Zeitenwende in Kommunen: Bundeswehr benötigt Flächen doch noch selbst
Die von Olaf Scholz verkündete „Zeitenwende“ ist in den Kommunen angekommen: Die Bundeswehr benötigt eigentlich für die zivile Nutzung freigegebene Flächen selbst. Die Reaktionen vor Ort sind positiv. Doch es gibt auch Sorgen.
Ulf Buschmann
Fahr- und Übungsplatz Schwanewede
Die von Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach dem Angriff Russlands angekündigte „Zeitenwende“ kommt nach und nach in den Kommunen an. Denn die Bundeswehr benötigt nicht nur Ausrüstung, sondern auch Flächen. So kommt es, dass eigentlich für die zivile Nutzung vorgesehene Areale entweder zurück in die Zuständigkeit der Truppe fallen oder gar nicht erst daraus entlassen werden.
Letztere werden aus ihrem jahrelangen Dornröschenschlaf geholt. Die „sicherheitspolitische Lage“ habe sich „deutlich verändert und fordert eine Re-Fokussierung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung“, begründet eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums diesen Schritt: „Diese Neuausrichtung der Streitkräfte wirkt sich auf vielen Ebenen und auch auf den Flächenbedarf der Bundeswehr aus.“
Die Bundeswehr kehrt zurück
Die Rückkehr der Truppe erfreut die Menschen in den Gemeinden größtenteils. Hierzu gehören die Ortschaft Kriegsfeld, das zur rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden unter SPD-Bürgermeisterin Sabine Wiesenpahl gehört, und Bernsdorf im Landkreis Bautzen. In Kriegsfeld plant die Bundeswehr die Wiederinbetriebnahme des im Jahr 2010 aufgegebenen Munitionsdepots. Dieses war bis zum Jahr 2000 von der US-Armee genutzt worden und trug den Namen „North Point“. Die Bundeswehr plant, nach Kriegsfeld zurückzukehren. Dafür sollen 151 der einst 155 Bunker auf einer Fläche von rund 280 Hektar saniert werden. Das Investitionsvolumen liegt nach einem Bericht des SWR vom Juni 2023 bei rund 70 Millionen Euro.
Genau genommen ist das Projekt Kriegsfeld eines von vor der ausgerufenen „Zeitenwende“. Denn die Bundeswehr hatte ihre Absicht bereits im Jahr 2019 kundgetan. Bis 2024 solle in Rheinland-Pfalz wieder Munition gelagert werden – inzwischen sprechen die Verantwortlichen von einem Zeitraum bis 2028. Dass sich die Umsetzung um Jahre verschiebt, ist den Menschen vor Ort egal. Für sie sei wichtig, dass die Bundeswehr überhaupt in die Region zurückkehre, betont Alber Ziegler. Er war bis Anfang Juli Ortsbürgermeister des knapp 1.000 Einwohner großen Dorfes.
Naturschutz steht Plänen nicht entgegen
Die Rückkehr der Militärs komme alleine schon deshalb gut an, weil dies Arbeitsplätze bringe und der Wohnungsbau angekurbelt werde, meint Ziegler. Von der ursprünglichen Absicht, das bis dato nicht mehr genutzte Depot wie viele andere Flächen als sogenanntes Nationales Naturerbe zu nutzen, sind das Verteidigungsministerium und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA) als zuständige Verwalterin der Bundesliegenschaften inzwischen abgerückt. Selbst die Naturschutzverbände hätten die Wiedernutzung des Munitionsdepots laut Ziegler „wohlwollend“ begleitet. Ihre Begründung: Wildtier-Populationen könnten sich in einem umzäunten und somit geschützten Gelände ungestörter entwickeln als auf frei zugänglichen Flächen.
Ebenso erfreut wie in der Pfalz ist die Reaktion auf die Ankündigung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ausgefallen, dass auch in Bernsdorf kräftig investiert werden soll. Eine entsprechende Grundsatzerklärung gibt es zwar schon seit 2021. Doch der Minister wurde Ende vergangenen Jahres konkreter: Auf dem rund 320 Hektar großen ehemaligen Standort der Nationalen Volksarme im Landkreis Bautzen sollen 118 Millionen Euro in die sogenannte Ertüchtigung fließen. Dort werden 700 Soldaten eines neu aufzustellenden Logistikbataillons ihren Dienst versehen – plus etwa 100 Bedienstete anderer Bereiche. Das Ministerium spricht von 800 Dienstposten.
Sorgen um Wohn-Projekt
Was in Rheinland-Pfalz funktioniert, ist in Niedersachsen ein Problem. Wie berichtet, hat die Gemeinde Schwanewede an der nordöstlichen Grenze Bremens das Gelände der ehemaligen Lützow-Kaserne gekauft. Auf einer Fläche von 80 Hektar sollen innerhalb der kommenden 15 Jahre Wohnen, Gewerbe, Kindertageseinrichtungen, Sport und einiges mehr zu einem neuen Ortsteil zusammenwachsen. Dies könnte jedoch schwieriger werden als gedacht.
Eigentlich war geplant, dass die Bundeswehr den noch genutzten Fahrübungsplatz sowie einen benachbarten Schießplatz aufgibt. Beide Plätze werden von der Logistikschule der Bundeswehr im benachbarten Garlstedt verwaltet. Diese hat jedoch wissen lassen, dass eine Aufgabe angesichts der veränderten weltpolitischen Lage eher nicht infrage komme – trotz mehrerer Briefe aus dem Ministerium in den vergangenen Jahren. Der Tenor: „Wir geben alles auf.“ Dies berichtet Schwanewedes Bürgermeisterin Christina Jantz-Herrmann (SPD).
Vor allem der Schießplatz macht den Planern der Gemeinde Sorge. Solange dieser noch benutzt werde, dürfte es aufgrund der Geräusch- und Lärmemissionen schwer sein, in der Nachbarschaft neue Bewohner anzusiedeln, weiß die Bürgermeisterin. Die Bundeswehr hingegen macht deutlich, dass der Schießplatz von der Logistikschule nicht von heute auf morgen aufgegeben werden könne. Begründung: Das Gelände sei auch an andere militärische Einheiten vermietet.
Die Zeit drängt
Immerhin, erklärt Jantz-Herrmann, sei die Truppe bemüht, sich nach Alternativen umzuschauen – spätestens bis dann, wenn die Gemeinde den Bebauungsplan für die ehemalige Kaserne verabschiede. Ziel sei es, „eine gangbare Lösung für alle Beteiligten zu finden“, sagt die Bürgermeisterin. Und: „An oberster Stelle steht, dass der Konversionsprozess der Gemeinde nicht konterkariert wird.“
Eile sei nämlich auch deshalb geboten, weil die Gemeinde für das Projekt Städtebauförderungsmittel in Anspruch nimmt. Heißt: Schwanewede muss innerhalb von zwei Jahren das Projekt planen und innerhalb von weiteren 13 Jahren verwirklicht haben. 500 bis 600 Wohneinheiten inklusive. „Dafür fehlt mir die Fantasie, das in 13 Jahren abgebildet zu bekommen“, sagt Jantz.
Torsten Kropp
Ulf Buschmann ist freier Journalist in Bremen. Für die DEMOKRATISCHE GEMEINDE ist er seit 1998 als Autor tätig.