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Zahl der Wohnungslosen ist drastisch gestiegen

Obdachlose Menschen brauchen nicht nur ein Dach überm Kopf. Sie brauchen genauso eine Betreuung. Das war die Botschaft eines Fachgesprächs im Bundestag zur „Wohnungslosigkeit“, die sich insbesondere an Kommunen im ländlichen Raum richtete.
von Uwe Roth · 12. Dezember 2023
Notübernachtung für wohnungslose Frauen in Berlin

Der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen hat am Montag acht Expert*innen zum Thema Wohnungslosigkeit eingeladen. Neben den kommunalen Verbänden waren in der Runde Fachverbände und die Wohnungswirtschaft vertreten. Ihr Arbeitsauftrag steht seit 2021 im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: „Wir setzen uns zum Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür auf“, heißt es dort. Daran muss gearbeitet werden. Die Situation ist seit der Niederschrift nicht besser geworden.

Die Zahl der Wohnungssuchenden, die keine Bleibe auf dem freien Wohnungsmarkt gefunden haben, wächst und wächst. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) waren am Jahresbeginn 372.000 wohnungslose Menschen in Unterkünften der Kommunen sowie in Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht. Das waren mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr (178.000) – wobei das Destatis darauf hinweist, dass dies auch an einer verbesserten Datenlage liege. Dazu kommen die Menschen, die „auf der Straße” leben, zum Beispiel unter Brücken oder in Parks. Deren Zahl wird auf 50.000 bis 85.000 geschätzt. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe verloren mehr als 32 Prozent der Betroffenen ihre Wohnung aufgrund von Kündigung, knapp sechs Prozent wegen einer Räumungsklage und 15 Prozent wurden zwangsgeräumt. 26 Prozent der Betroffenen sind formal „ohne Kündigung ausgezogen“, 17 Prozent haben selbst gekündigt.

Zuwachs an Wohnungslosen auch im ländlichen Raum

Diese Menschen leben nicht nur in den großen Städten, wie Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag betonte, die auch den Deutschen Städte- und Gemeindebund vertrat. Im ländlichen Raum sei Wohnungslosigkeit inzwischen ebenfalls zu einem offensichtlichen Phänomen geworden. Eine Ursache sei der Zuzug von Geflüchteten, die nicht gemeldet seien. Da es in den Gemeinden sehr viel weniger Anlaufstellen für Wohnungslose und Hilfsangebote wie in den Städten gebe, müsse von einer vergleichsweise hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

Trotz solcher Zahlen blickten die Expert*innen mit Optimismus auf die Lage. So betonte Jutta Henke, Geschäftsführerin der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung in Bremen: „Wohnungslosigkeit ist ein lösbares Problem.“ Das zeigten Studien als auch „die Praxis in vielen deutschen Städten und Gemeinden“. Kaum ein Sozialstaat verfügt nach ihrer Beobachtung „über so viele gut funktionierende Instrumente zu ihrer Bekämpfung wie der deutsche“. Viele Hürden, die eine bessere Prävention und eine gelingende Wohnraumversorgung heute noch verhinderten, seien identifiziert. Es gebe zahlreiche Ansatzpunkte für Interventionen, die Wohnungslosigkeit erfolgreich bekämpfen. Allerdings sei es nicht einfach, die Betroffenen zu erreichen: „Sie glauben nicht, dass ihnen jemand helfen will“, sagte Henke.

Betroffene dauerhaft von der Straße holen

Stefanie Frensch vom Verein „Zentraler Immobilien Ausschuss” (ZIA) stellte fest: „Eine Wohnung allein ist nicht die Lösung.“ Damit gab sie als erste Rednerin das Stichwort für die weitere Diskussion. Professionelle Prävention und Betreuung seien der Schlüssel, um die Menschen dauerhaft von der Straße zu holen. In den Kommunen sei dies eine Querschnittsaufgabe, stellte Sebastian Klöppel vom Deutschen Städtetag fest. Wohnungsamt, Liegenschaftsamt, Ordnungsamt, Jugendamt und Sozialamt müssten eng kooperieren. Für die Betroffenen müsse es eine zentrale Anlaufstelle geben. „Leider ist dieser Grundsatz nicht überall umgesetzt“, bedauerte er. Die Vertreter*innen der kommunalen Verbände waren sich aber auch einig, dass eine Kooperation nicht leicht herzustellen ist, wenn sich in einem Landkreis Städte, Gemeinden und die Kreisverwaltung die Aufgaben zur Betreuung und Finanzierung teilten.

Christin Weyershausen vom Sozialdienst katholischer Frauen e. V. lobte die Effizienz des „Housing First“-Ansatzes. Housing First ist ein 30 Jahre altes, internationales Konzept, das Menschen ohne Obdach eine Wohnung zusammen mit einem Betreuungsangebot vermittelt, als Start für den Weg zurück in ein geordnetes Leben. Dieser Ansatz hat eine beeindruckende Erfolgsbilanz, bestätigte Stefanie Frensch von ZIA. Die Erfolgsquote liege bei 97 Prozent „für diejenigen, die durch dieses Programm unterstützt wurden“.

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

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