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Wie mangelnde Kontrolle von Privatschulen zur sozialen Abschottung führt

Laut einer neuen Studie die Schulgeldpraxis vieler Privatschulen ungerecht. Durch hohe Gebühren schließen sie Schüler aus einkommensschwachen Familien aus. Das Wissenschaftszentrum Berlin sagt: Das verstößt gegen das Grundgesetz.
von Lars Haferkamp · 14. Juli 2017
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Gerechtigkeit ist eines der Themen im Bundestagswahlkampf. Ungerecht ist laut einer neuen Studie die Schulgeldpraxis vieler Privatschulen. Durch hohe Gebühren schließen sie Schüler aus einkommensschwachen Familien aus. Das Wissenschaftszentrum Berlin sagt: Das verstößt gegen das Grundgesetz.

Das Grundgesetz ist eindeutig: Schüler dürfen nicht nach Einkommen getrennt unterrichtet werden. Eine Genehmigung für Privatschulen darf deshalb nur erteilt werden, wenn „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“.  Das schreibt Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes vor. Doch genau diese Aussonderung findet in Deutschland statt. So das Fazit einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), die am Donnerstag in der Hauptstadt vorgestellt wurde.

Deutliche Kritik an den Bundesländern

Professor Michael Wrase, Experte für Sozial- und Bildungsrecht und einer der Autoren der Studie, übt deutliche Kritik an den für die Privatschulen zuständigen Bundesländern. Mangelnde Regulierung und Kontrolle führten zur sozialen Abschottung der so genannten privaten Ersatzschulen. Sie werden staatlich gefördert und sollen staatliche Schulen voll ersetzen. Die Schulgeldpraxis in den konkret untersuchten Bundesländern Hessen und Berlin hält Wrase sogar für rechtswidrig.

Die gesetzlichen Vorgaben und Kontrollen, die Kindern unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern den Zugang zu Privatschulen garantieren sollen, seien in den meisten Bundesländern mangelhaft oder fehlten ganz, so ein Fazit der Studie. Die Folge: Viele Kinder aus einkommensschwachen Familien können es sich schlicht nicht leisten, Privatschulen zu besuchen.

600 Euro Schulgeld pro Monat in Hessen

Wrase stellt klar, auch Privatschulen „müssen allen Kindern unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Eltern offen stehen“. Liege diese Voraussetzung nicht vor, hätten die Privatschulen auch keinen Anspruch mehr auf eine staatliche Förderung. Dies ergebe sich klar aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, so der Jura-Professor. In der Regel erhalten Privatschulen in Deutschland 60 bis 90 Prozent ihrer Finanzierung vom Staat.

In der Bundesrepublik gibt es nach der Studie des WZB drei Typen von Regelungen bei den Privatschulen. Das Land Hessen wurde stellvertretend für die Bundesländer untersucht, die ganz auf Vorgaben für private Ersatzschulen verzichten. Die Folge ist ein sehr hohes Schuldgeld. 600 Euro im Monat seien in Hessen keine Seltenheit, so Wrase. Für Familien mit kleinen Einkommen unerschwinglich.

Auch Berlin verhält sich rechtswidrig

Dann gebe es die Länder, die das Schulgeld nicht per Gesetz, sondern nur durch Verwaltungsvorgaben regeln. Dazu zählt Berlin. Hier werden aktuell 100 Euro Schulgeld monatlich erlaubt. Die Autoren der Studie kritisieren: „Diese Grenze verfehlt das vom Grundgesetz vorgeschriebene Sonderungsverbot, da sich viele Familien in Berlin solche Schulgebühren nicht leisten können.“ Darüber hinaus beruhe die Regelung „auf einer unzureichenden Rechtsgrundlage“. Verantwortlich dafür sei der Berliner Senat, kritisiert Wrase.

Wie sehr die gegenwärtige Praxis zur sozialen Abschottung führt, zeigen die Zahlen der Studie eindrucksvoll. So beträgt der Anteil von Kindern mit Lernmittelbefreiung, die also aus einkommensschwachen Familien kommen, in den Berliner Klassen 7 bis10 rund 32 Prozent. An den privaten Ersatzschulen liegt ihr Anteil jedoch bei unter acht Prozent.

Positivbeispiel Baden-Württemberg

Verschärfend käme in Berlin die Praxis mangelnder Kontrolle und Nichteinhaltung von Vorgaben hinzu. „Die Mehrheit der Berliner Privatschulen verstößt im Schuljahr 2016/2017 gegen die Vorgaben des Senats“, so die Studie. „Von 94 Grundschulen in freier Trägerschaft halten nur 30 die Vorgaben ein.“

Als dritten Typ und Positivbeispiel führt Professor Wrase das Land Baden-Württemberg an. Dieses sei durch ein Urteil des Landesverfassungsgerichtes zu einer Änderung der Rechtslage gezwungen worden. Dem trage der aktuelle Entwurf des Privatschulgesetzes Rechnung. Er sieht eine Grenze für das durchschnittliche Schulgeld von 160 Euro pro Monat vor und schreibe darüber hinaus zwingend eine Einkommensstaffelung der Elternbeiträge vor, die zudem maximal fünf Prozent des Haushaltsnettoeinkommens betragen dürfen.

Zahl der Privatschulen wächst und wächst

Michael Wrase hofft, dass die anderen Bundesländer künftig diesem Beispiel folgen. Dies sei auch deshalb wichtig, weil die Zahl der Privatschulen in Deutschland von Jahr zu Jahr steige. Wrase nennt als Beispiel Zahlen aus Berlin. Vor 2004 hätten in der Hauptstadt nur 6 Prozent der Schüler eine Privatschule besucht, mittlerweile habe sich die Zahl mit aktuell 13 Prozent mehr als verdoppelt.

Kritik übt der Bildungsforscher auch an der „Intransparenz“ vieler Privatschulen in Deutschland. Da sie staatlich gefördert würden, hätten die Steuerzahler auch einen Anspruch zu erfahren, was genau der Staat fördere. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.

Der Text wurde zuerst auf vorwaerts.de veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung des vorwaerts.

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Lars Haferkamp

ist leitender Redakteur und Textchef des vorwaerts
 

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