Wie Europa gegen die Luftverschmutzung kämpft
Für Deutschland wird es ernst. Die EU-Kommission hat gegen die Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil die Grenzwerte für Stickoxide in vielen Städten überschritten werden. Nun muss die Kommission entscheiden, ob sie auch vor dem Europäischen Gerichtshof Klage erhebt. Das Gericht könnte dann Maßnahmen anordnen oder Sanktionen verhängen, zum Beispiel eine Strafzahlung.
Krisengipfel in Brüssel
Die Entscheidung wird womöglich am 30. Januar fallen. Für diesen Tag hat der zuständige EU-Kommissar Karmenu Vella zu einem Luft-Gipfel nach Brüssel geladen. Minister aus neun Mitgliedsstaaten sollen dort erklären, wie sie die Grenzwerte für die Luftverschmutzung – insbesondere mit Stickoxiden (NO2) und Feinstaub – einzuhalten gedenken. Wenn nicht „tatsächlich weitere wirksame Maßnahmen ergriffen und unverzüglich umgesetzt werden“, werde die Kommission juristische Schritte einleiten, kündigt sie an.
Neben Deutschland sind auch Minister aus Tschechien, Spanien, Frankreich, Italien, Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Großbritannien geladen. Zwei weitere Länder sind bereits in der Vergangenheit angeklagt worden wegen zu hoher Feinstaubwerte: Bulgarien und Polen.
400.000 Tote jährlich wegen Luftverschmutzung
Und damit nicht genug: In 23 von 28 Mitgliedstaaten werden die Normen für die Luftqualität noch immer nicht eingehalten, heißt es aus der EU-Kommission. Mehr als 130 Städte seien betroffen. Die schlechte Luft wiederum habe europaweit mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle zur Folge – pro Jahr. Vertragsverletzungsverfahren laufen deshalb auch gegen Belgien, Dänemark, Luxemburg, Österreich, Portugal sowie (ausschließlich wegen der Feinstaubbelastung) gegen Griechenland, Lettland, Slowenien und Schweden.
Dass aus einem EU-Verfahren eine öffentliche Debatte wird, dafür hat hierzulande die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gesorgt. Mit Klagen gegen mehrere Städte hat sie auch die Bundespolitik unter Druck gesetzt – denn wenn sie den Kommunen nicht stärker unter die Arme greift, drohen gerichtlich angeordnete Fahrverbote. Ein Blick auf andere Länder zeigt, dass das Thema Luftverschmutzung auch dort die Öffentlichkeit bewegt.
London kämpft gegen den Feinstaub
In London zum Beispiel war die Stickoxid-Belastung jahrelang die wohl größte Europas. Das lag nicht nur an den hohen Häuserschluchten. Auch die vielen dieselbetriebenen Taxen und Busse trugen ihren Teil dazu bei. Die Politik hat deren Einsatz mit einer Citytax und Steuererleichterungen für Diesel sogar noch gefördert. Infolge der seit 2010 verbindlichen EU-Grenzwerte für NO2 drohten Großbritannien empfindliche Geldstrafen. Das Umweltministerium hat reagiert und einen 3,5 Milliarden-Euro-Plan gegen Luftverschmutzung aufgelegt. Zudem sollen ab 2040 keine neuen Diesel- und Benzin-PKW mehr verkauft werden dürfen.
Die Stadt erhöhte die Citytax-Gebühren für ältere und besonders dreckige Fahrzeuge. Zudem wurde eine innerstädtische Zone eingerichtet, die nur noch besonders saubere Busse befahren dürfen. Immerhin: Laut Bürgermeister Sadiq Khan hat die Stadt in den ersten Januartagen die NO2-Grenzwerte eingehalten – zum ersten Mal seit zehn Jahren. Umweltschützer sprechen von einem ersten Schritt, dem weitere Maßnahmen folgen müssten. (Mehr dazu: bbc.com)
Pariser Bürgermeisterin will Verbrennungsmotoren stoppen
Paris hat den Kampf gegen Autoabgase ebenfalls aufgenommen – auch mit Blick auf die Olympischen Spiele 2024. Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat kürzlich sogar vorgeschlagen, alle Verbrennungsmotoren binnen zwölf Jahren aus der Stadt zu verbannen. Schon jetzt setzt sie geradezu radikal auf Verkehrsberuhigung. Sie hat eine Schnellstraße an der Seine in Fußgängerzonen umgewandelt, auch die Ring-Autobahn um die Stadt will sie beruhigen. (Mehr: stuttgarter-nachrichten.de) Gemeinsam mit EU-Kommissar Vellar war die Bürgermeisterin der französischen Hauptstadt auch Schirmherrin eines europäischen Forums „Saubere Luft“, das im November stattfand. Es sollte einen Dialog anstoßen, wie die Luftqualität in Städten und der Landwirtschaft verbessert werden kann.
In der norwegischen Hauptstadt ist das Dieselverbot schon Realität geworden – zumindest vorübergehend. Im Januar vergangenen Jahres hat die Stadt für mehrere Tage untersagt, Dieselfahrzeuge zu benutzen. Madrid hat ebenfalls mit drastischen Maßnahmen auf die Luftverschmutzung reagiert: Ende 2016 wurde erstmals angeordnet, dass nur noch die Hälfte der Autos die Straßen befahren darf. Je nach Tag dürfen zeitweise nur Fahrzeuge mit geraden oder ungeraden Zahlen auf dem Nummernschild eingesetzt werden.
Gericht verhandelt über Fahrverbote
Juristisch ist das in Spanien seit 2015 möglich. Übernommen wurde die Idee aus Italien: In Rom oder Mailand wurden vorübergehende und nummernschildabhängige Fahrverbote schon zuvor praktiziert. Auch Paris hat das Konzept bereits angewandt.
Ob deutsche Städte folgen, wird sich wohl in den kommenden Wochen entscheiden. Am 22. Februar verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über die Frage, ob Diesel-Fahrverbote in Deutschland zulässig sind.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.