Wie Bürgermeister die SPD mit kommunalen Impulsen erneuern wollen
Bei der Bundestagswahl hat die SPD eine Niederlage erlitten. Nun fordern sozialdemokratische Bürgermeister*innen aus Baden-Württemberg eine Neuausrichtung ihrer Partei. Kommunale Realitäten müssten stärker gehört werden, meinen sie.
Kira Hofmann
SPD-Logo, aufgenommen beim Bundesparteitag im Dezember 2024
Die SPD hat nach ihrem enttäuschenden Abschneiden bei der Bundestagswahl einen Erneuerungsprozess eingeleitet. „Wir stellen uns politisch neu auf“, versprach der Parteivorstand am 3. März, wenige Tage nach der Wahl, in einem Beschluss. Er kündigte an, programmatische Grundsatzfragen in einem offenen, demokratischen und inklusiven Prozess mit Mitgliedern, Bürger*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen zu erarbeiten und zu klären.
Nun haben sich Kommunalpolitiker*innen aus Baden-Württemberg mit eigenen Thesen zu Wort gemeldet. „Kommunale Impulse für eine zukunftsfähige Sozialdemokratie“ heißt das Papier, das sie in der vergangenen Woche veröffentlicht haben. Darin schreiben sie: „Die Zukunft der SPD entscheidet sich nicht in Theoriedebatten, sondern in den Städten und Gemeinden, in denen die konkreten Herausforderungen des Alltags bewältigt werden.“ Kommunalpolitiker*innen setzten sich für pragmatische Lösungen vor Ort ein. Die kommunalen Realitäten würden aber in der Parteispitze zu wenig gehört, meinen die Unterzeichner*innen des Aufrufs.
Wunsch nach Pflichtjahr für alle
Federführend beteiligt waren Jan Hambach, Bürgermeister der Stadt Freiberg am Neckar, und Timo Jung, stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) in Baden-Württemberg. 15 Kommunale haben das Papier erstunterzeichnet, die meisten von ihnen sind Bürgermeister*innen. Mittlerweile haben sich zahlreiche weitere Kommunalpolitiker*innen angeschlossen.
Sie fordern unter anderem Bürokratieabbau und eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, damit sie in die Zukunft investieren können. Wohnungsbauverfahren sollen beschleunigt, kleine und mittlere Unternehmen gestärkt werden. Die Unterzeichner*innen plädieren für ein „Pflichtjahr für alle“, zum Beispiel beim Bund oder im sozialen Bereich.
Kontroverse Positionen
In Bezug auf die Migrationspolitik meinen sie: Menschen mit Bleibeperspektive sollten schneller und gezielter integriert werden. Gleichzeitig brauche es konsequente und zügige Verfahren für Ausreisepflichtige. Und sie fordern: „Wer Teil unserer Gemeinschaft wird, muss sich an demokratische Grundwerte und unser Zusammenleben anpassen.“ Darüber hinaus werben sie für mehr gemeinnützige Arbeit: „Eine gesellschaftliche Verpflichtung für alle, die Leistungen erhalten, stärkt den Zusammenhalt.“
Bei der Kinderbetreuung müsse die Qualität und „nicht die Abdeckung einer möglichst langen Zeitspanne“ im Vordergrund stehen, so die Kommunalpolitiker*innen. Beides gleichzeitig könnten Eltern und Kommunen nicht finanzieren. Helfen könne es, den Rechtsanspruch auf Betreuung vom ersten auf das zweite Lebensjahr zu verschieben und die reguläre Ganztagsbetreuung von zehn auf sieben Stunden zu beschränken.
Mit-Initiator Jan Hambach erklärt im Gespräch mit der DEMO: „Gerade bei der Migration oder bei der Kinderbetreuung sprechen wir auch Sachen an, die nicht unbedingt nur Konsens sind bei uns in der Partei.“ Für kontrovers hält er auch seine Position zum Bürokratieabbau. Denn in der Konsequenz bedeute es, dass die Politik ein Stück weit Kontrolle aufgibt. Wenn man aber beispielsweise den Natur- und Artenschutz etwas herunterschraube, tue das auch weh.
Politik soll Prioritäten benennen
„Klarheit und Glaubwürdigkeit entstehen durch Ehrlichkeit“, heißt es dazu im Impulspapier. Die Politik könne nicht alle Probleme auf einmal lösen. Sie könne aber ehrlich sagen, welche Prioritäten sie setze.
Am 4. März wurde das Papier veröffentlicht. „Die Reaktionen waren tatsächlich überwiegend positiv“, erzählt Hambach. Er hofft, dass das Papier auch in der Parteispitze wahrgenommen wird. Einige Lokalredaktionen hätten es bereits aufgegriffen. Auch für Gespräche mit Abgeordneten sei es hilfreich, auf das Papier verweisen zu können.
Mittlerweile haben SPD und Union im Bund ihre Sondierungsgespräche abgeschlossen. „Ich kann nicht für die Gruppe sprechen, weil wir uns da nicht abgestimmt haben, aber ich selbst finde die Ergebnisse sehr, sehr gut“, zeigt sich Hambach zufrieden. Was ihm fehlt, ist aber das Thema Staatsreform, welches auch ein Kernanliegen des Impulspapiers gewesen sei. „Die Gefahr besteht, wenn wieder mehr Geld da ist, dass der Reformdruck sinkt“.
Dokument zum Download:
Kommunale Impulse für eine zukunftsfähige Sozialdemokratie
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.