Wiederaufbau im Ahrtal: Bilanz nach drei Jahren
Im Juli 2021 brach eine Flutkatastrophe über das Ahrtal in der Eifel herein: Gewaltige Wassermassen ließen sehr schwere Zerstörungen in Städten und Orten zurück. Zeit für eine Bilanz des Wiederaufbaus.
Imago / Marc John
Wiederaufbau der Bahnbrücke und Radwegbrücke in Altenahr. Die Flutkatastrophe fand vor drei Jahren statt.
Es ist das größte Schadensereignis in der Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz: Sieben Landkreise und die Stadt Trier wurden von der Naturkatastrophe betroffen, vor allem das Ahrtal. Vertreter des zuständigen Ministeriums des Inneren und für Sport haben kürzlich im Bauausschuss des Bundestags eine positive Bilanz der bisherigen Wiederaufbaumaßnahmen gezogen: 99,5 Prozent der vollständig vorgelegten Anträge zum Wiederaufbau kommunaler Infrastruktur seien inzwischen bewilligt, hieß es in einer Stellungnahme.
Zum Stand 24. Juni 2024 seien von 1.304 vollständig vorgelegten Anträgen im Bereich des Wiederaufbaus der allgemeinen kommunalen Infrastruktur 1.297 Maßnahmen mit einem Volumen von rund 860 Millionen Euro bewilligt worden. Wegen Schäden an privaten Wohngebäuden waren es 3.735 Anträge – davon seien 3.566 Anträge mit einem Volumen von 580,2 Millionen Euro bewilligt worden. Das entspreche einer Bewilligungsquote von 95,5 Prozent.
Mit dem Wiederaufbau erfahre die öffentliche Infrastruktur einen „Qualitätssprung“, sagte die verantwortliche Leiterin für den Bereich Wiederaufbau, Anne Vogelsberger. Es würde nicht nach alten Standards wieder aufgebaut, sondern nach den „zum Zeitpunkt der Schadensermittlung geltenden Normen“. Der Wiederaufbau erfolge außerdem in einer dem jeweiligen Hochwasser- und Überschwemmungsrisiko angepassten Weise.
Kritik: „Kommunaler Wiederaufbau gebremst“
Auch Kritik seitens der eingeladenen Experten wurde bei dem Fachgespräch im Bundestag im Bauausschuss laut. „Man muss zwischen privatem und kommunalem Wiederaufbau unterscheiden“, sagte Martin Schell von „Zukunft Mittelahr“. „Denn bei Letzterem hakt es trotz Unterstützung an einigen Ecken“. Er sieht den kommunalen Wiederaufbau durch einige Rahmenbedingungen weiterhin gebremst.
Als Beispiel führt Schell Bau- und Planungsrecht an: „Die Enge des Tals ist ein Riesenproblem.“ Hintergrund: Wenn eine Gemeinde sich außerhalb der bisher bebauten Fläche entwickeln will, ist das an Flächennutzungsplan und Bauleitplanung gekoppelt – was das Bauen verzögert. Eine beschleunigte und der Situation angepasste Vereinfachung der Bauleitplanung gebe es jedoch bisher nicht, moniert Schell.
Konkret betroffen ist zum Beispiel der Bau einer neuen Sportanlage in der Gemeinde Dernau, welche auch von der Grundschule der drei Orte Dernau, Rech und Mayschoß genutzt werden soll. Sie soll oberhalb des Ortes neu errichtet werden. Damit könne erst 2026 begonnen werden. Schell appelliert dafür, noch einmal zu prüfen, ob nicht Sonderzonen und Vereinfachungen in Bezug auf Katastrophengebiete geschaffen werden könnten, um die Prozesse zu beschleunigen.
Ein weiteres Beispiel sei Errichtung der Nahwärmenetze. Auch hier ist die Schaffung von Bau-und Planungsrecht notwendig. „Hier laufen Zeitachse und dringend benötigte Wärmeinfrastruktur eklatant auseinander“, so Schell in seiner Stellungnahme.
Weitere bürokratische Hürden
Karsten Hartmuth von der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler kritisierte die hohen bürokratischen Hürden. „Eine Vorgabe bei der Wiederaufbauförderung ist der Nachweis einer Elementarschadensversicherung zum vollständigen Mittelabruf im jeweiligen Förderantrag. Leider ist die Forderung praxisuntauglich“, so Hartmuth. Zum Beispiel können nicht 170 städtische Gebäude einzeln versichert werden.
Für eine Gesamtversicherung erhalte die Stadtverwaltung laut Hartmuth indes keine wirtschaftlichen Angebote – dennoch werde grundsätzlich zum Abruf der Wiederaufbaumittel der Nachweis einer Elementarschadensversicherung verlangt. Diese Bedingung sollte komplett abgeschafft werden, so Hartmuth.
Auch der Wiederaufbau von Schulen bringe immense bürokratische Anforderungen mit sich. „Viele öffentliche Gebäude entsprechen nicht den heute geltenden Anforderungen an Brandschutz und Barrierefreiheit, die meisten Gebäude stammen aus den 60 er und 70er Jahren.“ Zwar seien oft nur die Erdgeschosse zerstört. Doch wegen der Vorgaben für einen hochwasserangepassten Wiederaufbau und anderen modernen Normen müssten auch die Obergeschosse verändert werden. Das erfordere neue Baugenehmigungspflichten und werde nicht durch den Wiederaufbaufonds finanziert. „Dann müssen wir weitere Förderanträge für die allgemeine Schulbauförderung stellen“, erläutert Hartmuth. Das koste Zeit und die Gemeinde müsse einen „erheblichen Eigenanteil“ bei der Finanzierung aufbringen
Rolf Schmitt von der Hochwasserhilfe-Marienthal erklärte, bei vielen Projekten müsse auf unterschiedliche Fördertöpfe zurückgegriffen werden. Es gebe neben der klassischen Hochwasserförderung weitere Töpfe, was zu Abstimmungsproblemen führe.nEr kritisierte auch die Schwierigkeiten beim Thema Heizen. Es gebe Menschen, die zum kommenden dritten Winter nach der Flut immer noch nicht wissen, wie sie künftig heizen sollen.
Dass es Verzögerungen gibt, räumt Vogelsberger auf Frage von SPD-Abgeordnetem Martin Diedenhofen ein. Die größte Hürde beim Wiederaufbau sei „die Katastrophe an sich“, betonte Vogelsberger. Es müssten ganze Dörfer neu gedacht werden, ganz viele Planungsprozesse seien am Laufen. „Da gibt es natürlich viele Dinge, die zu Verzögerungen führen, weil man wirklich überlegen muss, wie soll zukunftsgerecht wieder aufgebaut werden. Es gibt viele unterschiedliche Infrastrukturprojekte, die auch voneinander abhängen.“
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.