Wahlrecht: Darf ein Verfassungsfeind Oberbürgermeister werden?
Im sächsischen Weißwasser will sich ein mutmaßlicher Reichsbürger zum Rathaus-Chef wählen lassen. Wie verfassungstreu muss ein Kandidat sein? Und wer überprüft das? Die wichtigsten Antworten.
IMAGO / Hanke
Das Rathaus von Weißwasser in der Oberlausitz (Archivaufnahme): Hier bewirbt sich laut MDR-Recherchen ein mutmaßlicher Reichsbürger um das Amt des Oberbürgermeisters.
Sogenannte Reichsbürger*innen erkennen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Institutionen nicht an. Entsprechend brisant ist ein aktueller Bericht des MDR: „Der AfD-Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Weißwasser ist anscheinend ein Reichsbürger“, vermeldet der Sender.
Gemeint ist David Kreiselmeier. Laut MDR soll er auf einer Mitglieder-Liste der Gruppierung „Königreich Deutschland“ gestanden und sich bei ihr auch um eine Stelle beworben haben. Kreiselmeier selbst hat Kontakte zu der Reichsbürger-Organisation eingeräumt, bestreitet jedoch, dort Mitglied zu sein.
Es ist nicht der erste Fall dieser Art: Im thüringischen Hildburghausen zog im Juni ein bekannter Neonazi in die Stichwahl für das Amt des Landrates ein. Darf ein Kandidat, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, sich in kommunale Ämter wählen lassen? Wir beantworten dazu die wichtigsten Fragen.
Wer ist in Deutschland wählbar?
Für den Bundestag darf kandidieren, wer Staatsbürger*in und mindestens 18 Jahre alt ist. Die Regeln in den Ländern und Kommunen weichen davon teilweise ab. Für eine hauptamtliche Bürgermeisterwahl in Sachsen gilt zum Beispiel: Die Person muss jünger als 65 Jahre sein. Auf kommunaler Ebene sind auch Staatsangehörige anderer EU-Staaten wählbar.
Grundsätzlich regelt Paragraf 45 des Strafgesetzbuches: „Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden“. Darüber hinaus können Gerichte als Reaktion auf bestimmte politische Straftaten das aktive und passive Wahlrecht für zwei bis fünf Jahre entziehen.
Was regeln die Landesgesetze darüber hinaus?
Was die Verfassungstreue betrifft, ist das Thüringer Kommunalwahlgesetz eindeutig: „Zum Bürgermeister kann nicht gewählt werden, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt“ (Paragraf 24 Absatz 2). Dasselbe gilt für Landrätinnen und Landräte. Nach Meinung des Thüringer Innenministers Georg Maier (SPD) hätte der Neonazi Tommy Frenck deshalb zur Landratswahl in Hildburghausen gar nicht zugelassen werden dürfen.
Im sächsischen Kommunalwahlrecht fehlt eine solche Formulierung. Allerdings müssen Bürgermeisterkandidat*innen auch in Sachsen die „allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis“ erfüllen (Paragraf 49 Absatz 1 Sächsische Gemeindeordnung). Und das Beamtenstatusgesetz stellt in Paragraf 7 ebenfalls klar, dass nur verbeamtet werden kann, wer jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.
Wer entscheidet über die Wahlzulassung eines Kandidaten oder einer Kandidatin?
Der Gemeindewahlausschuss. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen besteht er aus einer*m Vorsitzenden und mehreren Beisitzer*innen. Die verschiedenen Parteien und Wählergruppen im Gemeinderat müssen bei der Auswahl der Beisitzer*innen angemessen berücksichtigt werden.
Warum wurden Kandidaten zugelassen, die mutmaßlich nicht verfassungstreu sind?
Hierzu lassen sich nur Vermutungen anstellen. Über die Entscheidung im Landkreis Hildburghausen ist bekannt, dass dem Ausschuss Informationen des Verfassungsschutzes zum Fall Tommy Frenck vorlagen. Trotzdem stimmte der Ausschuss mit drei zu zwei Stimmen dafür, die Kandidatur des Neonazis zuzulassen. Denkbar ist, dass der Ausschuss sich mit der Aufgabe überfordert sah, den Fall selbst umfassend zu prüfen. Wäre Frenck abgelehnt worden, hätte er Widerspruch einlegen können. Womöglich befürchteten einige Ausschussmitglieder, dass die Wahl später für ungültig erklärt werden könnte.
In Weißwasser hat der Wahlausschuss die Kandidatur des AfD-Kandidaten Kreiselmeier bereits am 8. Juli bestätigt – lange vor dem MDR-Bericht über seine mutmaßlichen Reichsbürger-Verbindungen.
Was passiert, wenn ein Verfassungsfeind gewählt wird?
Dann kann immer noch das Landesverwaltungsamt die Wahl überprüfen. Das wäre wohl auch passiert, wenn Frenck in Thüringen gewählt worden wäre. Wenn das Amt zu dem Schluss kommt, dass der Kandidat nicht wählbar war oder Fehler im Wahlverfahren gemacht wurden, kann es die Wahl für ungültig erklären.
Die Hürden dafür liegen jedoch hoch. Allein die Tatsache, dass ein Bewerber einer Partei angehört, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, genügt nicht. Das zeigte sich, als der AfD-Politiker Robert Sesselmann im Juni 2023 zum Landrat von Sonneberg gewählt wurde. Das Landesverwaltungsamt überprüfte Sesselmanns Verfassungstreue, fand aber nicht genügend Anhaltspunkte, um gegen seine Ernennung zum Landrat vorzugehen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.