Aktuelles

Wie die privaten Arbeitgeber mehr Pflegekräfte gewinnen wollen

Sowohl in den Städten als auch auf dem Land werden Pflege-Fachkräfte dringend gesucht. Die privaten Arbeitgeber präsentierten am Donnerstag ihr Vorschläge, wie sie die Personallücke schließen wollen. Einen Flächentarifvertrag lehnen sie weiterhin ab.
von Carl-Friedrich Höck · 10. August 2018
placeholder

Die Gesellschaft wird älter, und damit nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen zu. Doch woher die Pflegerinnen und Pfleger nehmen? Die Bundesregierung spricht von einem Bedarf von 50.000 Pflegenden, die zusätzlich benötigt werden.

Hier weite Wege, dort hohe Preise

„Gerade in den ländlichen Gebieten hören wir von unseren Mitgliedern, dass es schwierig ist die Fachkraftstellen zu besetzen“, sagt Isabell Halletz. Sie ist Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Pflege, in dem zahlreiche private Pflegeunternehmen organisiert sind. Die ländlichen Gebiete würden vor allem von kleinen Dienstleistern versorgt. Auf dem Land seien die Wege weit und die Löhne etwas niedriger als in den Ballungszentren.

Auf der anderen Seite seien die Lebenshaltungskosten in den Ballungszentren höher. „Man hört aus dem Bereich München, dass es nicht mehr möglich ist Fachkräfte zu finden“, so Halletz. Kaltmieten von 17,50 Euro pro Quadratmeter könnten die sich nicht leisten. Verbandspräsident Thomas Greiner drückt es sogar noch drastischer aus. „Die großen Unternehmen, die bei uns Mitglied sind, investieren in den Ballungszenten wie Köln, Düsseldorf, Hamburg oder München kaum noch in stationäre Einrichtungen.“ Neben den Lebenshaltungskosten hätten sich auch die Baupreise gewaltig entwickelt. „In den großen Städten unserer Republik wird ein gewaltiges Problem auf uns zukommen.“

Sofortprogramm für mehr Fachkräfte

Damit zumindest die offenen Stellen zügig besetzt werden können, hat der Arbeitgeberverband am Donnerstag ein Sofortprogramm vorgeschlagen. Es knüpft an die „konzertierte Aktion Pflege“ an, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) vor kurzem vorgestellt haben. Die Minister wollen das Ausbildungssystem reformieren, aber auch Pflegekräfte aus dem Ausland anwerben und die Arbeitsbedingungen und Gehälter verbessern.

Glaubt man den privaten Arbeitgebern im Pflegebereich, ist letzteres aber gar nicht das Hauptproblem. Der Beruf sei attraktiv, erklärte der Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Pflege Friedhelm Findler bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Immerhin gebe es derzeit 561.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Altenpflegekräfte, also 96.000 mehr als im Jahr 2013. Und ein Altenpfleger könne durchaus mehr verdienen als ein Bankkaufmann oder Mechatroniker. Als Beleg verweist der Arbeitgeberverband allerdings auf den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, an den die eigenen Mitgliedsunternehmen gar nicht gebunden sind und der nur in rund fünf Prozent der Einrichtungen gezahlt wird.

Pflege-Mindestlohn statt Tarifvertrag?

Die Gehälter in der Branche sind sehr unterschiedlich. Die privaten Arbeitgeber wehren sich gegen einen allgemeinverbindlichen Flächentarifvertrag. Stattdessen plädieren sie für einen Pflege-Mindestlohn, den eine Kommission festlegen soll. Für Hilfskräfte gibt es den bereits, nun könnten ja auch Fachkräfte auf diese Weise nach unten hin abgesichert werden, argumentiert Verbandspräsident Thomas Greiner.

Das vom Verband vorgeschlagene „Sofortprogramm“ besteht aus drei „Pilotprojekten“. Das erste Projekt soll zum Ziel haben, 15.000 ausländische Pflegefachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Dazu soll eine zentrale Anerkennungsstelle auf Bundesebene – koordiniert vom Gesundheits- und dem Arbeitsministerium – die bürokratischen Hürden senken. Um Sprachförderung oder die schnelle Erteilung von Visa soll sich eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene kümmern.

