Wegen Eisenbahngesetz: Vielen Wohnungsbauprojekten droht das Aus
Der Deutsche Städtetag kritisiert, dass zahlreiche Stadtentwicklungsprojekte blockiert würden. Grund ist eine Änderung im Eisenbahngesetz. Das Eisenbahnbundesamt will deshalb ehemalige Bahn-Flächen nicht mehr für andere Nutzungen freigeben.
IMAGO / Eibner
Der Stuttgarter Hauptbahnhof (Aufnahme vom April 2024): Weil der Bahnhof unter die Erde verlegt wird, könnten hier tausende Wohnungen entstehen. Doch dafür müssen die ehemaligen Bahnflächen entwidmet werden.
Im Dezember 2023 wurde das Allgemeine Eisenbahngesetz geändert. Die Folgen sorgen nun in vielen Kommunen für Ärger. Denn mit der Gesetzesänderung ist es schwieriger geworden, ehemalige Bahnflächen zu entwidmen.
„Die Verschärfung führt aktuell dazu, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) als zuständige Entscheidungsbehörde viele ungenutzte Bahnflächen doch nicht mehr für städtische Planungen freigeben will“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Helmut Dedy nun in einem Statement. Grund sei, dass das Amt keine Flexibilität und keinen Abwägungsspielraum sehe.
Projekte liegen auf Eis
Laut Dedy drohen damit bei vielen wichtigen und großen Stadtentwicklungsprojekten Verzögerungen oder sogar das Aus. Schon heute lägen beim Eisenbahnbundesamt viele städtische Anträge auf Freistellung brachliegender Bahngrundstücke. Darunter auch mehrere Projekte für den Neubau ganzer Stadtviertel mit tausenden neuen Wohnungen. Aber auch der Bau von Universitätsgebäuden, Wohnheimen für Senior*innen, Fernbusterminals und Fahrradparkhäusern sei betroffen. Viele dieser Projekte seien schon lange und intensiv mit der Deutschen Bahn und anderen Beteiligten abgestimmt worden.
Der Städtetags-Hauptgeschäftsführer forderte: „Der Bund muss schnellstmöglich für eine kommunalfreundliche Auslegung des im Dezember 2023 geänderten Allgemeinen Eisenbahngesetzes sorgen und er muss die Verschärfung der Freistellungsvoraussetzungen zurücknehmen.“
Zukunft von „Stuttgart 21”-Bauprojekten unklar
Das äußerte Dedy gegenüber dem „Staatsanzeiger für Baden-Württemberg“. In dem Bundesland wiegen die potenziellen Folgen der neuen Genehmigungspraxis besonders schwer, weil auch das Projekt „Stuttgart 21“ betroffen sein könnte. Dort wird ein neuer Tiefbahnhof gebaut. Auf den Gleisflächen des bisherigen Kopfbahnhofes plant die Stadt 5.700 neue Wohnungen.
Bisher hat Stuttgart den dafür notwendigen Antrag auf „Freistellung“ (also Entwidmung) des Bahngrundstücks noch nicht gestellt, weil es aktuell noch für Bahnzwecke genutzt wird. Nun befürchtet die Stadt, dass das Eisenbahnbundesamt die Flächen auch nicht freistellen wird, wenn es seine Praxis nicht ändert.
Folgenreiche Gesetzesänderung
Auf einer Website zum Bauprojekt berichtet die Landeshauptstadt von Gesprächen, die der Deutsche Städtetag nach eigener Aussage mit dem EBA geführt habe. Demnach vertrete das Amt die Auffassung, dass es Bahnflächen nur noch freistellen könne, wenn die geplanten Projekte im „überragenden öffentlichen Interesse“ lägen. Per Gesetz fallen aber nur wenige Bereiche ausdrücklich in diese Kategorie. Dazu gehören zum Beispiel die Landesverteidigung, Wind- oder Solarkraftanlagen oder bestimmte Bundes-Fernstraßen. Dagegen sind Wohnungsbau oder die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht gesetzlich als „überragendes öffentliches Interesse“ definiert.
Hintergrund ist eine neue Formulierung im Artikel 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Damit wurden Bahnbetriebsgrundstücke ebenfalls als „überragendes öffentliches Interesse“ definiert, selbst wenn sie gar nicht mehr genutzt werden. Für andere Zwecke kann die Fläche nur noch freigestellt werden, „wenn das Interesse des Antragstellers an der Freistellung das (…) überragende öffentliche Interesse überwiegt“. Nach Interpretation des EBA ist das zum Beispiel bei einem Wohnungsbauprojekt nicht der Fall.
Stuttgarter OB hält Änderung für verfassungswidrig
Der Artikel 23 wurde vom Bundestag auf Wunsch des Verkehrsausschusses geändert – im Zuge eines Gesetzespakets, mit dem eigentlich Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschleunigt werden sollten. Dass es damit auch erschwert wurde, Schieneninfrastruktur zu entwidmen, war durchaus Absicht, wie der Grünen-Abgeordnete Mathias Gastel im Oktober 2023 im Bundestag erklärte. Nämlich, „weil wir diese Flächen in Zukunft möglicherweise wieder brauchen, für Logistik oder auch für Strecken, die in die Flächen, in die ländlichen Regionen, gehen.“ Deswegen wolle man diese Flächen für zukünftige Entwicklungen offenhalten.
Für Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) ist der neugefasste Artikel 23 verfassungswidrig. Denn er stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die kommunale Planungshoheit dar. Dem Bundesgesetzgeber sei die Tragweite seiner Entscheidung offenbar nicht bewusst gewesen, sagte er vor wenigen Tagen. Die Stadt Stuttgart betont deshalb auch, dass sie ihre Pläne für neue Wohnungen im Stuttgarter Zentrum nicht gefährdet sehe.
Selbst der Grünen-Abgeordnete Gastel erklärte nun auf seiner Internetseite, dass seine Partei bereit sei, das Allgemeine Eisenbahngesetz erneut zu ändern. Mit Blick auf Stuttgart 21 erklärte er: „Wir werden als Grüne einer Bebauung des Gleisvorfeldes nicht generell im Wege stehen.“
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.