Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger weiter gestiegen
Die Aggression gegen Menschen aus der kommunalen Politik und Verwaltung wächst. Das lässt sich aus der jüngsten Statistik des Bundesinnenministeriums ableiten. Insgesamt ist Zahl politisch motivierter Straftaten 2024 um knapp 1.000 gestiegen.
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Rathaus von Trossingen: Um die Mitarbeitenden vor Übergriffen zu schützen, wurde hier ein Alarmsystem installiert.
Die Landeskriminalämter erheben die Daten und leiten sie an das Bundeskriminalamt weiter. In der Summe waren es im Jahr 2024 rund 5.000 Fälle „politisch motivierter Straftaten“, so der Oberbegriff für Beleidigungen, Nötigungen und tätlichen Angriffen im politischen Umfeld. Das sind rund 1.000 Meldungen mehr als noch 2023. Dies entspricht einer Steigerung von 20 Prozent. Die jährliche Zahl der Gewaltdelikte ist mit etwa 100 vergleichsweise gering und im vergangenen Jahr kaum angestiegen.
Die vom Bundesinnenministerium auf Anfrage aus dem Bundestag veröffentlichten Statistik gibt jedoch keinen Hinweis darauf, wie viele kommunale Amts- und Mandatsträger*innen unter den Betroffenen sind. Immer mehr Kommunalpolitiker*innen ziehen die Reißleine. Sie wollen sich die zunehmenden Pöbeleien aus der Bürgerschaft nicht länger gefallen lassen und bringen diese nun zur Anzeige. Auch das verändert die Zahlen.
„Starke Stelle“: 120 Anfragen in fünf Monaten
Ein Hinweis auf die Zunahme gibt die Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger*innen in Bonn. Sie wird von der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention betrieben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sie Anfang Januar besucht und sich informiert. Demnach hat das Team der „starken Stelle“ seit dem Start am 1. August 2024 über 120 Anfragen von Betroffenen, die Hass und Hetze erleben, entgegengenommen und diese beraten. Die Bundesinnenministerin erklärte bei ihrem Besuch: „Unsere bundesweite Ansprechstelle vermittelt konkrete, persönliche und vertrauliche Unterstützung. Damit stärken wir allen den Rücken, die wegen ihres politischen Engagements angegriffen werden. Mit der starken Stelle haben sie jetzt einen Unterstützer und Lotsen, der weitere Hilfe schnell vermitteln kann.“
Nur wenige Fälle werden über die Gemarkungsgrenze hinaus öffentlich: So berichtete die Schwäbische Zeitung aus dem Städtchen Trossingen (Baden-Württemberg), dass die Bürgermeisterin Susanne Irion als Volksverräterin beschimpft wurde, weil in der Stadt eine Moschee gebaut wird. Einem ihrer Mitarbeiter wurde ein Finger gebrochen beim Versuch, renitente Bürger des Büros zu verweisen. In den Computern der Mitarbeitenden ist nun ein Alarmsystem installiert. Sie hat sie ermutigt, Strafanzeige zu stellen.
Städtetag: Angriffe konsequent verfolgen und bestrafen
In der nicht weit entfernten Gemeinde Dobel wurden während einer Gemeinderatssitzung vor dem Rathaus die Reifen am Fahrzeug des Bürgermeisters zerstochen und die Karosserie demoliert. Der Staatsschutz wurde eingeschaltet. Die 25 Bürgermeister*innen des Landkreises Calw erklärten sich in einer gemeinsamen Stellungnahme solidarisch: „Wir dulden weder Gewalt noch Einschüchterung gegenüber Amtsträgern, die sich tagtäglich für das Gemeinwohl einsetzen. Dieser gezielte Angriff auf einen gewählten Amtsinhaber ist eine ernste Bedrohung für den demokratischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.“
Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages, nahm die Zahlen zum Anlass, zu einem „respektvollen Umgang, auch bei politisch völlig anderen Standpunkten“ aufzurufen. Extreme Haltungen und Handlungen müssten „auf allen Ebenen“ bekämpft werden. Polizei und Justiz sollten Angriffe auf Amt- und Mandatsträger, egal auf welcher Ebene, „konsequent verfolgen” und bestrafen. Auch kleinere Angriffe und persönliche Diffamierungen dürften nicht bagatellisiert werden.
Als alarmierend bezeichnete auch die AG Migration und Vielfalt in der SPD die neuen Zahlen. Deren Co-Bundesvorsitzender Aziz Bozkurt betonte: „Dieser besorgniserregende Trend gefährdet nicht nur die betroffenen Personen. Er untergräbt auch die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens.” Die Gesellschaft müsse geschlossen gegen diese Angriffe vorgehen und „unsere demokratischen Werte verteidigen”. Die Bundesregierung forderte er auf, den strafrechtlichen Schutz der Mitglieder von Verfassungsorganen sowie der politischen und kommunalen Mandatsträger*innen vor tätlichen Angriffen zu verbessern.
Der Statistik zufolge fanden die meisten der Straftaten in Bayern und Baden-Württemberg statt, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Berlin. Der MDR rechnete nach und stellte in einem Bericht fest: Betrachtet man die absolute Zahl der Straftaten je 100.000 Einwohner*innen, dann verzeichnen Berlin, das Saarland, Brandenburg, Thüringen und Sachsen die meisten Angriffe. Da mit Nachmeldungen aus dem Jahr 2024 zu rechnen sind, könnten die Zahlen noch steigen.
Weiterführende Informationen:
Die starke Stelle ist montags bis freitags zwischen 9.00 und 16.00 Uhr telefonisch unter der Hotline 0800 300 99 44 sowie per E-Mail unter info@starkestelle.de erreichbar. Die Beratung erfolgt kostenfrei, vertraulich und auf Wunsch anonym.
Die Bundestagsanfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner zu Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen ist hier als PDF abrufbar (ab Seite 29).
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu