Kleinmachnows Bürgermeister Grubert

„Uns war klar: Eine Löwin würde nicht auf den Marktplatz laufen”

Carl-Friedrich Höck08. August 2023
Auf einer Pressekonferenz am 21. Juli 2023 erklärt Bürgermeister Michael Grubert, warum auf dem aufsehenerregenden Handyvideo doch keine Löwin zu sehen war.
Die Gemeinde Kleinmachnow erfuhr im Juli bundesweite Aufmerksamkeit. Im Ort wurde vermeintlich eine Löwin gesichtet, die Polizei suchte mit großem Aufwand nach dem Tier. Wie Bürgermeister Michael Grubert den Einsatz erlebte, erzählt er im DEMO-Interview.

DEMO: Dass Sie es als Bürgermeister mit einer vermeintlich freilaufenden Löwin zu tun bekommen, haben Sie wahrscheinlich selbst nicht erwartet. Gab es trotzdem einen Notfallplan für Gefahrenlagen, auf den die Kommune zurückgreifen konnte?

Michael Grubert: Grundsätzlich gibt aufgrund des Ukraine-Krieges und der Energiekrise schon Notfallpläne bei uns. Da ist festgelegt: Was machen wir bei Stromausfall oder Wasserausfall? Für eine freilaufende Löwin hatten wir natürlich keinen Plan in der Schublade.

Die Polizei hat mit 200 Beamten nach dem vermeintlichen Raubtier gesucht. Wie waren die Aufgaben zwischen Polizei und Kommune verteilt?

Am Anfang war die Kommune gar nicht eingeschaltet. Es ging damit los, dass sich in der Nacht ein Vater bei der Polizei gemeldet hat, in Kleinmachnow sei ein Wildtier gesichtet worden. Dazu gibt es auch ein Handyvideo. Die Polizei hat das Video schnell als echt einstufen können – es war also nicht mit KI oder anderen Techniken zusammengeschnitten. Nach einer ersten Einschätzung handelte es sich bei dem Tier um eine Löwin.

Michael Grubert (SPD) ist seit 2009 hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Kleinmachnow in Brandenburg.

Die Polizei hat daraufhin die beiden Jugendlichen interviewt, die das Wildtier gesichtet hatten – das war so gegen 1:30 Uhr nachts. Am Morgen ist die Maschinerie der Polizei angelaufen, ohne dass die Kommune involviert war. Sie hat eine Hundertschaft losgeschickt um den Wald zu durchkämmen. Es wurde ein Hubschrauber mit Wärmebildkameras eingesetzt und im Morgengrauen auch Drohnen. Um fünf Uhr haben zwei Polizeibeamte eine vermeintliche Löwin gesichtet. Ich selbst wurde um kurz nach 6 Uhr von meiner Feuerwehr angerufen und habe dann auch schon im Radio gehört, dass es eine Notfallwarnung für Kleinmachnow und Umgebung gibt.

Was ist dann passiert?

Zu dieser Zeit ist die Polizei bereits durch den Ort gefahren und hat die Bevölkerung gebeten, zu Hause zu bleiben oder vorsichtig zu sein und unnötige Spaziergänge zu vermeiden. Ich bin gegen halb acht ins Büro gekommen und habe Kontakt mit der Polizei aufgenommen. Die hat dann die Situation neu bewertet: Es gehe nicht mehr um eine Gefahr für einzelne Personen, sondern es gebe eine allgemeine Gefahrenlage. Damit lag die Zuständigkeit bei der Kommune. Ab neun Uhr waren wir federführend.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Es gab eine Lageeinschätzung, die zusammengefasst hat, was in der Nacht passiert ist. Ich habe zusammen mit dem stellvertretenden Ordnungsamtsleiter, der gleichzeitig Wehrführer der Polizei ist, ganz schnell einen Krisenstab gegründet. Wir haben Verbindung zur Feuerwehr und zur Polizei gehalten, eine Mitarbeiterin hat alles protokolliert und eine weitere das Telefon bedient. So wurden die Maßnahmen abgestimmt.

Wie lief die Kommunikation mit der Bevölkerung?

Die Pressestelle hat gute Arbeit geleistet und wir hatten einen Telefondienst. Wir haben Hinweise gegeben, dass die Kinder im Kindergarten auf dem Gelände bleiben sollen. Eine Jugendfreizeiteinrichtung, die gerade ein Sommerprogramm hatte, wurde gebeten nach Berlin zu fahren und auf die Kartbahn zu gehen, damit die Kinder nicht hier auf dem Spielplatz spielen müssen. Uns war aber klar: Eine Löwin würde nicht wie in einem Schocker-Film auf den Marktplatz laufen und versuchen die Leute zu reißen. Löwen suchen keine Menschenmengen. Die Bevölkerung hat sich auch nicht völlig aufgelöst vor dem Rathaus versammelt.

