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Zoff statt Zusammenarbeit

Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sehen sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt – nicht nur aus der Bevölkerung, sondern auch aus dem eigenen Rat. Wenn die Grenzen sachlicher Kritik überschritten werden, wird das zu einem Problem für die Demokratie.

von Carl-Friedrich Höck · 6. März 2025
Rathausfassade

Rathaus Neubrandenburg: Nicht nur hier ist ein offener Konflikt zwischen Stadtvertretung und Bürgermeister ausgebrochen.

„Ich hätte nie gedacht, dass es hier passieren würde”, sagt Martin Mertens. Natürlich habe er von großen und kleinen Skandalen in der Politik gehört. Überraschend kam für den Bürgermeister der Gemeinde Rommerskirchen (Nordrhein-Westfalen), dass er plötzlich selbst im Zentrum einer solchen Geschichte stand. Dabei war er zu diesem Zeitpunkt bereits ein erfahrener Kommunalpolitiker und zehn Jahre im Amt.

Angefangen habe es damit, dass eine Mitarbeiterin überraschend kündigte, erzählt Mertens. Auf einmal häuften sich in der Lokalzeitung die Vorwürfe von anonymen Personen: Der Rathauschef würde seine Mitarbeiter schlecht behandeln, der Umgangston sei rau, die Arbeitszeiten zu lang. Laut Mertens haben zwei Fraktionen ihn angefeindet. Es wurde sein Rücktritt gefordert, wie auch in Zeitungsberichten aus dieser Zeit nachzulesen ist, denen zufolge Ratsmitglieder Mertens „gezieltes Mobbing“ vorwarfen. Es folgten zwei Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den Bürgermeister. Nun ging es unter anderem um den Vorwurf, er würde Fragen des Gemeinderates nicht ordnungsgemäß beantworten. Schließlich hätten auch noch Gerüchte über angebliche sexuelle Affären mit Mitarbeiterinnen kursiert, berichtet Mertens. „Das war so absurd, dass zum Glück irgendwann die Leute gesagt haben: Jetzt ist wirklich Schluss.“ Nach seiner Wahrnehmung habe sich um eine inszenierte Kampagne gehandelt.

Mertens brauchte einige Wochen, um sich zu fangen. Auch für seine Familie sei diese Phase extrem belastend gewesen, erinnert er sich. Doch nach zwei bis drei Wochen habe er einen Schalter umgelegt und begonnen, um sein Amt und seine Reputation zu kämpfen. Die Kommunalaufsicht wies die Dienstaufsichtsbeschwerden schließlich zurück.

„Dann bekomme ich mein Leben zurück”

Dass Konflikte zwischen Räten und Amtsträgern eskalieren, kommt auch in anderen Kommunen vor. Die Körber-Stiftung berichtet von Hinweisen, dass unangemessene Angriffe vermehrt Einzug in Gemeinderäte oder Stadtverordnetenversammlungen gehalten hätten. Ein weiterer Bürgermeister schildert dieser Redaktion ähnliche Erfahrungen. Sein Name ist der Redaktion bekannt, er bittet jedoch darum, ihn im Artikel nicht zu nennen. Ein Teil des Kommunalparlamentes wolle ihn loswerden, spreche Rügen aus, setze ihn öffentlich herab, starte Disziplinarverfahren. Ein Abwahlverfahren habe er bereits überstanden. Vorher seien nach Darstellung des Bürgermeisters Unwahrheiten verbreitet worden: So wurde ihm vorgeworfen, er unterdrücke Mitarbeiter in der Verwaltung, setze Beschlüsse nicht um und habe seinen Laden nicht im Griff. 

„Das ganze Verfahren, aufgebaut auf Lügen und Hetze, hat mich menschlich sehr mitgenommen“, erzählt der Amtsträger. Nachdem das Abwahlverfahren gescheitert war, habe das Kommunalparlament seine Kompetenzen weiter eingeschränkt. „Ich war und bin ein Bürgermeister, der nicht einmal mehr über die notwendige Einstellung von Personal alleine entscheiden durfte“, schreibt er in einer Mail. Auch finanziell seien seine Befugnisse erheblich eingegrenzt worden. „So kann kein Mensch arbeiten.“ Mittlerweile hat er keine Kraft mehr, um weiterzumachen, und wird bald aus dem Amt scheiden. „Dann kann ich hoffentlich abschließen und bekomme mein Leben zurück.“ Ein neues politisches Engagement kann er sich nicht mehr vorstellen.

Aus den Räten kommen Anfeindungen

Die Beispiele erzählen von persönlichen Tragödien. Sie zeigen aber auch ein grundsätzliches Problem auf. Wenn die Zusammenarbeit von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern mit ihren Stadt- und Gemeinderäten nicht funktioniert, leidet die Kommune darunter. Und wenn engagierte Menschen aus der Kommunalpolitik vertrieben werden, nimmt die Demokratie Schaden.

