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Aufnahme von Geflüchteten: „Für Kommunen wäre eine Fonds-Lösung charmant”

Sollen Kommunen, die freiwillig Geflüchtete aufnehmen wollen, mehr Spielräume erhalten? Damit befasst sich der Bundestag. Auch ein möglicher EU-Fonds für aufnahmebereite Städte und Kreise ist im Gespräch. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh findet die Idee genial, glaubt aber nicht an eine schnelle Einigung.
von Carl-Friedrich Höck · 8. November 2019
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DEMO: Zahlreiche Kommunen wollen als „Sichere Häfen“ eigenverantwortlich zusätzliche Geflüchtete aufnehmen, die aus Seenot gerettet wurden. Wie ist die aktuelle Rechtslage und vor welchen Hürden stehen die Städte und Kreise?

Helge Lindh: Die Grundhürde besteht darin, dass wir eine föderale Verfassung haben. Daraus folgt, dass Kommunen nicht einfach so eigenverantwortlich Geflüchtete aufnehmen können, weil die zentrale Zuständigkeit für die Aufnahme beim Bund liegt.

Der Paragraf 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes sieht zwar vor, dass die Bundesländer und ihre Kommunen auch außerhalb des normalen Asylsystems Menschen aufnehmen können. Das setzt aber voraus, dass der Bundesinnenminister dem jeweiligen Landesaufnahmeprogramm zugestimmt hat. Rechtlich gesprochen braucht es also ein Einvernehmen des Bundes.

Und diese Zustimmung ist schwer zu bekommen?

Genau. Es gab allerdings schon Landesaufnahmeprogramme, die zum Beispiel wegen der akuten Kriegssituation in Syrien ins Leben gerufen worden sind, oder wegen der Verfolgung von Jesiden. In Einzelfällen hat das funktioniert. Oft ist es aber auch schwierig, zu einem Einvernehmen zu gelangen. Dafür müssen Bund, Land und die Kommunen ein gemeinsames Interesse an dem Programm haben. Doch schon bei den Kommunen gibt es unterschiedliche Ansichten, weil sich nicht alle in der Lage sehen, zusätzliche Menschen aufzunehmen.

Linke und Grüne fordern nun eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes, damit die Länder und Kommunen in Zukunft nicht mehr das Einvernehmen des Bundesinnenministers benötigen. Was halten Sie von dem Vorstoß?

Wir haben als Sozialdemokraten gegenüber der Vorstellung eine Grundsympathie. Wir müssen aber auch anerkennen, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Die Kompetenz für Asyl- und Migrationspolitik liegt beim Bund. Eine „Benehmensregelung” – dass also der Bund die Aufnahme nur zur Kenntnis nimmt, aber nicht selbst zustimmen muss – ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nach Meinung vieler Experten nicht möglich.

Darüber hinaus gibt es weitere Fragen, die geklärt werden müssen: Nämlich, wie das gesamteuropäische Aufnahmesystem und die Verteilung von Geflüchteten in Deutschland in Zukunft geregelt sein soll. Die Situation ist schwieriger und komplexer, als es die Anträge von Linken und Grünen suggerieren.

Vorgeschlagen wurde auch, dass ein Fonds auf EU-Ebene eingerichtet wird, mit dem Kommunen direkt finanziell unterstützt werden, die freiwillig Geflüchtete aufnehmen. Auch die SPD-Politikerin Gesine Schwan wirbt für ein solches Modell. Halten Sie das für einen gangbaren und realistischen Weg?

Die Grundidee ist genial und innovativ. Sonst bewegt sich die Diskussion ja meist zwischen den Extremen „Mauern hoch und Abschrecken!“ und „Bleiberecht für alle“. Für die Kommunen wäre eine solche Fonds-Lösung sehr charmant. Denn wenn eine Kommune sich bereit erklärt, zusätzlich zum Königsteiner Schlüssel weitere Geflüchtete aufzunehmen, bekäme sie nicht nur die entstehenden Kosten erstattet für Sozialleistungen, Beschulung und so weiter. Sie bekäme noch einmal denselben Betrag obendrauf für ihre Infrastruktur. Diese Belohnung würde verhindern, dass Flüchtlinge und die alteingesessene Bevölkerung gegeneinander ausgespielt werden können. Weil auch die Menschen, die schon länger in Wuppertal oder Bochum leben, teilweise in Armut, von der Förderung profitieren.

Das Problem ist, dass wir nicht absehen können, ob ein solcher Fonds in Europa auch mitgetragen werden würde. Derzeit funktioniert das ganze europäische Asylsystem nicht. Die sogenannte Dublin-III-Verordnung ist faktisch außer Kraft. Wir müssen einen Fonds-Mechanismus andocken an ein nicht wirklich funktionierendes Verteilungs- und Aufnahmesystem. Das macht die Situation sehr herausfordernd. Es ist aber kein Grund den Gedanken aufzugeben.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) koordiniert die Aktionen der „Städte Sichere Häfen“. Er wünscht sich einen parteiübergreifenden Antrag, der die kommunalen Spielräume erweitert. Können Sie ihm Hoffnung machen?

Ich freue mich immer über mutige und idealistische Bürgermeister. Leider ist die Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen Antrages aller demokratischen Parteien sehr gering. Die AfD sehen wir nicht als demokratische Partei an. Die CDU/CSU geht aber grundsätzlich auch bei keinen Anträgen mit, die auch von den Linken unterzeichnet sind. Damit verhindert die Union bis auf Weiteres gemeinsame Anträge.

Besteht denn dann wenigstens die Möglichkeit, dass die SPD sich mit der Union auf einen Antrag zum Thema verständigen kann?

Ich würde es nicht ausschließen, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht besonders hoch. Den bisherigen Äußerungen der Union war zu entnehmen, dass sie einem solchen Modell, das „Sichere Häfen“ bundesseitig unterstützt, sehr skeptisch gegenübersteht. Es gibt lediglich Signale, dass man bei der Verteilung der Geflüchteten besonders aufnahmebereite Kommunen berücksichtigen wolle – aber das wäre ja nur eine sehr kleine Lösung. Was Mike Schubert und andere wollen, findet gegenwärtig nicht die Unterstützung der CDU.

Vielen Dank für das Interview.

Eines würde ich gerne noch ergänzen: Ich habe mir gerade in Italien die Situation vor Ort angesehen, wo die aus Seenot geretteten Menschen ankommen. Wenn sich deutsche Kommunen aufnahmebereit zeigen, ist das auch ein starkes Signal an Italien und Malta, die sich überlastet fühlen und nicht alleingelassen werden wollen.

Wir müssen aber auch darauf achten, dass es nicht zu einer sogenannten „Rosinenpickerei“ kommt – dass sich Deutschland also die Geflüchteten aussucht, die es gerne haben will, und nur Frauen oder nur Familien aufnimmt. Eine Fonds-Lösung setzt voraus, dass alle Seiten freiwillig mitmachen. Wenn wir dazu einen europäischen Konsens hinbekämen, wäre es ein tolles Modell.

 

Helge Lindh ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Innenausschuss.

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Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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