Warum der Städtetag vorschlägt, Innenstädte zu „Sonderzonen” zu machen
Innenstädte sind im Wandel. Wohin der Weg „zu multifunktionalen Innenstädten und Zentren“ führt, kann die Imakomm-Akademie in ihrer aktuellen Studie nur vermuten. Der Städtetag schlägt eine Ausweisung als Sonderzone vor, um Hürden abzubauen.
Florian Gaertner/photothek.net
Zwar wirken die meisten Innenstädte nicht mehr so ausgestorben wie zu Zeiten der Corona-Pandemie (hier ein Beispiel aus Dresden). Doch auch ohne das Virus ist es herausfordernd, die Zentren lebendig zu halten.
Die Imakomm-Akademie GmbH ist ein Unternehmen für Marketing und Kommunalentwicklung mit Sitz in Aalen und Stuttgart. In ihrer jüngsten Publikation „Auf dem Weg zu multifunktionalen Innenstädten und Zentren. Hemmnisse, Lösungsansätze und Beispiele“ verweisen die Autor*innen gleich in ihrer Einleitung auf den größten Stolperstein: „Die Leerstelle: Eine gemeinsame Vorstellung, wie die Innenstädte in Zukunft aussehen sollten, ist noch nicht erkennbar.“ Es wird in den Kommunen landauf, landab viel experimentiert, in Popup-Stores ausprobiert, um herauszufinden, was den schwächer werdenden Einzelhandel dauerhaft ersetzen könnte.
Die Denkrichtungen dazu gehen auseinander: Sollen die Zentren im Wesentlichen so bleiben, wie es die Einwohnerschaft gewöhnt ist (Reanimation)? Oder soll in den Innenstädten etwas völlig Neues entstehen, was mit der traditionell bedeutendsten Funktion „Einkaufen“ nur noch wenig gemein hat (Transformation)? Dass dringend etwas gegen das Ladensterben und Verödung der Fußgängerzonen geschehen muss, schließt die Imakomm-Studie aus einer Meinungsumfrage: Nach der wünschen sich 72 Prozent der Befragten eine Veränderung der Innenstädte. Auf die Veränderung kann eine Kommune bedingt Einfluss nehmen. Wenn sie nicht Eigentümerin der Immobilie ist, sind den Planer*innen die Hände weitgehend gebunden.
Multifunktionale Innenstadt: Quelle für Konflikte
Ladengeschäfte werden wohl auf lange Sicht betrachtet nur noch ein Angebot unter vielen anderen sein. Die Innenstadt könnte zu einem Ort für alle Bedürfnisse werden: Neben Einkaufen, Essen oder in die Kneipe gehen auch Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Bildung. Die Autor*innen warnen: „Mit einer Zunahme der Nutzungsvielfalt geht jedoch auch eine Zunahme von Konflikten und Konkurrenzen einher. Dies kann beispielsweise Konflikte zwischen Wohnen und Gastronomie, zwischen innerstädtischen Events oder auch zwischen Handwerk und Produktion betreffen.“
Die Stadt Heidelberg hat das im Oktober in einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zu spüren bekommen. Im Streit mit der Anwohnerschaft um den nächtlichen Partylärm in der berühmten Altstadt musste sie nachgeben. Nun müssen die Kneipen um Mitternacht schließen und nicht erst um zwei Uhr dreißig. Wohnen in der Innenstadt klingt vernünftig. Doch das menschliche Bedürfnis nach Ruhe nachts und an Wochenenden steht im Widerspruch zum Anspruch, auch abends Leben in die Innenstadt zu bringen.
„Sonderzone Innenstadt“ für echtes Experimentieren
Timo Munzinger ist beim Deutschen Städtetag Referent für diesen Themenbereich. Er schlägt in der Studie vor, den Kommunen per Satzung die Ausweisung einer „Sonderzone Innenstadt“ zu erlauben. Seine Begründung lautet: In einer solchen Zone könne von fachgesetzlichen Regelungen abgewichen werden. „Wir öffnen den Raum für echte Experimente und Reallabore mit neuen Rahmenbedingungen und testen dabei auch gleich neue Regelungen, Gesetze und die adäquate Förderung.“
In der Realität, so Munzinger, ist „die Umsetzung des vorgeschlagenen Dreiklangs aus Tun, Dulden und Unterlassen leider nicht immer einfach“. Allzu oft scheitere der gute Wille an rechtlichen Hürden, Vorgaben aus Förderprogrammen oder Fragen der Haftung. Weitere kleinteilige Verbesserungen in einzelnen Paragrafen würden daher nur begrenzt weiterhelfen. „Wir benötigen vielmehr einen gebündelten Ansatz, der ungeachtet der Ressortzuständigkeiten das Ziel in den Blick nimmt – lebendige und attraktive Innenstädte zu entwickeln.“ Seine Hoffnung ist, dass über das Ziel schnell ein Konsens herzustellen sei. Die Frage, wie man dieses Ziel erreicht, sei hingegen strittig. Entsprechend werde über jede einzelne Maßnahme diskutiert und gerungen. Dieses Vorgehen sei ressourcenintensiv und zu langsam. Im Rahmen einer Sonderzone sei ein pragmatischer Steuerungsansatz möglich.
Fehlerkultur zulassen
Das Prinzip von Versuch und Irrtum kommt in der Planungspolitik selten zum Tragen. Doch Munzinger kann dem viel abgewinnen: Mehr Experimente und Reallabore bedeuteten, dass einzelne Maßnahmen scheitern könnten. Dies sei im Einzelfall zwar ein Verlust, könne in der Gesamtheit der Maßnahmen aber zu einer Verbesserung führen. „Wichtig ist, aus den Fehlern zu lernen und das Wissen auch weiterzugeben, sodass sich die Fehler nicht wiederholen.“
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu