Berlin Treptow-Köpenick

Bezirkliche Nachhaltigkeitsstrategie: „Wir wollten kein Papier für die Schublade”

Carl-Friedrich Höck27. Juli 2023
Lastenradflotte vor dem Rathaus Köpenick: Der kostenlose Verleih ist Teil der Nachhaltigkeitsaktivitäten des Bezirks.
Als erster Berliner Bezirk hat Treptow-Köpenick eine kommunale Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Was der Bezirk unternimmt, um nachhaltiger zu werden, erklärt Koordinator Dennis Lumme im Interview.

Dennis Lumme ist „Koordinator Kommunale Entwicklungspolitik” des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick.

DEMO: Als erster Berliner Bezirk hat Treptow-Köpenick im Jahr 2021 eine kommunale Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt. Wie kam es dazu?

Dennis Lumme: Im Bezirk befassen wir uns seit 30 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Schon 2004 hat der Bezirk eine Konzeption für eine nachhaltige Entwicklung veröffentlicht, die „Lokale Agenda 21“. Das war aber ein sehr herkömmliches Strategiepapier: viel Text, viel Inhalt, alle Handlungsfelder wurden von A bis Z durchgearbeitet. Rückblickend fiel es schwer, da konkrete Ansatzpunkte für die Praxis zu finden. Aber aus der Arbeit sind einige schöne Projekte hervorgegangen, wie der „Wuhlegarten“ – ein interkultureller Garten und Begegnungsort direkt neben dem Stadion An der Alten Försterei. Außerdem sind Strukturen entstanden, zum Beispiel der Konsultationskreis. Dort kommen alle Akteurinnen und Akteure zusammen, die im Nachhaltigkeitsprozess aktiv sind: Verwaltung, Zivilgesellschaft, die Kommunale Ökumene (Religionsgemeinschaften).

Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 beschlossen und 17 Nachhaltigkeitsziele („SDGs“) definiert. Wie ist der Bezirk das Thema angegangen?

Im Bezirksamt war schnell klar, dass wir die „Lokale Agenda“ aktualisieren müssen. Um mit den 17 SDGs voranzukommen, fehlten aber Kapazitäten, auch in der Verwaltung. Bis dahin war der Agenda-Beauftragte gleichzeitig der Büroleiter des Bezirksbürgermeisters. Geholfen hat uns das Förderinstrument „Koordination kommunaler Entwicklungspolitik“, das 2016 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgestellt wurde. Seit 2017 bin ich Koordinator für kommunale Entwicklungspolitik und damit auch Ansprechpartner und Kümmerer für das Thema Nachhaltigkeit.

Die Vereinten Nationen haben nicht nur 17 SDGs, sondern insgesamt 169 Unterziele definiert. Kann eine einzelne Kommune das überhaupt alles abarbeiten – oder muss man sich bewusst eigene Schwerpunkte setzen?

Wir können nicht alle 169 Unterziele bedienen. Es sind auch nicht sämtliche Punkte für eine deutsche Kommune gleichermaßen relevant. Wir haben uns aber klar entschieden, dass wir zu allen 17 SDG´s arbeiten wollen, also keines unter den Tisch fallen lassen. Und wir wollten den Schritt ins Konkrete hinbekommen, was zuvor bei der „Lokalen Agenda“ nur vereinzelt geklappt hatte. Deshalb haben wir ein Beteiligungsformat entwickelt, Workshops zu allen SDGs gemacht und uns mit bestehenden Best-Practice-Beispielen befasst. Davon ausgehend haben wir dann überlegt: Was können wir zusätzlich machen? Ziel war es, pro SDG drei bis fünf Maßnahmen zu entwerfen. Die können dann von der Verwaltung, Zivilgesellschaft oder anderen Akteuren umgesetzt werden. So sind wir als Bezirk auf 69 Maßnahmen gekommen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir waren der letzte Berliner Bezirk, der noch kein kommunales Klimaschutzmanagement hatte. Das ist natürlich eine fundamentale Stelle für die Umsetzung ganz vieler SDGs. Das haben wir geändert, der Bezirk hat jetzt eine Klimaschutzmanagerin. Ein anderes Beispiel ist die „fLotte kommunal“: Der Bezirk verleiht an kommunalen Standorten wie Bibliotheken oder Jugendzentren kostenlos Lastenfahrräder. Das gibt es mittlerweile in allen Berliner Bezirken

Sie haben betont, dass der Bezirk eng mit Zivilgesellschaft und Kirchengemeinden zusammenarbeitet. Welche Rolle spielen die Partner?

Im Bezirk gibt es verschiedene Strukturen, die das Thema Nachhaltigkeit jeweils auf ihre Weise vorantreiben. Dazu gehört die „Kommunale Ökumene Treptow-Köpenick“, ein Zusammenschluss von 27 Kirchengemeinden unterschiedlicher Konfessionen. Auf kommunaler Ebene gibt es die „Fairtrade-Towns“, in den Kirchen gibt es mit den „Fairen Gemeinden“ ein ähnliches Siegel. Die Gemeinden machen sich Gedanken, wie sie die Beschaffung global gerechter und nachhaltiger ausrichten können.

