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„Verkehrsberuhigung führt nicht zum Kollaps“

Das Deutsche Institut für Urbanistik hat die Folgen von verkehrsberuhigenden Maßnahmen unter die Lupe genommmen – mit überraschenden Ergebnissen.
von Carl-Friedrich Höck · 14. Februar 2024
Uta Bauer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Sie arbeitet im Forschungsbereich Mobilität.

DEMO: In Debatten um Verkehrswende-Projekte taucht eine These immer wieder auf: „Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung führen nur dazu, dass die umliegenden Straßen zusätzlich belastet werden.“ Das Difu hat diese These wissenschaftlich untersucht. Mit welchem Ergebnis?

Uta Bauer: Das Ergebnis war für uns ein bisschen überraschend, weil es so ein einhellig war. In fast allen von uns untersuchten Projekten hat sich gezeigt: Solche Verlagerungseffekte gibt es zwar, aber eher kurzfristig. Auf längere Sicht hat sich der Verkehr insgesamt reduziert, auch auf den Hauptverkehrsstraßen. Eine Verkehrsberuhigung führt also nicht zu einem Kollaps auf den umliegenden Straßen.

Welche Daten oder Studien wurden vom Difu ausgewertet?

Wir haben nach Studien Ausschau gehalten, die einen Vorher-Nachher-Vergleich ermöglichen. In Deutschland waren das überwiegend Verkehrsversuche. Das bedeutet: Das Verkehrsrecht erlaubt Kommunen, unter bestimmten Bedingungen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen auszuprobieren. Sie sind dann aber verpflichtet, Vorher-Nachher-Untersuchungen anzustellen. Für uns war das eine wichtige Quelle, um an vergleichbare Daten zu kommen. Wir haben aber auch im Ausland nach Projekten und Studien gesucht, die Aufschluss darüber geben, wie sich Interventionen in der Praxis konkret auswirken.

Was für Interventionen waren das?

Zum einen straßenbezogene Maßnahmen, zum Beispiel die Sperrung eines Teils der Berliner Friedrichstraße. Noch wichtiger waren für uns aber die flächenhaften Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, wie sie bereits seit den 1980er Jahren in vielen Städten umgesetzt wurden.

Macht es mit Blick auf die Ausweich-Verkehre einen Unterschied, ob man nur eine einzelne Straße verkehrsberuhigt oder gleich ein ganzes Quartier?

Ja und nein. Wenn nur einzelne Straßen in den Fokus genommen werden, sind die Effekte sehr viel geringer. Natürlich gibt es auch hier deutliche Unterschiede, ob ich aus einer Nebenstraße eine Spielstraße mache oder aus einer Hauptverkehrsstraße wie der Berliner Friedrichstraße ein ganzes Stück für den Verkehr sperre. Je flächenhafter die Maßnahme ist, desto eher sind auch die negativen wie positiven Effekte messbar.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir zum Beispiel die sogenannten Kiezblocks. Hier geht es darum, den Durchgangsverkehr aus dem Nebenstraßennetz, also den Wohnquartieren herauszuhalten. Das funktioniert mit modalen Filtern und Einbahnstraßenregelungen. Ich kann also mit dem Auto zwar jederzeit in das Quartier hineinfahren, aber nicht direkt hindurchfahren. Das hat den Effekt, dass deutlich weniger Verkehr in den Wohnquartieren stattfindet. Und man gewinnt Raum, den man zum Beispiel für Sitzbänke oder Spielflächen nutzen kann.

Gerade in solchen Fällen liegt der Gedanke nahe, dass die umliegenden Hauptverkehrsstraßen noch mehr Verkehr bewältigen müssen. Ihre Analyse zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Wie erklären Sie sich das?

Da haben wir es mit einem multifaktoriellen Gefüge zu tun. Anders gesagt: Die Menschen passen sich auf unterschiedliche Weise an die neue Situation an. Einige werden das Gebiet weiträumiger umfahren, also gar nicht mehr in unmittelbarer Nähe des verkehrsberuhigten Quartiers auftauchen. Ich denke, dass der weitaus größere Teil auf andere Verkehrsmittel umsteigt oder Wege zu Fuß zurücklegt. Das Autofahren wird unbequemer, aber dafür wird es angenehmer und sicherer, mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs zu sein. Deshalb sind weniger Autos auf den Straßen. Und das führt dazu, dass für die verbleibenden Autofahrenden der Verkehr besser fließt.

Das klingt ein bisschen paradox. Es liegt an einem Effekt, den man schon in den 1960er Jahren beobachtet hat und der seitdem in vielen Untersuchungen belegt wurde: Wer Straßen oder sogar Autobahnen baut, macht das Autofahren bequemer. Deshalb fahren die Leute häufiger mit dem Auto und es sind mehr Fahrzeuge unterwegs. Irgendwann sind die Straßen voll, also werden wieder neue Straßen gebaut, die auch eines Tages voll sein werden. Es ist ein Kreislauf, der das Problem eigentlich nicht löst. Es wird wenig darüber gesprochen, dass die gleichen Effekte auch umgekehrt funktionieren: wenn man die Straßen für den Fuß- und Radverkehr attraktiv macht. Unterm Strich gesehen gewinnen so alle.

Gelten diese Beobachtungen nur für Metropolen wie Berlin oder auch in kleineren Kommunen, wo nicht alle paar Minuten ein Bus fährt?

Wir haben auch Beispiele aus kleineren Städten untersucht. Dort funktioniert das teilweise sogar noch besser. Die Wege sind nicht so weit und man kann sie leichter zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen. In Gent zum Beispiel wurde die Innenstadt umgestaltet und verkehrsberuhigt. Jetzt fordern die angrenzenden Wohngebiete, sie möchten die gleichen Maßnahmen bei sich auch haben.

Worauf sollten Kommunen achten, wenn sie Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung planen?

Auf die Gestaltung. Die Verkehrsplaner*innen in Deutschland gehen häufig sehr technisch an die Sache heran, da steht die Optik an zweiter Stelle. Das Ergebnis sind hässliche Poller und Schwellen. Im Ausland gibt es Städte, die mehr auf hochwertige Straßenmöbel und eine schöne Begrünung achten. Das ist wichtig, um die Menschen dauerhaft von den Maßnahmen zu überzeugen. Meine Empfehlung lautet deshalb: Lieber klotzen statt kleckern! Schließlich soll das Quartier für die Anwohnenden, Gewerbetreibenden, die Gastronomie und andere Anlieger*innen attraktiver werden.


Weiterführende Informationen:
Difu Policy Papers, 2023: Verkehrsberuhigung: Entlastung statt Kollaps!
 

 

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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