Dieser Vorschlag deckt sich teils mit den Ankündigungen der Bundesregierung. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte zum Start der konzertierten Aktion Pflege, man werde „auch im Ausland suchen müssen, aber nur in Ländern mit sehr junger Bevölkerung, die nicht selbst dringend Pflegekräfte benötigen.“ Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. So schrieb der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kürzlich auf vorwärts.de: „Personal aus dem Ausland zu holen, ist das falsche Signal.“ Und Familienministerin Giffey plädiert ebenfalls dafür, zuerst die Arbeitsbedingungen und das Image des Berufs zu verbessern, damit mehr Menschen aus dem Inland in der Pflege arbeiten wollen.

Weiterbildung für Pflegehilfskräfte

Das zweite vom Arbeitgeberverband vorgeschlagene Projekt soll eine Weiterqualifizierung von 15.000 Pflegehilfskräften innerhalb von zwei Jahren sicherstellen. In 188 Stunden könnten diese Hilfskräfte ausgebildet werden und dann die Fachkräfte entlasten, schildert der Verband seine Vorstellungen. Die Arbeitgeber wollen diese Hilfskräfte auch auf die Fachkraftquote anrechnen – die eigentlich vorgibt, dass 50 Prozent der Beschäftigten in der Betreuung Fachkräfte sein müssen.

Entsprechend skeptisch reagiert Gewerkschafter Niko Stumpfögger, Bereichsleiter Betriebs- und Branchenpolitik bei Verdi. Hilfskräfte weiterzuqualifizieren sei zwar eine gute Idee. „Doch wir sind gar nicht einverstanden, wenn sie nach wenigen Wochen auf die Quote der examinierten Fachkräfte angerechnet werden können.“ Da werde offenbar eine Aufweichung der Fachkraftquote durch den Gesetzgeber vorbereitet. „Uns geht es darum, dass die Pflege qualitativ hochwertig bleibt“, betont Stumpfögger.

Den dritten Kern des Sofortprogramms umschreibt der Arbeitgeberverband als „Optimierung vorhandener Personalressourcen“, was letztlich ebenfalls eine Flexibilisierung der Fachkraftquote bedeutet. So sollen auch Logopäden, Physiotherapeuten oder Masseure als ausgebildete Fachkräfte anerkannt werden. Dasselbe hatte auch Gesundheitsminister Spahn erst kürzlich gefordert.

Altersgerechte Wohnungen fehlen ebenfalls

Aus Sicht der Kommunen sind fehlende Fachkräfte bei Weitem nicht das einzige Problem. Ein Beispiel: Damit ältere Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben können, müssen zahlreiche Wohnungen modernisiert werden. In einem Positionspapier zur Pflege rechnet der Deutsche Städte- und Gemeindebund vor: „Rund 700.000 altersgerechte Wohnungen stehen derzeit zur Verfügung, 2,75 Millionen fehlen“. Auch die Themen Mobilität oder soziale Strukturen für ältere Menschen beschäftigen die Politik – insbesondere in ländlichen Gebieten. Es sind also zahlreiche Baustellen abzuarbeiten.

Mit dem Fachkräftemangel fängt die Bundesregierung an. Sie bereitet einen Maßnahmenkatalog vor und will dabei alle Akteure einbeziehen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Pflegekassen, Betroffenenverbände sowie Bund und Länder. Im Rahmen der konzertierten Aktion Pflege wurden fünf Arbeitsgruppen eingerichtet. Sie befassen sich mit Themen wie Ausbildung, Entlohnungsbedingungen, Digitalisierung und Arbeitsschutz. Die AGs sollen nun konkrete Vorschläge erarbeiten.

 

Mehr zum Thema
Was muss getan werden, um die Situation in der Pflege zu verbessern? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch eine aktuelle Debattenseite auf vorwärts.de.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare