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Wie Schwanewede und Herford alte Militärflächen zivil umnutzen

Trotz Zeitenwende: In Schwanewede und Herford werden alte Militärflächen in eine zivile Nutzung überführt. Welche Erfahrungen sie gemacht haben und was sie anderen Kommunen für solche Fälle raten, erzählen die Bürgermeister*innen Christina Jantz-Herrmann und Tim Kähler.

von Ulf Buschmann · 20. Dezember 2024
Bildungscampus Herford

Der Herforder Bildungscampus gilt als Erfolgsmodell in Sachen Flächenkonversion.

Die niedersächsische Gemeinde Schwanewede und die nordrhein-westfälische Stadt Herford haben eines Gemeinsam: Sie überführen ehemals militärisch genutzte Flächen in eine zivile Zukunft. In Herford läuft dieser Prozess seit mehr als zehn Jahren, Schwanewede ist noch ganz am Anfang. Wie sprachen mit den beiden Bürgermeistern Christina Jantz-Herrmann (Schwanewede) und Tim Kähler (Herford).

DEMO: Frau Jantz-Herrmann, Herr Kähler, Ihre beiden Gemeinden sind mittendrin in der Konversion ehemaliger Kasernen hin zu ziviler Nutzung beziehungsweise haben diese schon recht erfolgreich bewältigt. Welche Bilanz ziehen Sie bis jetzt? Ist das eingetreten, womit Sie gerechnet haben oder ist doch mehr zu tun als gedacht?

Christina Jantz-Herrmann: Für eine abschließende Bilanz ist es bei uns in Schwanewede noch zu früh, denn wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses. Was ich jedoch bereits sagen kann: Solche Projekte erfordern viel Geduld, Beharrlichkeit und Ausdauer. Unvorhergesehene Herausforderungen gehören dazu, und es hilft, diese sachlich, ruhig und Schritt für Schritt zu bewältigen. Wichtig ist, die Erwartungen der Bürger*innen zu moderieren – Konversion ist ein langfristiger Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen werden kann. Von der Dimension her war uns klar, dass wir hier mit etwa 85 Hektar eines der größten Konversionsprojekte Niedersachsens stemmen. Für eine Gemeinde mit rund 20.000 Einwohnern ist das eine enorme Aufgabe, die die Verwaltung stark fordert. Überraschungen gibt es dennoch immer wieder, aber wir sind fest entschlossen, diesen Weg erfolgreich zu gehen.

Tim Kähler: Sowohl als auch. Auf der einen Seite haben wir in Herford sehr erfolgreich den ersten Teil dieser Kasernenflächen mit Bildungseinrichtungen wie einer Fachhochschule, Studienzweigen und guter Nachfrage nach Unternehmen realisieren können. Beim Umbau selbst stößt man dann doch auf die eine oder andere Herausforderung, die zu Mehrkosten führt. Was immer im Bauprozess passieren kann. Unter dem Strich haben wir zurzeit schon 70 Millionen Euro verbaut und gut vermietet und verpachtet, sodass wir nach wie vor ein positives Betriebsergebnis haben.

Christina-Jantz-Herrman

Schwanewedes Bürgermeisterin Christina Jantz-Herrmann ist seit Januar 2021 im Amt. Von 2013 bis 2017 gehörte die SPD-Politikerin dem Deutschen Bundestag an.

Christina-Jantz-Herrman

Vor welchen Herausforderungen stehen die Kommunen allgemein und speziell in Ihren beiden Fällen? Ich denke da zum Beispiel an die erheblichen Kosten.

Christina Jantz-Herrmann: Zudem ist die Dimension des Projekts eine besondere Herausforderung. Die Größe des Areals, es sollen mehr als 500 bis 600 Wohneinheiten, Gewerbeflächen, Angebote für Sport, Kultur und Freizeit entstehen, steht in einem besonderen Verhältnis zur Größe der Gemeinde, was uns organisatorisch stark fordert. Dennoch sind wir überzeugt, dass wir diese Herausforderungen bewältigen können, wenn wir weiter Schritt für Schritt vorgehen.

Tim Kähler: Natürlich, wenn man die Kosten betrachtet. Wir haben hier auf der anderen Seite unter anderem sieben Hektar Bauland und eine Investition für 450 Wohnungen, Nahversorgung et cetera vor der Brust. Also werden wir privates Kapital benötigen. Da besteht die Herausforderung, den richtigen Partner zu finden, der nicht einfach nur das baut, was er will, sondern was in die Stadt passt. Auf der anderen Seite sind auch die Verhandlungen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben natürlich nicht immer einfach, weil diese den Auftrag hat, Geld zu verdienen. Die Kommune möchte aber so günstig wie möglich kaufen. Aber am Ende einigt man sich. Das sind die Herausforderungen. Und natürlich auch, den Markt richtig einzuschätzen, wenn man baut.

Tim Kähler

... ist seit 2014 Bürgermeister der ostwestfälischen Hansestadt Herford. Bei der letzten Kommunalwahl im September 2020 konnte er sich mit rund 53 Prozent der Stimmen gegen sechs weitere Kandidaten durchsetzen.

Tim Kähler

Es gibt ja leider genug Negativbeispiele missratener Projekte privater Investoren. Wie wichtig ist es, dass Städte und Gemeinden das Heft planerisch in der Hand behalten? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Christina Jantz-Herrmann: Wir haben uns bewusst entschieden, die Konversion aktiv selbst zu gestalten. Die Besichtigung anderer Konversionsprojekte hat uns gezeigt, dass eine starke kommunale Steuerung der Schlüssel zum Erfolg ist. Deshalb hat die Gemeinde das Areal gekauft, um die volle Kontrolle zu behalten – sowohl planerisch als auch in der Umsetzung. So können wir sicherstellen, dass keine Negativbeispiele entstehen und das Projekt im Sinne der Bürger*innen vorangetrieben wird.

Tim Kähler: In Herford haben wir den Grundsatz, dass wir so viel Steuerung wie möglich haben wollen und so viel Risiko wie nötig. Wir haben bislang alles selber entwickelt und haben unter anderem drei Immobilien an einen Fonds mit Gewinn verkauft, allerdings mit Rückkaufsrecht. Und wir machen dort das Facility Management. Bezüglich der Wohnbauten schauen wir, ob wir Teile selber realisieren wollen. Oder wir machen städtebauliche Verträge. Oder aber wir sprechen auch mit Investoren und überlegen gemeinsame Gesellschaften zu bilden – mit dem Ziel, eine hohe Steuerung zu haben, weil Städtebau kommunale Daseinsvorsorge ist. Wie ein Quartier gebaut ist, wirkt es in die Stadt. Im Nachhinein muss man sich nicht beschweren, wenn der Brennpunkt da ist oder auch gewisse Leute, die man nicht geballt haben möchte, wenn man es nicht richtig gesteuert hat.

Was raten Sie Kommunen Ihrer jeweils vergleichbaren Größe diesbezüglich?

Christina Jantz-Herrmann: Unser bisheriger Weg hat sich bewährt, und ich würde anderen Kommunen Folgendes raten:

  • Verhandeln Sie beharrlich beim Kauf der Flächen.
  • Lassen Sie umfangreiche Gutachten zu Themen wie Gebäudewert, Grundstückswert und Kampfmittelbelastung erstellen.
  • Beantragen Sie Fördermittel, weisen Sie Sanierungsgebiete aus und kaufen Sie das Areal.
  • Lassen Sie sich nicht von Schwierigkeiten entmutigen und gehen Sie Schritt für Schritt vor.
  • Reagieren Sie flexibel auf neue Herausforderungen und planen Sie nicht alles von Anfang an bis ins Detail.
  • Binden Sie die Bürger*innen frühzeitig und transparent in den Planungsprozess ein.
  • Bilden Sie ein dediziertes Projektteam mit ausreichenden personellen Ressourcen, das sich ausschließlich auf die Konversion konzentrieren kann.

In Kürze werden wir eine Entwicklungsgesellschaft gründen.

Tim Kähler: Also bei uns war ein wichtiger Punkt, dass wir das notwendige Know how kaufen, weil dies in der Verwaltung nicht vorhanden war. Deswegen haben wir erst einmal eine GmbH gegründet, um dann für gutes Geld Fachkräfte, das heißt Geschäftsführer, Planer und so weiter anzuwerben, um Expertise zu haben, damit wir dann entweder Projekte selber umsetzen oder die richtigen Verhandlungen führen zu können.

Flächenkonversion wird oftmals als Generationenaufgabe beschrieben, so anfangs auch in Schwanewede. Reicht dieser Zeitraum überhaupt aus?

Christina Jantz-Herrmann: Ja, es handelt sich definitiv um eine Generationenaufgabe, und das sollten alle Beteiligten auch verstehen. Oft gibt es unrealistische Vorstellungen, dass solche Projekte schneller abgeschlossen sein müssten. Diese Sichtweise ist jedoch nicht mit der Realität vereinbar. Denn viele Fragestellungen sind bei der Konversion zu berücksichtigen: Können Gebäude nachgenutzt werden? Welche Abrissarbeiten sind durchzuführen? Müssen beispielsweise Kampfmittel beseitigt werden? Ob der Zeitraum von einer Generation ausreicht, können wir heute nicht abschließend beurteilen – das wird die Zeit zeigen. Wichtig ist, dass wir langfristig denken und handeln.