Sven Tetzlaff

„Als wir das Portal aufgestellt haben, haben wir Rückmeldungen von Amtsträgern bekommen, die gesagt haben: Wir werden nicht nur aus der Zivilgesellschaft angegriffen, sondern auch aus den Räten.“

Dies hat auch die Körber-Stiftung festgestellt. Zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden hat die Stiftung 2021 das Online-Portal „Stark im Amt“ gestartet – eine Anlaufstelle für bedrohte Amts- und Mandatsträger. Zuvor hatte eine Umfrage mit rund 1.600 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ergeben, dass mehr als die Hälfte von ihnen schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich attackiert worden waren.

„Als wir das Portal aufgestellt haben, haben wir Rückmeldungen von Amtsträgern bekommen, die gesagt haben: Wir werden nicht nur aus der Zivilgesellschaft angegriffen, sondern auch aus den Räten.“ Das erzählt Sven Tetzlaff, Bereichsleiter Demokratie, Engagement und Zusammenhalt bei der Körber-Stiftung. Diese ließ daraufhin Interviews mit 30 kommunalen Mandatsträgerinnen und -trägern aus verschiedenen Regionen durchführen. Die Befragten sahen parteiübergreifend Verbesserungsbedarf bei der Diskussionskultur. Es fehle an Respekt, Sachlichkeit und Kompromissbereitschaft, hieß es.

Polarisierende Themen und soziale Medien verstärken Konflikte

Frauen seien davon besonders betroffen, erklärt Sven Tetzlaff, „weil sie häufig sexualisiert, beleidigt, beschimpft und abgewertet werden.“ Auch dazu gebe es repräsentative Umfragen. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb Frauen in kommunalpolitischen Ämtern immer noch stark unterrepräsentiert sind. Laut einer Schätzung, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund 2024 veröffentlicht hat, wird nicht einmal jede siebte Gemeinde von einer Frau geleitet.

In Gesprächen hört Sven Tetzlaff immer wieder, dass das Gesprächsklima rauer geworden sei. Gründe dafür sieht er zum einen in stark emotionalisierenden Themen wie Energiewende, Verkehr oder Geflüchtete. Zum anderen fänden politische Auseinandersetzungen auch außerhalb der Ratssitzungen in sozialen Medien statt. Hier gebe es extrem scharfe Angriffe. Empörungs-Postings würden von den Algorithmen besonders stark verbreitet.

Die Stiftung hat auf diese Erkenntnis reagiert und das Workshop-Format „Respekt im Rat“ ins Leben gerufen. „Wir gehen in einen Rat rein, stellen das Projekt vor und verbinden das mit einer anonymen Befragung“, erklärt Tetzlaff. Die Ergebnisse würden dann zur Diskussion gestellt, woraufhin der Rat sich entscheidet, ob er an dem Programm teilnehmen will. Wenn ja, treffen sich Vertreter der verschiedenen Fraktionen zwei Tage lang und erarbeiten einen Gesprächskodex. Im Idealfall wird dieser vom Rat beschlossen und zum Beispiel als Anhang in die Satzung oder Geschäftsordnung aufgenommen.

Der Fall Neubrandenburg

Dieses Format hat jedoch Grenzen. Das zeigt das Beispiel Neubrandenburg. Die Kreisstadt in Mecklenburg hat als Pilotkommune am Projekt „Respekt im Rat“ teilgenommen. „Wir waren damals ein bisschen unsicher, ob das klug ist“, gesteht Tetzlaff. Sein Team hatte bereits gehört, dass es hier tieferliegende Probleme im Umgang miteinander gab. Diese könne ein Kodex allein nicht lösen, betont der Experte.

Trotzdem ließ sich die Körber-Stiftung auf das Wagnis ein – mit einigem Erfolg. Die Teilnehmenden waren zufrieden und einigten sich auf ein 16-Punkte-Papier. Darin standen Sätze wie „Wir gehen respektvoll und wertschätzend miteinander um“ oder „Wir lassen einander ausreden und hören einander zu.“ Allerdings zielte das Projekt nur darauf, die Kommunikation der Ratsmitglieder untereinander zu verbessern. Die Stadtverwaltung wurde nicht einbezogen.

Silvio Witt

Der Oberbürgermeister von Neubrandenburg will sein Amt zum 1. Mai 2025 abgeben.

Silvio Witt

Der große Knall folgte im Oktober 2024. Da kündigte Oberbürgermeister Silvio Witt seinen Rücktritt an. Vorausgegangen war ein Beschluss der Stadtvertretung, dass vor dem Bahnhofsgebäude künftig keine Regenbogenflagge mehr gehisst werden dürfe. Witt ist mit einem Mann verheiratet, die Entscheidung dürfte er auch als persönlichen Affront verstanden haben. Dies sei aber nur das „Ende einer langen Kette von Ereignissen“ gewesen, sagte er später.

