Aktuelles

Wie geht man mit Extremismus und Populismus in den Kommunen um?

Markus Klein, Geschäftsführer von Demos, dem Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung, unterstützt und berät Menschen, vor allem auch politische Verantwortungsträger, die sich für ein tolerantes Brandenburg einsetzen. Er hat kein „Patentrezept“ in der kommunikativen Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten. Es gelte, in jedem Einzelfall eine adequate Reaktion zu finden.
von DEMO- Redaktion · 21. Juni 2019
placeholder

Sehr geehrter Herr Klein, Sie sind Geschäftsführer von Demos, dem Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung. Was verbirgt sich dahinter?

Als Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung unterstützen wir Demokratie-geleitetes Bürgerengagement in allen gesellschaftlichen Bereichen Brandenburgs. Damit nehmen wir eine politische Aufgabe wahr, gestalten unsere Arbeit aber strikt überparteilich. Es ist uns wichtig, dass sich möglichst viele Menschen an der Gestaltung einer öffentlichen demokratischen Kultur in unserer Gesellschaft beteiligen.

Das klingt ziemlich abstrakt!

Das stimmt und liegt daran, dass wir bedarfsorientiert agieren. Mit unserem Angebot gehen wir maßgeschneidert auf die konkrete Anfrage und lokale Situation ein. Demensprechend groß ist die Bandbreite unseres Angebotes: Sie reicht von Elternberatung, wie gehen diese mit extremistischen Entwicklungen ihres Kindes um, über Beratungen von Bürgermeistern zum angemessenen Umgang mit rechtsextremen Kundgebungen bis hin zu breit angelegten Prozessen zur Stärkung einer demokratischen Kultur und aktiven Beteiligung vieler im Gemeinwesen. In den Jahren 2014 bis 2016 unterstützten wir verstärkt Landkreise sowie Städte und Gemeinden hinsichtlich der Kommunikation zur Errichtung von Gemeinschaftsunterkünften.

Derzeit sind wir mit der starken Polarisierung in der Gesellschaft herausgefordert. Diese Dynamik nimmt seit einiger Zeit stetig zu. In Diskussionen genügt schon ein bestimmtes Wort und der Harnisch wird angelegt, um seinem Gegenüber zu erklären, wie es sich richtig verhält. Dabei geht es dann selten nur noch darum, den anderen verstehen zu wollen, sondern ihn zu überzeugen, dass man selbst die besseren Argumente hat. Das führt dann unweigerlich dazu, dass Freund-Feind-Schemata wieder hoch im Kurs sind. Wir sind die Guten und auf der richtigen Seite. Wer nicht zu uns gehört, nicht zustimmt oder sich nicht an unsere Regeln und Urteile hält, der ist der Feind. Mit Feinden spricht man nicht, sie werden bekämpft. Wie sollen aber gesellschaftliche Spaltungen überwunden werden, wenn die Bereitschaft zum Dialog nicht gegeben ist und die Komplexität einer offenen Gesellschaft negiert wird? Als Demos versuchen wir konsequent diese schwarz-weiß Dichotomien im Beratungsprozess sichtbar zu machen und im besten Falle zu überwinden.

Mit welchen Fragen und Anliegen wenden sich die Menschen in der Regel an Sie? Was bewegt sie meisten?

Aktuell lassen sich zwei Trends bei den Anfragen erkennen: Erstens: Menschen wenden sich an uns, weil sie die Gräben in ihrem Gemeinwesen überwinden wollen, um gut miteinander leben zu können und sehen den Dialog als wesentliches Mittel dazu an. Aus Unsicherheit und der Befürchtung, im Gespräch nicht bestehen zu können, fragen sie häufig nach Argumentationstrainings. Während der konkreten Auftragsklärung wird dann aber schnell deutlich, dass es um mehr geht als um ein klassisches Argumentationstraining. Das eigentliche Anliegen ist häufig die Frage, wie kommen sie mit bestimmten Milieus ins Gespräch, welche Themen wollen sie selbst ansprechen und wie sieht ein erfolgsversprechendes Gesprächssetting aus. Es geht also mehr um die (politische) Kommunikation zu bestimmten Bevölkerungsgruppen. Entweder soll eine solche erst entwickelt oder die vorhandene kritisch reflektiert und ggf. modifiziert werden. Kurz: Sprache (zurück zu) gewinnen!