Tim Kähler: Ich sage mal so: In Herford haben wir es geschafft, gut in Schwung zu kommen. 2015 sind die Briten abgezogen und 2017 war der erste Teil der Fachhochschule in den ehemaligen Kasernengebäuden drin. Das kann man schnell machen. Wir haben für beide Areale in der Stadt, das heißt insgesamt 20 Hektar brutto, einen Planungszeitraum von 20 Jahren angenommen, und das funktioniert. Im Jahr 2015 war der Abzug, 2035 wollen wir fertig sein.

Bei solch langen Zeiträumen müssen Planungen immer wieder überprüft werden. Wie gewährleisten Sie in Ihren Kommunen flexible Reaktionen beziehungsweise das Umsteuern, falls es notwendig ist?

Christina Jantz-Herrmann: Flexibilität ist essenziell. In Schwanewede haben wir mehrfach bewiesen, dass wir uns an veränderte Bedingungen anpassen können. Beispiele dafür sind die Umnutzung der Weser-Geest-Kaserne oder die kurzfristige Umfunktionierung der Lützow-Kaserne zur Flüchtlingsunterkunft während der Flüchtlingskrise. Auch jetzt befinden wir uns in einem Moderationsprozess mit der Bundeswehr, um eine Einigung zur Weiternutzung von Teilen des Standortübungsplatzes zu erzielen. Wir sind zuversichtlich, dass wir uns auch künftig flexibel und erfolgreich auf neue Situationen einstellen können.

Tim Kähler: Wie gesagt, wir sind jetzt Eigentümer dieser Grundstücke. Wir haben Bürgerbeteiligungsverfahren gemacht. Und natürlich haben wir betont, dass das erst mal Projektionsflächen sind, die gegebenenfalls aufgrund von Nachfrage oder aufgrund von geänderten Rahmenbedingungen angepasst werden. So haben wir zum Beispiel bei der Wohnbebauung ursprünglich geplant, auch Einfamilienhäuser zu errichten. Mittlerweile würde so ein Einfamilienhaus 800.000 Euro kosten. Das ist nicht mehr ganz marktgerecht. Also planen wir jetzt mit Doppelhäusern, mit Haus-im-Haus-Ideen sowie guten, intelligenten Reihenhauslösungen. Das sind zum Beispiel Reaktionen, die normal sind, und das kann man jederzeit vor Baubeginn machen.

Angesichts der unsicheren Weltlage ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Bundeswehr ihre schon aufgegebenen Areale doch noch oder wieder benötigt. Was denken Sie, machen sie in solch einem Fall?

Christina Jantz-Herrmann: Wir haben die Flächen gekauft, so dass die Bundeswehr hierauf keinen Zugriff hat. Und dennoch haben wir die Möglichkeit. Zudem macht der Zustand des Areals – insbesondere nach Jahren des Leerstands, Vandalismus und den begonnenen Abrissarbeiten –eine Reaktivierung praktisch unmöglich. Deshalb stellt sich diese Frage für uns aktuell nicht. 

Tim Kähler: Das gilt für Herford nicht. Die Briten sind 2015 abgezogen und 20 Hektar gehören jetzt der Stadt, weil wir schnell den Kauf realisiert haben.  Es gibt noch eine weitere Fläche, die liegt ein bisschen am Rand. Dies sind noch einmal zehn Hektar. Da ist zurzeit das Land mit einer Flüchtlingsunterkunft drauf. Diese Fläche  allein wäre sicherlich kaum praktikabel fürs Militär. Von daher bin ich da eher gelassen.

Glauben Sie, dass Ihre beiden Kommen jemals sagen können, jetzt sind Sie fertig?

Christina Jantz-Herrmann: Ja, ich bin überzeugt, dass wir diesen Moment irgendwann erleben werden. Wann genau das sein wird, ist derzeit auf Grund des vor uns liegenden Umfangs an Planungs- und Realisierungsaufgaben noch offen – schließlich handelt es sich um eine Generationenaufgabe. Doch mit Beharrlichkeit und Ausdauer werden wir dieses Ziel erreichen.

Tim Kähler: Wir haben ein definiertes Zeitfenster und klare Zielvorstellungen. Wir wissen, dass wir viel Geld in die Hand nehmen. Aber zum Glück habe ich auch Mehrheiten in der Politik, die ins Gelingen verliebt sind; manchmal auch mit knappen Mehrheiten. Aber Mehrheit ist Mehrheit, hat mal ein Kanzler gesagt. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir werden in Herford bis 2035 fertig sein!

 

Das Gespräch mit Tim Kähler wurde telefonisch geführt. Die Antworten von Christina Jantz-Herrmann wurden uns schriftlich übermittelt.

Autor*in
Ulf Buschmann

Ulf Buschmann ist freier Journalist in Bremen. Für die DEMOKRATISCHE GEMEINDE ist er seit 1998 als Autor tätig.

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