Der Mensch wird kritisiert, nicht die Politik

Auf Nachfrage der DEMO-Redaktion, wie er das Verhältnis zur Stadtvertretung wahrnimmt, sagt Witt: „Grundlegend ist die Zusammenarbeit erstmal da.“ Man habe die Stadt in den vergangenen zehn Jahren gemeinsam weiterentwickelt. Er habe aber vor seinem Einstieg in die Politik nicht damit gerechnet, dass persönliche Animositäten und Nickeligkeiten schon auf kommunaler Ebene nach seiner Wahrnehmung eine so große Rolle spielten. Schließlich begegne man sich doch ständig im Supermarkt, im Theater oder anderswo in der Stadt. Er selbst sei ein politischer Quereinsteiger und ein emotionaler Mensch. Mit sachlicher Kritik habe er umzugehen gelernt, er finde sie sogar gut. „Etwas anderes ist es, wenn Sie dann merken, dass Sie hinter vorgehaltener Hand nicht für Ihre Politik, für die Art und Weise der Amtsausübung kritisiert werden, sondern dafür, wie Sie als Mensch sind.“ Vertraute hätten ihm zum Beispiel berichtet, dass er im Politikbetrieb von Einzelnen mit diffamierenden Spitznamen wie „Mädchen“ oder „Ziege“ versehen worden sei.

Witt ist überzeugt: Die Menschen wünschen sich nahbare Politikerinnen und Politiker, die emotional sind und auch mal einen Fehler zugeben. Das funktioniere aber nicht. Wenn ein Politiker eine Achillesverse erkennen lasse, sich verletzbar zeige, werde er bekämpft. In der Stadtvertretung gebe es viele gute, konstruktive Leute. Manche seien aber nach seiner Wahrnehmung nur auf Skandale und Schlagzeilen aus. „Man hat darauf gewartet, dass ich Fehler mache“, meint Witt. Zum Beispiel sei er als Kabarettist bei einer Benefizveranstaltung aufgetreten und habe 2.500 Euro für eine städtische Stiftung erspielt. Daraufhin habe ein Stadtvertreter in einer öffentlichen Sitzung gefragt, seit wann auf städtischen Social-Media-Accounts Werbung für Privatvorstellungen des Oberbürgermeisters gemacht werde. „Wäre er vorher zu mir gekommen, hätte ich erklärt, dass es gar nicht meine Veranstaltung ist“, sagt Witt. Aber dieses Zwischenmenschliche existiere nicht.

Wo Bürgermeister Unterstützung finden

Was lässt sich dagegen tun, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vom Rat zermürbt und aus dem Amt getrieben werden? Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung rät dazu, eine kommunale Konfliktberatung oder Mediation aufzusuchen, wenn tieferliegende Probleme die Zusammenarbeit erschweren. Allerdings mangelt es bisher noch an spezialisierten Hilfsangeboten für Amtsträger und Räte, offenbar wurde das Thema lange Zeit unterschätzt. Eine weitere Möglichkeit laut Tetzlaff: Versammlungsleiter könnten an Schulungen teilnehmen, um Konflikte besser zu moderieren.

Bürgermeister Martin Mertens hat aus seinen Erfahrungen den Schluss gezogen, dass er vorsichtiger und weniger vertrauensselig werden müsse. „Ich habe Leute in mein Umfeld gelassen, die mir nichts Gutes wollten“, sagt er. „Man wappnet sich.“ Das gelte auch in juristischer Hinsicht. Mertens hat sich medienrechtlich beraten lassen, um besser gegen Falschbehauptungen vorgehen zu können.

„Als ich ins Amt kam, dachte ich nicht, dass ich sofort einen Anwalt brauche, um mich persönlich zu verteidigen“, kommentiert der eingangs zitierte Bürgermeister, der anonym bleiben möchte. Es sei wichtig, dass man sich eine Amtshaftpflichtversicherung zulege und Vertraute um sich habe, die einem Kraft geben. Das könnten Freunde und Familie sein, aber auch ein Mentaltrainer oder Netzwerke. Außerdem betont er: „In der Politik gibt es nur eine Währung, die zählt, und das ist Vertrauen.“ Wenn niemand mehr vertraue, werde es schwer, zueinander zu finden.

Neubrandenburgs Noch-Oberbürgermeister Silvio Witt wünscht sich, dass auch die Bürgerinnen und Bürger nicht wegsehen, wenn Amtsträger angegangen werden. „Wir alle müssen verstehen, dass Demokratie von uns lebt, dass wir unsere demokratischen Vertreter schützen müssen, weil sie etwas für die Gemeinde, das Land oder für den Bund tun.“

 

Diese Recherche wurde in Kooperation mit dem Netzwerk junge Bürgermeister*innen durchgeführt.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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