Gleichstellungsbeauftragte rebellieren für bessere Pflegebedingungen
Die Tücken des Pflegeberufs kennt Nina Böhmer in allen Facetten. Als Pflegefachkraft arbeitet sie für eine Zeitarbeitsfirma. Deshalb wird sie mal hier und mal dort eingesetzt, wo es eben gerade an Personal fehlt. Und das ist an ziemlich vielen Orten der Fall. 70.000 Fachkräfte zu wenig gebe es deutschlandweit, schätzt Böhmer. Laut einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln könnte die Zahl bis zum Jahr 2035 auf 307.000 steigen.
Diejenigen, die im Beruf arbeiten, klagen oft über hohe Arbeitsbelastung, Überstunden und eine vergleichsweise niedrige Bezahlung. Nina Böhmer berichtet, dass sie schon erlebt hat die einzige Fachkraft auf einer Station zu sein – obwohl sie als Zeitarbeiterin die Patient*innen nicht kannte. Wegen der schlechten Bedingungen steigen viele Menschen aus dem Beruf frühzeitig aus, die Fluktuation ist hoch.
Gleichstellungsbeauftragte starten Pflegerebellion
Ihre Erfahrungen hat Nina Böhmer in einem Buch geschildert. Nun ist sie das Gesicht einer Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbeauftragter und Gleichstellungsstellen (BAG). Das ist die Dachorganisation der rund 1.900 Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten.
Zum Tag der Pflege am 12. Mai protestierte die Arbeitsgemeinschaft vor dem Berliner Reichstag sowie in weiteren Städten für eine Aufwertung der Pflegeberufe. Denn hier arbeiten mehrheitlich Frauen. Und ihre Arbeit würde traditionell niedriger bewertet als die sogenannten Männerberufe, teilt die Arbeitsgemeinschaft mit. Sie verweist auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die verschiedene Berufe nach Aspekten wie Länge der Ausbildung, Verantwortung, körperlicher Belastung oder Schichtdiensten verglichen hat. Dabei kämen medizinische Fachberufe auf ähnliche Werte wie Software-Entwickler*innen. Während letztere im Schnitt 27,68 Euro pro Stunde verdienten, kämen medizinische Fachkräfte nur auf 15,65 Euro, eine Altenpflegerin sogar nur auf 14,24 Euro.
Seit Jahren würden Krankenhäuser privatisiert und auf Profit getrimmt, kritisieren die Gleichstellungsbeauftragten. Sie fordern „eine Gesundheitspolitik, die sich am Gemeinwohl und nicht an Börsengewinnen orientiert“. Bis zum Jahresende soll die Pflegekampagne unter dem Motto „Wann, wenn nicht jetzt“ laufen, die erste Kampagnenphase ist mit „Pflegerebellion“ überschrieben. Protestiert wird mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen vor Ort, aber auch digital, zum Beispiel auf der Social-Media-Plattform Instagramm.
Kein einheitlicher Tarif
Erst kürzlich ist der Versuch gescheitert, einen Tarifvertrag für die Pflege für allgemeinverbindlich zu erklären. Die Caritas hatte ihr Veto eingelegt. Anke Spiess von der BAG hält das für eine Katastrophe für die Pflegeberufe. Es gebe „einen Wirrwarr an Tarifen“. Ihre Kollegin Heike Gerstenberger – bis vor kurzem Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft – ergänzt: Ohnehin seien Frauen von der Corona-Pandemie am meisten betroffen. Sie litten besonders unter der fehlenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Gewalt in Partnerschaften habe zugenommen und die Situation von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften habe sich weiter verschlechtert.
Die Wahlprogramme der Parteien werde man sich jetzt genau anschauen, sagen die Vertreterinnen der BAG. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat Anfang Mai bereits einen Gesetzentwurf für höhere Löhne in der Altenpflege vorgelegt. Die SPD wirft dem eigentlich zuständigen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, zu lange passiv geblieben zu sein. Die Sozialdemokrat*innen wollen auch eine Pflege-Bürgerversicherung einführen, die Personalschlüssel verbessern und in Pflegeberufen mehr Aufstiegsmöglichkeiten schaffen, um den Beruf attraktiver zu machen.
Doch noch ist das Zukunftsmusik. „Nichts hat sich geändert“, sagt Pflegefachkraft Böhmer über die vergangenen Monate. Ihre Kolleg*innen arbeiteten immer noch am Limit.
Mehr Informationen zur Kampagne:
pflegerebellion.de
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.