In der Zivilgesellschaft spielt die Städtepartnerschaft zwischen Treptow-Köpenick und Cajamarca in Peru eine wichtige Rolle. Sie wird von einer Arbeitsgemeinschaft mit Leben gefüllt. Die 17 Nachhaltigkeitsziele sind ein zentrales Element dieser Partnerschaft. Zum Beispiel wird in unserem Bezirk fair gehandelter Kaffee aus Cajamarca verkauft.

Wie ist die 2021 veröffentlichte Nachhaltigkeitsstrategie des Bezirks aufgebaut und was bringt sie dem Leser oder der Leserin?

Der Grundgedanke war es, kein 500-seitiges Strategiepapier für die Schublade zu erarbeiten. Stattdessen wollten wir eine Broschüre haben, die zum einen aufzeigt: Was machen wir schon? Und zum anderen konkrete Maßnahmen auflistet, die wir gemeinschaftlich angehen wollen.

Wer sich mit Projekten für eine nachhaltige Entwicklung einsetzt, kann sich beim Bezirk um Fördermittel bewerben. Was für Aktivitäten hat der Bezirk bisher unterstützt?

Es gibt den Agenda-Fonds, mit dem wir Nachhaltigkeitsprojekte anstoßen wollen. Bis zu 2.000 Euro Förderung gibt es je Projekt. Der Konsultationskreis berät über eine Förderung. In der Vergangenheit haben zum Beispiel Schulen Anträge gestellt, die computergesteuerte Bewässerungssysteme installieren wollten – was man auch mit pädagogischen Ansätzen verknüpfen kann. Wir haben Schulgärten und Hochbeete finanziert, Insektenhotels und in der Anfangsphase auch den Verleih der Lastenfahrräder. Mittlerweile gibt es dafür Geld vom Senat.

Wie wird kontrolliert, was die Nachhaltigkeitsstrategie des Bezirks bewirkt?

Wir haben uns Expertise von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) eingeholt. Gemeinsam haben wir ein Indikatoren-Set und eine Homepage entwickelt, um die Wirkung unsere Strategie messbar zu machen (www.sdg-treptow-koepenick.de). Mittlerweile gibt es weitere gemeinsame Projekte. Aktuell arbeiten wir an einem „Nachhaltigkeitsmarker“ für den kommunalen Haushalt. Damit schauen wir: Was investieren wir eigentlich schon in nachhaltige Aspekte und wie lässt sich das ausbauen? Neben der HTW ist unter anderem auch das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) beteiligt.

Wie bewerten Sie die bisherigen Erfolge?

Von den 69 geplanten Maßnahmen ist ein Drittel weitgehend abgeschlossen, ein Drittel in der Umsetzung und ein Drittel müssen wir noch anstoßen. Es ist also schon eine Menge passiert. Zum Beispiel ist Treptow-Köpenick als Fairtrade-Town sehr aktiv. Wir machen in den Ferien Schulkino-Projekte zum Thema und haben einen fair gehandelten Anteil im Schulessen erwirkt. In Schulen werden Klima-AGs gegründet und wir haben einen Leitfaden für Schulgärten veröffentlicht.

Wie erleben Sie den Austausch mit anderen Kommunen, die das Thema Nachhaltigkeit angehen?

Das war für mich fundamental wichtig. Als ich im Jahr 2017 die Stelle angetreten habe, gab es keine vordefinierten Abläufe für die Arbeit als Koordinator. Deshalb ist es gut, dass es das Netzwerk „Global Nachhaltige Kommune“ von Engagement Global gibt. So konnte ich mich auf Veranstaltungen und im Austausch mit anderen Kommunen inspirieren und beraten lassen. Viele der Anregungen sind auch in die Kommunale Nachhaltigkeitsstrategie von Treptow-Köpenick eingeflossen.

Weiterführende Links:

 

Gemeinwohl-Bilanzierung für Unternehmen

Im Rahmen seiner Nachhaltigkeits-Aktivitäten unterstützt der Bezirk Treptow-Köpenick Unternehmen, die gemeinwohlorientiert wirtschaften wollen. Im April 2023 gab es eine Info-Veranstaltung zur Gemeinwohl-Bilanzierung.

Dazu teilte der Bezirk mit: „Die Gemeinwohl-Bilanz ist eine ethische Bilanz, die parallel zur finanziellen Bilanz erstellt wird. Sie erfasst den Beitrag zum Gemeinwohl, der durch das wirtschaftliche Handeln entsteht. Die ethischen Maßstäbe orientieren sich hierbei an wirtschaftsrelevanten Verfassungswerten, wie sie im Grundgesetz festgelegt sind: Menschenwürde, ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit und Solidarität, Transparenz und demokratische Mitwirkung.” Die Gemeinwohl-Bilanzierung sei der Anfang eines langfristigen, werteorientierten Entwicklungs- und Qualitätsprozesses in einem Unternehmen.

Der Bezirk kooperiert dazu mit dem Netzwerk Gemeinwohl-Ökonomie Unternehmen Berlin-Brandenburg e.V. und dem lokal ansässigem Gemeinwohl-Ökonomie Unternehmen be4energy GmbH. Für den 20. Oktober ist eine weitere Veranstaltung geplant. Damit wollen die Kooperationspartner ein vertrauensvolles Netzwerk gemeinwohl-orientierter Unternehmen initiieren. (Mehr Infos hier.)

Eine Gemeinwohl-Bilanzierung könnte in Zukunft auch ein Auswahlfaktor bei kommunalen Vergabeverfahren sein.

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