Unabhängig davon, ob es tatsächlich eine Löwin war: Wie bewerten Sie den Einsatz im Rückblick? Was hat gut funktioniert, was hätte besser laufen können?

Was gut funktioniert hat, war die Abstimmung mit der Polizei. Am Abend hat sie wieder die Federführung übernommen, sodass wir den Krisenstab nicht nachts aufrechterhalten mussten. Weniger gut: Die Polizei hat den „Tatort“ der Sichtung nicht abgesperrt, und auch wir haben das nicht gemacht. Als ich vormittags dort war, hatte die Presse ihn schon betreten. Dadurch konnten wir nicht mehr viel auswerten.

Wie kamen Sie dahinter, dass das gesichtete Tier gar keine Löwin war?

Im Laufe des Tages wurden erstmal weitere Sichtungen gemeldet. Auch unsere Feuerwehr hatte etwas beobachtet, das eine Löwin hätte sein können. Es fehlten uns aber handfeste Hinweise, dass es sich wirklich um ein Raubtier handelt. Wir haben dann auch Spurensucher beauftragt und Stellungnahmen von Zoologen erhalten. Am Morgen des zweiten Tages waren wir uns ziemlich sicher: Das ist keine Löwin.

Im Nachhinein hätten wir das etwas früher erkennen können. Der Kot eines Raubtieres riecht ganz anders als der eines Pflanzenfressers. Auch die gefundenen Haarproben sprachen nicht für eine Löwin. Mittlerweile hat auch ein Labor bestätigt, dass die Proben von einem Wildschwein stammen. Trotzdem denke ich: Der Einsatz der Polizei war gerechtfertigt.

Auch Wildschweine können dem Menschen unter Umständen gefährlich werden. In Kleinmachnow kommen sie sehr häufig vor. Wie geht die Gemeinde damit um?

Es stimmt, bei uns gibt es ein hohes Aufkommen. Wir haben eine Jagdgenossenschaft, die die Wildschweine bejagt. In bewohnten Gebieten ist das Jagen aber nur in extremen Notfalllagen erlaubt. Vom Landkreis haben wir keine Freigabe zum Schießen. Also müssen wir uns mit den Wildschweinen ein bisschen arrangieren. Allerdings habe ich in 14 Jahren als Bürgermeister in meiner Gemeinde keinen Angriff von Wildschweinen auf Menschen erlebt. In unserer Nachbargemeinde Stahnsdorf ist mal ein verirrtes Tier in einen Friseursalon gelaufen. Das hat dort alles umgestoßen, alle in Schrecken versetzt und ist dann wieder weggerannt.

Krisenbewältigung mussten Sie schon während der Corona-Pandemie leisten. Konnte die Gemeinde daraus Erkenntnisse ziehen, wie sich Arbeitsabläufe in solchen Situationen verbessern lassen?

Wir haben jetzt verbesserte Informationsketten. Von den wichtigsten Ansprechpartnern liegen nun auch die privaten Telefonnummern und Handynummern vor, um im Notfall darauf zurückgreifen zu können. Wir arbeiten auch mit dem Landkreis zusammen an einer Aufstellung für Katastrophenfälle. Zum Beispiel werden wir Satellitentelefone anschaffen, damit wir auch intern kommunizieren können, wenn es einen Stromausfall gibt.

Sie sind seit 2009 hauptamtlicher Bürgermeister von Kleinmachnow. Können Sie sich an ähnliches Ereignis erinnern?

Große Presseaufmerksamkeit hatten wir tatsächlich schon einmal. Das war 2015. Bei Umbauarbeiten in einem Kindergarten ist ein zugebauter Tresor gefunden worden. Darin befand sich eine Goldmedaille von den Olympischen Spielen 1932. Es stellte sich heraus, dass hier ein Olympiasieger gewohnt hat. In den 1940er Jahren ist er überstürzt aus der sowjetischen Besatzungszone geflohen, dabei blieb die Medaille im Tresor. Wir haben dann seine Erben gefunden. Die Geschichte hat das mediale „Sommerloch“ gefüllt, damals haben sich auch überregionale Zeitungen und zwei, drei größere Fernsehsender bei uns gemeldet.

weiterführender Artikel