Wohnen in „Smartheim“
Urbanistic
Der Verkehr fließt, die Luft ist sauber, Schadstoffquellen werden erkannt und bekämpft, Hitzeinseln verschwinden durch mehr Grün, Bäume gedeihen: schöne Visionen für das Leben in einer Kommune. Dank Unterstützung durch künstliche Intelligenz (KI) könnte die Gemeinde Kirchheim bei München diesen Zielen näherkommen. Die bayerische Kommune mit rund 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie mit Bürgermeister Stephan Keck (SPD) gehört seit 2021 zu den vom Bund geförderten Modellkommunen Smart Cities. Im Zentrum des Kirchheimer Modells – das auch „Smartheim“ genannt wird –, stehen die Themen Klimaschutz, Luftqualität und vernetzte Mobilität, auch Bürgerbeteiligung spielt eine große Rolle. Sensoren bzw. Messgeräte erfassen den Verkehr in der Gemeinde, die Luftqualität, oder messen den Wasserhaushalt von Bäumen.
Daten bilden die Basis für Szenarien
Sibylle Wartlick, Leiterin des Referats für Wirtschaftsförderung und Mobilität in Kirchheim, erläutert: „Die Idee hinter dem Projekt ist, die in Kirchheim eingeleiteten Veränderungsprozesse datentechnisch zu begleiten, um die Gemeinde nachhaltiger, effizienter und lebenswerter zu machen.“ Daten bilden also die Basis für verschiedene Szenarien und Simulationen und sind Grundlage für Entscheidungen, die zur besten Lösung führen. Das Wissen, das aus den Datenmengen generiert wird, dient zudem der Transparenz. „Aufgrund der Datenbasis kann ich Bürgern mit größerer Klarheit viele Maßnahmen besser erklären“, ist Wartlick überzeugt.
Ein Themenbereich ist die Baumsensorik: Prägnante Bäume in der Gemeinde wurden mit Biosensoren versehen, ebenso wie verschiedene neu gepflanzte Bäume für die Mitte Mai beginnende Bayerische Landesgartenschau 2024. Wartlick: „Zwischen Bäumen, Luftqualität, Wohlbefinden und Außentemperatur bestehen enge Verflechtungen und Wechselwirkungen. Neue Datensammlungen sowie deren Auswertung und Vernetzung sollen tiefergehende Erkenntnisse bringen, aus denen dann konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.“
In Kirchheim werden dabei heimische Baumarten sowie auch an ein anderes Klima angepasste Bäume überwacht. Die Sensortechnik ermöglicht eine individuelle Bewässerung der Pflanzen. Es genüge nicht, im Frühjahr einen Bewässerungsplan zu erstellen und diesen übers Jahr abzuarbeiten, so Wartlick. „Vielmehr muss das Bewässerungsmanagement situationsbedingt und bedarfsgerecht angepasst werden, um den Bäumen Trockenstress zu ersparen und eventuelle Krankheiten frühzeitig zu erkennen.“
Intelligente und vernetzte Mobilität
Zum Projekt gehört auch, dass die Mobilität in der Gemeinde intelligenter und vernetzter wird. Dafür sollen Sensoren das Verkehrsgeschehen erfassen, um das Verkehrsmanagement zu optimieren. „Das hat noch Modellcharakter, hier sind wir noch dabei, das System auszurollen“, erläutert Gernot Bahle. Als externer Berater vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz betreut er das Projekt mit. Dieser Teil werde nicht über das Smartheim-Projekt gefördert, sondern sei ausgelagert worden, erklärt er. „Wir sind Teil des MCube-Excellenzclusters der Stadt München und der TU München.“ MCube plant, in der Region München an Lösungen zu arbeiten, um Verkehrssysteme zu elektrifizieren und zu automatisieren. Bei Partnerschaft mit Kirchheim läuft der Rollout der Verkehrssensorik über das Cluster: „Aber die Daten laufen hier bei Smartheim auf, sodass wir sie verwerten können“, erklärt der Experte.
Dabei werden zum Beispiel Mobilfunkgeräte in ihrer Bewegungsgeschwindigkeit erfasst, um den Verkehrsfluss oder Staus zu erkennen. Allerdings funktioniere das nicht bei den hohen Geschwindigkeiten auf Landstraßen oder Autobahnen, so Bahle. Kameras beziehungsweise Bildüberwachungsmittel würden nicht eingesetzt, versichert er. Wenn die Sensoren in Echtzeit funktionieren, dann könne man sehen: „Hat eine Tempo-30-Zone Auswirkungen auf die Luftqualität? Fahren die Leute dann wirklich langsamer? Wird der Verkehrsfluss entzerrt?“ Schon während der Landesgartenschau sollen nicht nur die Autoverkehrsströme, sondern auch die Bewegungsmuster von Fußgängern oder Radfahrern beobachtet werden.
„Die KI ist das Bindeglied“
Um die Daten zu vernetzen und Szenarien entwickeln zu können, kommt die KI zum Einsatz. Herzstück des Projekts ist ein „Digitaler Zwilling“ der Gemeinde, eine virtuelle Kopie und dreidimensionale Darstellung des realen Ortes. So entstehen 3-D-Modelle, die Verkehrsflüsse, Umweltbedingungen und andere Daten berücksichtigen. „Das Bindeglied in der Mitte, das ist die KI“, fasst Bahle zusammen. Beim „Digitalen Zwilling“ ist es möglich, verschiedenste Datenquellen einzuspeisen, wie etwa Baurecht oder einen Bebauungsplan. Auch Wirtschafts- oder demografische Daten könnten über die KI ausgewertet werden und der Verwaltung helfen, Entscheidungen zu treffen.
Dass dabei immer der Mensch entscheidet und nicht überflüssig wird, stellt Bahle klar: „Wir glauben ganz stark, dass KI ein wunderbares Assistenzsystem ist, aber auf keinen Fall Menschen ersetzen kann. Aber vielleicht kann sie den Leuten vor allem in punkto Fachkräfte- und Personalmangel die Arbeit erleichtern sowie repetitive und relativ zeitaufwendige Aufgaben vereinfachen.“ Für Sibylle Wartlick ist das Smart-City-Projekt „eine Vision, die Realität wird“. Sie ist sich sicher, dass „in zehn Jahren digitale Zwillinge ein zentrales Steuerungsinstrument in Gemeinden und Smart Cities Standard sein werden“.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.