Zweitens: Im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen immer wieder Konflikte. Insbesondere im öffentlichen Raum versuchen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten solche Konflikte zu instrumentalisieren, indem sie diese ethnisieren oder kulturalisieren. Die präventive Wirkung von gelungenen Konfliktbearbeitungen ist folglich überaus groß. Daher unterstützen wir Zuständige vor Ort, die Konflikte adäquat zu analysieren und Handlungsoptionen zu entwickeln. Dabei verfolgen wir einen inkludierenden Ansatz, der mit einer Perspektive auf das gesamte Gemeinwesen Kommunikationsmechanismen und -formate entwickelt, welche es den verschiedenen Akteuren ermöglicht, abgestimmte Maßnahmenpakete zu entwickeln, die nachhaltig Lösungen schafft.

Es gibt bei Ihnen ein sogenanntes „Mobiles Beratungsteam“. Was ist dessen Aufgabe?

Die Arbeit des Mobilen Beratungsteams (MBT) Brandenburg begann bereits 1992. Seit September 1998 arbeitet das MBT im Rahmen des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg – für eine starke und lebendige Demokratie” der Landesregierung in Brandenburger Kommunen. D. h. unser Fokus liegt auf den Akteuren vor Ort, in den Städten und Gemeinden Brandenburgs. Deshalb stehen heute sechs regionale MBTs mit jeweils zwei bis drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung. Diese sind lokal verankert, kennen die Situationen vor Ort sehr gut und können Akteure direkt in ihrem Umfeld beraten und begleiten.

Auf den Punkt gebracht heißt die Arbeit des MBTs: Hilfe zur Selbsthilfe für eine demokratische Kultur im Land Brandenburg – gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.

Kann sich jede und jeder an Sie wenden?

Die Beratung des Mobilen Beratungsteams steht allen Bürger/innen, Initiativen, Vereinen, politischen Verantwortungsträger/innen und öffentlichen Verwaltungen und somit allen gesellschaftlichen Initiativen und Einzelpersonen, die sich für ein Tolerantes Brandenburg engagieren wollen, zur Verfügung. Unsere Beratung ist kostenlos – aber hoffentlich nicht umsonst. Alle Beratungsanfragen werden vertraulich behandelt.

Am 26. Mai waren Kommunalwahlen im Land Brandenburg. Das hat auch die politische Landschaft in den Kommunen sicherlich noch einmal deutlich beeinflusst. Wie beurteilen Sie das?

Vielleicht beginne ich mit dem Positiven: die „hohe Wahlbeteiligung“ und die „Bedeutungslosigkeit rechtsextremer Parteien“.

Die Wahlbeteiligung ist bei beiden Wahlen im Vergleich zu 2014 um mehr als 10 Prozent in Brandenburg gestiegen. Bei der Kommunalwahl ist auch die Anzahl der Bewerber/-innen deutlich angestiegen: von 5.656 (2014) auf 6.131 (2019).
Die rechtsextremen Parteien spielen in Brandenburg zurzeit keine Rolle mehr. Den Parteien „Die Rechte“ und „III. Weg“ kamen bei der EU-Wahl in Brandenburg gerade einmal auf 0,1 Prozent, die NPD konnte in den Landkreisen und kreisfreien Städten nur fünf Mandate erringen. 2014 waren dies noch 20.

Die Wahl am 26. Mai hat gezeigt, dass das Parteiensystem sich verändert. Die Anzahl der zur Wahl antretenden Parteien nimmt ebenso zu wie die in die Parlamente gewählten Parteien oder Bürgerlisten. Dies ist einerseits ein Abbild hoher Diversität und macht aber andererseits demokratische Aushandlungsprozesse und Koalitionsbildungen perspektivisch deutlich schwieriger.

