Hamburger Vorzeigeprojekt steht auf der Kippe
War es Zufall? War es eine Frage von: Man schlägt den Sack und meint den Esel? Tatsache ist: Kurz nachdem Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) den Gesundheitskiosk in Hamburg Billstedt besuchte, kündigten drei Ersatzkrankenkassen – Techniker, DAK-Gesundheit und BARMER – die Zusammenarbeit. Mehrere Versuche, die drei Vertragspartner an den Verhandlungstisch zu holen, scheiterten. Ein Großteil der Finanzierung ist damit weggebrochen, denn ab Januar 2023 finanzieren allein AOK Rheinland/Hamburg und die Mobilkrankenkasse die Angebote des Gesundheitskiosks. Das Angebot kann deshalb nur noch eingeschränkt aufrechterhalten werden.
Betroffen sind 2000 Versicherte. Das ist etwa die Hälfte. Viele von ihnen sind chronischen krank, leiden an mehreren Erkrankungen gleichzeitig, sprechen schlecht oder gar nicht Deutsch und haben wenig gesundheitliches Vorwissen. Was sie verbindet: Sie haben einen erhöhten Beratungs- und Betreuungsbedarf. Im Gesundheitszentrum werden sie von examinierten, akademisierten Pflegefachkräften ganzheitlich betreut. Was auch immer die drei Ersatzkassen zu ihrer Entscheidung bewogen hat: Sie geht zu Lasten der Bewohnerinnen und Bewohner von Hamburg-Billstedt. Wer hier lebt, wurde in der reichsten Stadt Deutschlands nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren.
Leuchtturmprojekt in Gefahr
Der Gesundheitskiosk in Billstedt-Horn gilt als bundesweites Vorbild für innovative medizinische Versorgungsformen in besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen. Dort sollen, so steht es im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP, „niedrigschwellige Beratungsangebote (z. B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention“ errichtet werden. Im August 2022 präsentierte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach dafür die Eckpunkte. Danach sollen bundesweit 1.000 Gesundheitskioske aufgebaut werden. Initiieren sollen sie die Kommunen. Finanziert werden sollen sie zu 74,5 Prozent von den gesetzlichen Krankenversicherungen und zu 5,5 Prozent von den privaten Krankenversicherungen. Die Kommunen sollen sich mit 20 Prozent beteiligen. So steht es in einem Eckpunktepapier des Gesundheitsministeriums.
Hauptaufgabe der Gesundheitskioske ist es, den Zugang zur Versorgung der Patientinnen und Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf zu verbessern und zu koordinieren, damit alle Menschen, egal wo sie wohnen, „die Möglichkeit haben, schnell und kompetent in Gesundheitsfragen beraten zu werden und unbürokratisch Hilfe zu erhalten“. So steht es in den Eckpunkten. Start ist voraussichtlich die zweite Jahreshälfte 2023. „Wir bedauern es sehr, dass Ersatzkassen und Betreiber des Gesundheitskiosks sich nicht einige werden konnten und nicht einmal eine Übergangslösung gefunden werden konnte“, sagt Claudia Loss, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg. Angesichts des Personalmangels im Gesundheitswesen herrscht nun die Sorge, dass qualifiziertes Personal verloren geht.
(K)eine Lösung in Sicht?
100.000 Euro hat die Stadt Hamburg schon in das Projekt investiert. „Das Haushaltsrecht lässt es schlicht nicht zu, dass die Stadt mit einer Zwischenfinanzierung bis zum Inkrafttreten des geplanten Gesetzes einspringt“, so Claudia Loss. Ihre Hoffnung ruht deshalb auf der Ärzteschaft. „Wir hoffen sehr, dass sich ein Arzt findet, der ein lokales Gesundheitszentrum betreiben will.“ In dem Zentrum könnten weitere Ärzte, Hebammen, eine Elternschule und Community Nurses integriert sein. Letztere sind diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen. Sie unterstützen Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags, beraten, erklären, messen Blutdruck, setzen Spritzen und wechseln Verbände und entlasten so die Ärzte. Vorbild in Hamburg ist das Stadtteil-Gesundheitszentrum auf der Elbinsel Veddel, in der ein interdisziplinäres Team aus Medizinerinnen und Medizinern psychologische, juristische, ärztliche und Pflegeberatung oder soziale Beratung anbietet und Menschen so problemorientiert und ganzheitlich betreut.
Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes müsse der Gesundheitskiosk nicht schließen, betont Claudia Loss. Er könnten jedoch nur noch Menschen der BKK Mobil Oil, und der AOK behandeln. Das sind die Kassen, die sich an der Finanzierung weiter beteiligen. Die Öffnungszeiten, das haben die Betreiber des Kiosks schon angekündigt, werden sich ab Januar reduzieren. Das Nachsehen haben diejenigen, die sich am wenigsten wehren können: Wer in Deutschland arm ist, stirbt früher: Frauen acht Jahre, Männer elf Jahre. Das hat das Robert Koch-Institut in Berlin ermittelt. Eine bessere gesundheitliche Beratung und Betreuung kann diese Ungleichheit verringern. Sie ist dringend nötig.