Wie Kommunen richtig auf Reichsbürger*innen reagieren
Amadeu-Antonio-Stiftung wurde 1998 gegründet, um eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Judith Rahner ist Fachbereichsleiterin bei der Stiftung und Expertin für Rechtsextremismusprävention. Mit ihr haben wir über das Phänomen der Reichsbürger*innen gesprochen.
DEMO: Nachdem mutmaßliche Putsch-Pläne bekanntgeworden sind, wird derzeit viel über Reichsbürger*innen gesprochen. Was ist das eigentlich?
Judith Rahner: Das Wort Reichsbürger*innen ist bei genauer Betrachtung ein irreführender Begriff für dieses heterogene Ideologiefeld. Es gibt vier große Strömungen. Das sind zum einen die Souveränist*innen. Sie glauben, dass Deutschland nicht souverän sei und der deutsche Staat nicht existieren würde. Das wollen sie ändern. Zweitens gibt es die sogenannten Selbstverwalter*innen. Plakativ gesagt: Sie ziehen einen Zaun um ihr Grundstück und beschließen: Das ist jetzt mein eigenes Reich, hier bin ich der König und hier gelten nicht die Gesetze der Bundesrepublik und wer hier eindringt, gegen den darf ich mich mit Gewalt wehren.
Drittens gibt es das klassische Reichsbürger*innen-Milieu. Sie gründen Reichsregierungen mit eigenen Verfassungen. Da kursieren sehr viele rassistische und antisemitische Verschwörungsideologien. Zum Beispiel, dass der deutsche Staat eigentlich nur eine GmbH sei. Als Argument wird herangeführt, dass man einen Personalausweis habe, also Personal der BRD GmbH sei. Diese Leute gehen aufs Bürgeramt, geben ihre Pässe zurück und stellen Fantasiepässe aus. Und viertens gibt es Rechtsextreme, die sich das Deutsche Reich in den Grenzen von 1939 zurückwünschen.
Das ist nur eine idealtypische Beschreibung der Milieus. Sie tragen untereinander Grabenkämpfe aus, sind sich teilweise spinnefeind. Aber worin sie sich einig sind: Sie lehnen die Demokratie ab, sie lehnen das Rechtssystem ab und teilen oft Verschwörungserzählungen.
Wie stark ist dieses Phänomen ausgeprägt?
In Deutschland gehen wir davon aus, dass diesen Milieus etwa 23.000 Menschen angehören. Die Zahlen sind aber mit Vorsicht zu genießen. Die Szene ist gewachsen. Die Verfassungsschutzämter, die diese Zahlen erheben, haben lange Zeit nicht genau hingesehen. Das hat sich erst in den letzten 5-6 Jahren geändert.
Reichsbürger*innen erkennen staatliche Institutionen nicht an. Zu welchen Konflikten führt das auf der kommunalen Ebene?
Tatsächlich sind die Kommunen besonders betroffen. Wenn Menschen die deutschen Gesetze und das Rechtssystem nicht anerkennen, kommen sie häufig zuerst mit kommunalen Behörden und der Polizei in Konflikt. Der Anlass kann zum Beispiel ein nicht bezahltes Parkticket sein. Die Szene ist sehr sendungsbewusst. Dort gibt es Menschen, die in ellenlangen Schriftsätzen die Gesetzeslage auseinandernehmen wollen und historische Einlassungen machen. Verwaltungsbeamt*innen in den Bürgerämtern bekommen E-Mails oder Anrufe, mit denen Leute zu begründen versuchen, warum die Gesetze nicht für Person XY gelten würden. Sie wollen Ausweise zurückgeben, keine Steuern zahlen und erkennen die Gerichte nicht an.
Wie sollten Kommunen auf das Phänomen reagieren? Kann man die Spinnereien von Reichsbürger*innen einfach ignorieren?
Die Mitarbeiter*innen der Verwaltung müssen sich gezwungenermaßen damit auseinandersetzen, wenn Reichsbürger*innen ins Bürgeramt kommen. Deshalb ist es wichtig, dass das Personal in den Kommunen gut geschult ist. Das hilft, schnell zu erkennen: Mit wem habe ich es zu tun? Biete ich diesen Menschen den Raum, ihre Thesen ausführlich vorzutragen? Macht es Sinn, sich inhaltlich darüber zu streiten? In den meisten Fällen nicht, weil diese Leute ein geschlossenes ideologisches Weltbild haben.