Darüber hinaus fällt auf, dass in Kommunen, wo Parteien strukturell gut aufgestellt sind, d. h. personell verankert sind und  kontinuierlich mit den Bürgern kommunizieren, sich dies auch in höheren Wahlergebnissen sichtbar abbildet. Wenn Parteien in bestimmten Regionen keine Kandidaten mehr aufstellen können, weil die personelle Lage dies nicht ermöglicht, dann können sie auch nicht gewählt werden.

Während des Kommunalwahlkampfes haben sich viele Kandidierende an uns gewandt, wie sie auf meist eingängige, aber deutlich populistischen Äußerungen in den sozialen Medien oder direkt vor Ort reagieren sollten. Würden Sie sagen, dass das zugenommen hat und dass populistische Parolen salonfähig geworden sind?

Die AfD ist mittlerweile auf allen Ebenen (EU, Bund, Land und Kommunen) verankert und setzt bisher vorrangig auf Provokation und populistische Kommunikation. Das verändert natürlich das politische Klima. Der Populismus als Art der politischen Kommunikation, die auf eine Entgegensetzung von „Volk“ und „Elite“ abzielt, um damit etablierte Parteien zu delegitimieren bzw. das Vertrauen in diese zu erschüttern, wirkt selbstredend verunsichernd auf diejenigen, die sich als Kommunalpolitiker für das Gemeinwesen engagieren. Es wundert mich also nicht, dass sich viele Kandidierende an Sie wandten. Das deckt sich auch mit unserer Wahrnehmung vor Ort.

Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es zumeist gar nicht mehr um kommunale Inhalte ging oder um die Lösung politischer Fragen, sondern um Provokation, Schlagworte, Wahlwerbung für die eigene Sache und Diskreditierung der anderen. Eine sachliche Diskussion war oftmals kaum möglich. Das war für viele mühsam, die sich bemüht haben, fachlich zu diskutieren. Wie geht man damit um? Sich auf jede Diskussion einlassen oder alle vermeiden?

Sachliche Diskussionen erfordern eine grundlegende Bereitschaft und die Fähigkeit zur sachlichen Auseinandersetzung auf allen Seiten. Wenn dies nicht gegeben ist, dann kann es durchaus sinnvoll sein, eine Diskussion zu vermeiden. Daher sollte man in bestimmte Diskussionen nicht unvorbereitet gehen und sich darüber klar sein, dass man verschiedene Handlungsoptionen hat. Argumentieren ist eine davon. Ignorieren oder moralisieren sind ebenfalls mögliche Reaktionen. Ignorieren bedeutet dabei nicht, nicht zu agieren, sondern etwas oder jemanden absichtlich unbeachtet zu lassen. Bei Moralisieren werden Positionen auch nach einem „Gut-Böse“-Schema bewertet, das politische Leidenschaften verdeutlichen kann, aber auch ausgrenzend wirken kann. Jede der drei Optionen hat Vor- und Nachteile, die situativ abgewogen werden müssen.

Grundsätzlich ist der Wahlkampf kommunikativ immer eine schwierige Zeit, weil die (mediale) Aufmerksamkeit im Vordergrund steht. Der Wahlsonntag hat aber auch gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler zwischen den verschiedenen Ebenen sehr wohl unterschieden haben. Während bei der EU-Wahl die Bewertung der Bundesregierung eine Rolle gespielt hat (Protestwahl), sind auf der kommunalen Ebene stärker Personen und Sachthemen wahlentscheidend. Die deutlich höheren Zustimmungswerte zu AfD und Die Partei auf der EU-Ebene als auf der kommunalen Ebene zeigen in diese Richtung.

