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Wie solidarische Kommunen funktionieren können

Was können Kommunen zum vorsorgenden Sozialstaat beitragen? Darüber diskutierten Sozialdemokraten am Freitag auf einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion. Deutlich wurde: Im Kampf gegen Arbeitslosigkeit brauchen die Kommunen den Bund als Partner.
von Carl-Friedrich Höck · 27. Januar 2017
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Nein, Sigmar Gabriel ist nicht zur Konferenz gekommen. Als Bundeswirtschaftsminister sollte er eigentlich über die Partnerschaft von Bund und Kommunen referieren. Stattdessen ist er am Freitagvormittag schon auf dem Weg zum Bundespräsidenten, um sich zum Außenminister ernennen zu lassen. Das Ende einer turbulenten Woche, merkt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann an. Den Überraschungs-Kanzlerkandidaten Martin Schulz nennt er „einen Glücksfall“. Er erreiche auch Menschen, die sonst nicht mehr an die Politik glauben. Und er sei als ehemaliger Bürgermeister von Würselen ein gelernter Kommunalpolitiker. „Kommunalpolitik ist die Schule der Politik und der Demokratie“, meint Oppermann. „Das macht einen Unterschied, Frau Merkel war nie in der Kommunalpolitik.“

Kommunen entwickeln sich auseinander

Dann kommt der Fraktionsvorsitzende zum eigentlichen Thema dieses Treffens im Berliner Reichstag: Solidarität. „Der Armuts- und Reichtumgsbericht der Bundesregierung ist noch nicht fertig. Eigentlich bräuchten wir auch eine Reichtums- und Armutsbericht für Kommunen und Landkreise.“ Mit dem demografischen Wandel entwickelten sich Kommunen und Regionen auseinander. Der Grundsatz der gleichwertigen Lebensverhältnisse müsse hoch gehalten werden. „Es darf keine Benachteiligung sein, in welcher Stadt oder welchem Dorf ich aufgewachsen bin“, warnt Oppermann.

Die Bundesregierung hat einiges angestoßen, um finanzschwache Kommunen zu entlasten: Eine jährliche Entlastung der Kommunen um fünf Milliarden Euro, kommunale Investitionsprogramme von sieben Milliarden im Jahr, zusätzliche Bundesmittel für den Bund-Länder-Finanzausgleich. Alles Schritte, die den Kommunen auch mehr Spielraum verschaffen, vor Ort die sozialen Probleme anzugehen. „Wir müssen weiter darüber nachdenken, wie Kommunen auskömmlich finanziert werden“, resümiert Oppermann. „Wir müssen aber auch fragen: Ist das, was wir jetzt schon machen, auch richtig?“

Auf struktureller Ebene nachbessern

Auch der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Bernhard Daldrup warnt „Die Schere zwischen armen und wohlhabenden Kommunen zu schließen ist nicht in dem Maße gelungen, wie wir das wollten – an dem Punkt müssen wir noch arbeiten.“ Neben der Frage nach Geld und Investitionen müsse man aber auch schauen, was auf der strukturellen Ebene verbessert werden kann.

Eine Antwort hat Stefan Sell parat, Professor am Institut für Sozialpolitk und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz. Er fordert ein Umdenken im Umgang mit Langzeitarbeitslosen. Knapp drei Millionen Langzeitbezieher von Hartz IV-Leistungen gebe es, eine Million davon sei von jeder Arbeit seit Langem abgekoppelt. Und diese Zahl sei seit zehn Jahren zementiert. „Wir haben diesen Menschen nicht viel anbieten können, oftmals sogar gar nichts. Und wenn, dann höchst diskussionswürdige Angebote, kurzfristige Maßnahmen.“ Wer lange arbeitslos sei, werde auch eher krank und habe etwa ein höheres Herzinfarkt-Risiko. Das verursache enorme Kosten, etwa für die Krankenkassen, rechnet Sell vor.

Verschiedene Finanzierungssysteme

Das Problem: Vorsorgende Maßnahmen müssen aus dem Sozialsystem oder von Kommunen finanziert werden, die Rückflüsse gingen in die Krankenkassen. Dieses „versäulte Finanzierungssystem“ will Sell durchbrechen. Er plädiert für ein neues Arbeitsbeschaffungs-Programm: Mit langfristigen, öffentlich geförderten Jobs, die nah am ersten Arbeitsmarkt sind (statt der 1-Euro-Jobs, die dezidiert nicht in Konkurrenz zu herkömmlicher Arbeit stehen dürfen). Zudem müsse das Förderrecht einfacher und schlanker werden.

Praktische Erfahrungen bringt Ulf Kämpfer in die Debatte, Oberbürgermeister von Kiel. „Wir haben in Kiel zementierte Langzeitarbeitslosigkeit und einen gespaltenen Arbeitsmarkt“, sagt er. Über 9000 Langzeitarbeitslose gebe es in der Stadt, die Hälfte davon sei seit mehr als vier Jahren im SGB II-System.

Prävention funktioniert, aber kostet

Kiel hat darauf seit 2005 mit einem Bündel präventiver Maßnahmen reagiert: Beratungsangebote für Schulden- oder Suchtprobleme, kommunale Beschäftigungsförderung, Coachingmaßnahmen, Bildungsangebote und vieles mehr. Jeder Arbeitslose, jede Familie habe andere Probleme, auf die ein passendes Angebot gefunden werden müsse, ist Kämpfer überzeugt. „Wir haben fast 30 verschiedene Maßnahmen, wenn man sich damit befasst schwirrt einem der Kopf. Aber die Komplexität ist bitter nötig.“

Der Ansatz funktioniere, aber er könne nicht nur mit Erfolgsmeldungen aufwarten, sagt Kämpfer. „Die Grundfinanzierung der Kommunen hindert mich daran, das umzusetzen, was wir als richtig erkannt haben.“ Das sei in den skandinavischen Partnerstädten Kiels ganz anders, dort sei die Grundausstattung der Kommunen viel höher. Da müsse der Bund noch nacharbeiten, meint Kämpfer, und warnt: „Wir brauchen einen direkten Durchgriff des Bundes an die Kommunen. Da dürfen die Länder nicht ran, sonst wird das Geld mit der Gießkanne verteilt.“ Das aber müsse man vermeiden, wenn man gleichwertige Lebensverhältnisse überall sichern wolle. „Auch da bitte ich um Solidarität: Die starken Kommunen müssen den schwächeren unter die Arme greifen“, sagt das Kieler Stadtoberhaupt.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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