Wie soll man dann reagieren?
Es gilt, Dienst nach Vorschrift zu machen und sich nicht in langen Diskussionen zu verstricken. Es gibt auch ganz praktische Tipps. Wenn sich jemand vermeintlich ein neues Reich schafft, eine Fahne hisst und sich eine Fantasieadresse gibt, wäre es kontraproduktiv, wenn der Verwaltungsangestellte sein Schriftstück an diese Fantasieadresse zurückschickt. Ein Reichsbürger sagt dann nämlich: Aha, damit erkennt die Verwaltung das von mir ausgerufene Reich an! In Schulungen lernt man, solche Fallen zu erkennen und den Reichsbürger*innen kein zusätzliches Forum zu geben.
Es gibt aber auch ernste Auseinandersetzungen, weil Beamt*innen bedroht werden. Damit gehen die Verwaltungen unterschiedlich um. Ich habe von Schulungen gehört, wo Angestellte gelernt haben, wie man sich am Schreibtisch notfalls mit dem Tacker oder dem Locher zur Wehr setzt, wenn man angegriffen wird. Wir würden immer dazu raten, nicht alleine in Gespräche mit Reichsbürger*innen zu gehen. Je nach Situation kann es auch sinnvoll sein, Anzeige zu erstatten und die Polizei hinzuzuziehen.
Wohin können Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen sich wenden, wenn sie bedroht werden oder Unterstützung benötigen?
Wir erleben das Phänomen sehr oft in ländlichen Regionen und kleinen Kommunen. Da ist die beste Adresse immer die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Die gibt es in allen Bundesländern. In manchen Ländern wie Baden-Württemberg oder Berlin gibt es außerdem Anlaufstellen, die sich speziell mit Verschwörungsideolog*innen und Reichsbürger*innen befassen. Teilweise bieten auch Sektenberatungsstellen so etwas an. Dazu kommen viele zivilgesellschaftliche Vereine, an die man sich wenden kann, darunter auch die Amadeu-Antonio-Stiftung. Es ist immer sinnvoll, sich mit anderen Leuten zusammenzusetzen, die das Phänomen einordnen können. Und die auch im konkreten Fall einschätzen können: Wir hoch ist das Gefahrenpotenzial?
Nach den jüngsten Razzien im Milieu scheint es, als seien viele Deutsche überrascht, dass Reichsbürger*innen einen bewaffneten Staatsstreich geplant haben sollen. Hat unsere Gesellschaft das Thema unterschätzt?
Ja, diesen Eindruck habe ich. Man glaubt schnell, das seien irgendwelche Querulant*innen, die man als harmlose Spinner*innen abtun kann. Gerade wegen ihrer Wahnhaftigkeit können sie aber gefährlich sein. Dafür muss nur ein Einzelner bewaffnet losziehen. Was jetzt viele irritiert hat, ist die Erkenntnis, wie organisiert die Szene ist. Sie haben Kontakte und Netzwerke bis hinein in die Sicherheitsbehörden, in die Bundeswehr, die Polizei und auch in die Politik. Ein ehemaliger Gourmetkoch ist dabei, ein Adeliger auch und eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete. Und die Szene ist gewaltaffin. Bei den Razzien sind mehr als 90 Waffen gefunden worden und mehrere 1.000 Schuss Munition. Die Sicherheitsbehörden nehmen das mittlerweile ernst. Die Zivilgesellschaft sollte das auch tun, sich informieren, widersprechen und Zivilcourage zeigen.
Die Bundesregierung hat in dieser Woche ein Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht. Hilft das weiter?
Auf jeden Fall. Die Bildungsarbeit und die demokratische Zivilgesellschaft werden damit gestärkt. Demokratie fällt nicht vom Himmel. Sie braucht Menschen, die sich dafür engagieren, auch beruflich. Und die brauchen eine Förderlandschaft, die Projekte auch längerfristig finanziert, damit sie auf Phänomene wie z.B. Reichsbürger*innen professionell reagieren können. Das Demokratiefördergesetz ist dafür total wichtig. Seit 20 Jahren wurde darum gerungen. Dass das Bundeskabinett es jetzt beschlossen hat, ist für mich ein historischer Tag.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.