unter anderem Leitfäden des Landeskriminalamtes zurate. Und sie weist auf individuelle polizeiliche Fachberatungen hin, die von regionalen Polizeipräsidien kostenlos angeboten werden.
Zweitens, betont die SPD Baden-Württemberg, würden alle Vorfälle – von Vandalismus über Beleidigungen bis zu Angriffen – konsequent zur Anzeige gebracht. Die Regionalgeschäftsstellen sollen die Wahlkämpfenden dabei unterstützen.
Drittens schult die Partei die Wahlkämpfenden verstärkt, zum Beispiel durch Diskussionstrainings, aber auch inhaltlich. Das soll ihnen helfen, sich in schwierigen Situationen zu behaupten.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.