Mit einer nüchternen und pragmatischen Perspektive lassen sich aus den Wahlergebnissen auch die Aufforderungen der Wähler zu „mehr Demokratie wagen“ und „Mut zur Auseinandersetzung“ ableiten. Jene Parteien, die sich mit klaren Positionen zeigten, wie AfD und Grüne, erscheinen offensichtlich attraktiv für die Wähler. Die Brandenburger wünschen sich augenscheinlich den öffentlichen Streit zu bestimmten Themen und wollen diesen auch in den Parlamenten. Neben dem Wunsch nach klaren Positionen ist es auch eine klare, nicht akademische und nach Verwaltung klingende Sprache, die sich die Wählerinnen und Wähler von der Politik wünschen.

Viele unserer Mitglieder, aber auch wir als SGK, haben die Erfahrung gemacht, dass nicht nur populistische ­Äußerungen gemacht werden, sondern durchaus auch solche rassistischer, antisemitischer oder extremistischer Natur. Einige enthielten zudem Gewalt­androhungen. Was kann man einer Kommunalpolitikerin, ­einem Kommunalpolitiker raten, die oder der damit konfrontiert wird?

Bei Gewaltandrohungen bzw. eindeutigen Attacken gegen eine Person ist das ziemlich klar: Strafanzeige bei der Polizei. Bei nicht so eindeutigen Sachverhalten sind verschiedene Reaktionen denkbar, die von verschiedenen Faktoren abhängig sind. Das Gewicht der jeweiligen Aussage, die zu erwartende Reaktion des politischen Gegners oder die eigene Verfasstheit sind Faktoren, die auf jeden Fall berücksichtigt werden sollten. Unser Mobiles Beratungsteam kann dabei unterstützend sein, eine adäquate Reaktion zu finden oder präventiv helfen, sich auf mögliche Situationen gut vorzubereiten, um dann handlungssicher zu sein.

In den kommunalen Vertretungen ist die Situation noch einmal eine andere als außerhalb. Dort muss abgestimmt werden, ­Beschlüsse bilden die ­Grundlage für Entscheidungen in den Kommunen. Man muss irgendwie miteinander klarkommen. Was würden Sie den neu oder erneut gewählten ­kommunalen ­Vertretern raten, wenn sie ­innerhalb der Vertretungen mit Äußerungen wie oben skizziert konfrontiert werden?

Leider gibt es kein Patentrezept in der kommunikativen Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten und auch nicht die eine richtige Reaktion. Je nach Anlass, Kontext und potenziellen Wirkungen auf die Öffentlichkeit sind verschiedene Strategien des Umgangs möglich und sinnvoll. Nicht jede strategisch kalkulierte Provokation muss auch angenommen, nicht jedes Argument muss aufgenommen und politische Leidenschaften müssen nicht zwingend unterdrückt werden. Die Wahl des Mittels ist auch abhängig von den eigenen Möglichkeiten in der jeweiligen Situation. Ist das Gegenüber nicht an einem vernünftigen Dialog interessiert, bleibt oft nur Ignorieren als Mittel der Wahl. Ansonsten ist Argumentieren meist die beste Art der kommunikativen Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten. Dabei sollte man zuhören, verstehen wollen und sich erklären. Denn wer versteht, wird auch besser verstanden, kann besser argumentieren und wird von seinen Kontrahenten und Zuhörern ernst genommen.

In der praktischen Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus, sei es bei der Familienfeier, im Verein oder in der Gemeindevertretung, steht weniger die Verfassungsordnung zur Disposition, sondern die gelebte politische Kultur. Dieser relativierende Blick kann einem auch ein wenig Gelassenheit geben, denn es geht nicht um Leben oder Tod. Im Kräftefeld von Positionierung und Gegenpositionierung leistet man nur einen kleinen Beitrag, der eben in unterschiedlicher Weise erfolgen kann.

Können ­Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, ­Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und alle haupt- und ehrenamtliche Aktiven in den Kommunen sich an Sie ­wenden, wenn Sie Fragen zu dem Umgang mit Populismus und Extremismus haben?
Selbstverständlich.

Das Interview ist zuerst in der Brandenburg-Ausgabe der DEMO erschienen.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare