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Wie Hamburg mit „Housing first” Wohnungslosigkeit bekämpft

Hamburg stockt sein 2021 beschlossenes Modellprojekt Housing First auf und plant, es langfristig fest zu etablieren. Hinzu kommt ein Fokus auf junge Obdachlose.

von Susanne Dohrn · 13. November 2024
Panoramablick Hamburg

Blick auf Hamburg: Die Hansestadt setzt im Kampf gegen Wohnungslosigkeit auf ein „Housing first”-Konzept.

Wer jeden Tag in seine warme Wohnung zurückkehrt, kann sich nicht vorstellen, wie es ist, wohnungslos zu sein. Auf der Straße zu leben bedeutet eine Existenz ohne festes Dach über dem Kopf, ohne Toilette, ohne die Möglichkeit, sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Im Jahr 2022 starte Hamburg deshalb das Modellprojekt Housing First. Bei dem in den USA in den 1990er Jahren entwickelten Konzept stehen eine eigene Wohnung und ein normales Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten am Anfang des Hilfeprozesses.

Wohnungslose müssen bei Housing First nicht vorab unter Beweis stellen, dass sie „wohnfähig“ sind. Es ist umgekehrt: „Die Lösung des Wohnproblems ist die Voraussetzung für die Annahme weiter Hilfen, die dann Schritt für Schritt angegangen werden und vielleicht gelöst werden können“, sagt Iftikhar Malik. Der Jurist ist Sprecher für Wohnungslosenhilfe der SPD-Faktion Hamburg und Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. „Das Projekt ist so erfolgreich, dass das Kontingent von Wohnungen ausgeschöpft ist. Wir müssen es unbedingt aufstocken“, so Malik.

Mehr Wohnungen für Menschen ohne Obdach

Deshalb hat die Hamburger Bürgerschaft auf Antrag der beiden Regierungsfraktionen von SPD und Die Grünen beschlossen, die Fördersumme von 400.000 Euro jährlich um 20 Prozent zu erhöhen. SPD und Grüne wollen das Wohnungsangebot für Menschen ohne Obdach kurzfristig erweitern. Außerdem soll Housing First fester Bestandteil der Obdachlosenhilfe in Hamburg werden.

Housing First stellt die Versorgung mit Wohnraum an den Anfang des Hilfeprozesses. Im weiteren Prozess wird dann bedarfsgerecht eine intensive wohnbegleitende Hilfe von einem Träger der Wohnungslosenhilfe organisiert, um eine Stabilisierung der Lebenslage zu unterstützen. „Die größte Herausforderung ist die Akquise von Wohnungen“, so Malik. Mit im Boot sind dabei in Hamburg private und genossenschaftlich organisierte Vermieter sowie Hamburgs städtischer Vermieter, die SAGA. Malik: „Die Vermieter gehen in wirtschaftlicher Sicht kein Risiko ein, denn die Betroffenen sind leistungsberechtigt und die Miete wird durch soziale Leistungen wie Bürgergeld oder beispielsweise Wohngeld finanziert.“

Voraussetzung: die Kooperationsvereinbarung

31 ehemals langzeitobdachlose Personen, die in 29 Einzelhaushalten und einem Zwei-Personen-Haushalt leben, haben derzeit über Housing First eine Wohnung mit unbefristetem Mietvertrag erhalten. Dazu müssen sie volljährig und Leistungsberechtigt sein, also zum Beispiel Bürgergeld erhalten. Außerdem muss Einvernehmlichkeit herrschen. Das bedeutet, wer einen solchen Mietvertrag unterschreibt, muss sich im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung bereit erklären, an regelmäßigen Beratungsgesprächen teilzunehmen. Ein Trägerverbund, bestehend aus dem Diakonischen Werk Hamburg, der Benno-und-Inge Behrens-Stiftung und dem Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost, realisiert das Projekt Housing First in Hamburg in Zusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen, Vermieterinnen und Vermietern und dem sozialarbeiterischen Angebot einer Wohnbegleitung. „Das Modellprojekt hilft den Betroffenen dabei, ihren Alltag mittelfristig selbst strukturieren und beispielsweise Arbeit aufnehmen zu können“, betont Sozialsenatorin Melanie Schlotzauer (SPD).

„Die Vergabe der Wohnungen erfolgt nach der Reihenfolge der Anmeldungen“, so Malik. Es habe etwa 300 Interessierte gegeben, viele von ihnen befänden sich noch auf der Warteliste. Auch deshalb sei die Erweiterung des Programms und seine Verstetigung über den 30. Juni 2025 hinaus unbedingt nötig. Malik: „Wir wollen, dass Housing First fester Bestandteil des Hilfesystems wird.“ Derzeit findet eine Evaluation statt. Das Ergebnis soll im Sommer 2025 vorliegen. Zahlen aus anderen Städten zeigen, dass die „Wohnstabilität“, also das langfristige Wohnen in einem stabilen Mietverhältnis, bei mehr als 90 Prozent liegt. Mitte 2024 startete in Hamburg zudem ein Hilfsprogramm für wohnungslose junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren. Sie tauchen in der Wohnungslosenstatistik nicht auf, solange sie kurzfristig bei Freunden oder Bekannten unterkommen können oder sexuelle Beziehungen eingehen, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Das Modellprojekt vermittelt ihnen ein Zimmer und hilft bei der Suche nach einer eigenen Wohnung, um einer Verfestigung der Wohnungslosigkeit vorzubeugen. 

Autor*in
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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