Wie Erlangen und Jena ihre Städtepartnerschaft nach 1989 neu erfanden
Erlangen und Jena haben eine der am engsten verflochtenen Städtepartnerschaften in Deutschland. Die Anfänge dieser lebendigen Bürgerpartnerschaft reichen bis in das Jahr 1970 zurück. Es war der CSU-Stadtrat Claus Uhl, der sich dafür einsetzte, dass eine Partnerschaft zwischen beiden Städten zustande kam. Doch erst 1987 unterschrieb Erich Honecker einen entsprechenden Antrag, den der damalige Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Hirsemann in Ost-Berlin übergeben hatte. Es war die vierte deutsch-deutsche Partnerschaft. In DDR-Zeiten wurde sie von Jenaer Seite als Funktionärspartnerschaft gestaltet, in der lebendige Bürgerbegegnungen nicht erwünscht waren. Die ersten wechselseitigen Antrittsbesuche waren überschattet von der strengen Observanz der Erlanger Gäste durch die Staatssicherheit.
Die Opposition suchte den Kontakt zur Partnerstadt
Als sich die Friedliche Revolution Bahn brach und nach der Maueröffnung unumkehrbar wurde, war es mir wichtig, unsere westdeutsche Partnerstadt zu besuchen. Wir wollten als Vertreter der sogenannten Oppositionsparteien baldmöglichst politische Kontakte zu Erlangen aufzunehmen. Nach dem absehbaren Ende der „führenden Rolle“ der SED galt es deutlich zu machen, dass künftig neue Kräfte die Entwicklung Jenas bestimmen würden, die sich gern vorstellen wollten. Außerdem brauchten wir dringend Hilfe – vor allem im Bereich medizinischer Versorgung. Immer mehr Menschen verließen unser Land, die Fachkräftesituation in den Krankenhäusern war ebenso desolat wie deren materielle Ausstattung.
So brach ich mit drei weiteren Oppositionsvertretern am 3. Dezember 1989 zu einer dreitägigen Fahrt nach Erlangen auf – nicht ohne für meinen Trabi Ölvorrat mitzunehmen, damit ich mit dem westlichen Normalbenzin das ebenso anrüchige wie berüchtigte Zweitaktergemisch herstellen konnte.
Die Delegierten waren überrascht
Vor der Begegnung mit dem Oberbürgermeister war ich ein wenig aufgeregt. Ich hatte irgendwie die Vorstellung, dass ein so hoher Amtsträger mit einer gepanzerten Limousine und Bodygards vorfahren würde. Doch nichts dergleichen geschah. Dafür näherte sich ein freundlicher Mensch auf dem Fahrrad und winkte uns schon von Weitem zu.
Ich war sehr beeindruckt von der so persönlichen, lockeren und eher informellen Art der Begrüßung und der sich anschließenden Begegnung mit Dietmar Hahlweg. Was nicht hieß, dass es nicht auch protokollarisch zuging. Da gab es ein Programm, das es in den folgenden Tagen tüchtig abzuarbeiten galt. So standen unter anderem Begegnungen mit dem Direktor der 1. Medizinischen Klinik der Friedrich-Alexander-Universität und mit Vertretern der Fraktionen im Erlanger Stadtrat auf dem Programm. Am Schluss gab es wieder einen Termin mit dem Stadtoberhaupt, wo die Ergebnisse der Treffen ausgewertet und nächste Schritte besprochen wurden. Wir haben in den folgenden Jahren sehr viel Unterstützung von Erlangen erfahren.
Nur zehn Tage später, am 15. Dezember, kam der Erlanger Oberbürgermeister zu einem offiziellen Gegenbesuch nach Jena. Seine erste Station galt den Bürgerinnen und Bürgern – nicht seinem Noch-Kollegen OB Hans Span. Die Begegnung fand im Lutherhaus statt, in dem ich als Pfarrer tätig war. Dietmar Hahlweg sprach eindrucksvoll vor 450 Menschen und besuchte anschließend unsere Projektgruppe „Gesundheitswesen”, wo es sehr konkret wurde. Anschließend war er mein privater Gast.
Auf gleicher Augenhöhe
Ich beschreibe diese ersten Begegnungen ausführlicher, weil sie typisch sind für Tausende Treffen zwischen Menschen beider Städte seit dieser Zeit. Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft, Austausch und das Gemeinsam-nach-vorne-Schauen prägen unsere in Deutschland wohl einzigartige Partnerschaft seit dreißig Jahren. Jährlich am Tag der Deutschen Einheit besuchen sich abwechselnd Hunderte von Bürgern beider Städte, um miteinander zu feiern.
Unsere beiden Städte befruchten sich gegenseitig. Aus einer „Patenschaft“ der Erlanger nach 1989 ist längst eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe geworden. Inzwischen holt man sich auch Rat aus Jena. Wir werden künftig dort noch stärker zusammenarbeiten, wo wir über unsere Stadtgrenzen hinaus helfen können – wie zum Beispiel in unseren Partnerstädten in Nicaragua, San Carlos und San Marcos. Frei nach Antoine Saint-Exupéry können wir sagen: „Partnerschaft besteht nicht darin, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in dieselbe Richtung blickt.“