Alle Zeichen auf Grün!
Schlange stehen an einer Fahrradampel, Schlendern durch autofreie Gassen, lebendige Plätze statt Blechlawinen und Gemüsebeete in kleinen Schrebergärten: Wer heute durch Paris wandert, sieht eine ganz andere Stadt als noch vor zehn Jahren. Die Transformation der französischen Metropole ist frappierend. Paris mag wunderschön, mag die Stadt der Lichter sein, eine Stadt mit vielen Grünflächen war sie nie. Und das hatte schwerwiegende Folgen: Wiederholt gab es in den vergangenen Jahren Smog-Alarm und Fahrverbote, im Sommer kühlen die Steinfassaden nachts kaum ab. Die Verschmutzung durch Feinstaub erreicht regelmäßig das Dreifache der zulässigen Menge. Klimaschutzorganisationen wie Respire (deutsch: Atmen) oder Écologie sans frontière (deutsch: Ökologie ohne Grenzen) versuchen seit Jahren sogar gegen den Staat vorzugehen, um die Verbesserung der Luftqualität einzuklagen.
Autoverkehr drastisch reduzieren
Die seit 2014 amtierende, sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat immer dafür plädiert, den Autoverkehr drastisch zu reduzieren, Dieselfahrzeuge zu verbannen und den Ausbau von Fahrradwegen massiv voranzutreiben. Viele haben sie für diesen Mut bewundert, für andere wurde sie zu einer regelrechten Hassfigur, die Autofahrer gängele und kompromisslos ihre Ideen durchsetze. Tatsächlich hat sie ihre Politik stets als alternativlos präsentiert, sofern Paris in Zukunft noch bewohnbar bleiben soll. Aber trotz großer Widerstände hat sie in diesem Frühjahr bewiesen, dass man trotz einer expliziten Anti-Autopolitik Wahlen gewinnen kann. Oder vielleicht sogar gerade deshalb?!
Pandemie macht Tempo
Denn viele Franzosen wünschen sich radikalere Schritte in der Klima- und Umweltpolitik. In einer Umfrage des deutsch-französischen Fernsehsenders Arte sagten 92 Prozent der Franzosen, man müsse radikal sein, um das Klima zu retten. Auf deutscher Seite waren damit nur 62 Prozent einverstanden. Sicher ist, Frankreich hat beim Thema Energiewende und Klimaschutz gemessen an Deutschland Nachholbedarf, sei es beim Anteil von erneuerbaren Energien, bei der Mülltrennung oder in puncto Gebäude-Isolierung. Doch immerhin scheint die Dringlichkeit zum Handeln in der Bevölkerung angekommen zu sein. Alle Parteien haben mittlerweile das Thema für sich entdeckt, zumindest da, wo es für die Wählerschaft nicht allzu sehr schmerzt.
Denn man darf keinesfalls vergessen, wie sehr die Themen Ökologie und Klimaschutz die französische Gesellschaft spalten. Die geplante Erhöhung der Kraftstoffsteuer war der Stein des Anstoßes für die Gelbwestenbewegung. Eine Bewegung, welche die Gräben innerhalb der französischen Gesellschaft massiv zum Vorschein brachte. Während Städter auf öffentlichen Nahverkehr und ausgebaute Fahrradwege ausweichen können, gibt es für Bewohner periurbaner und ländlicher Gebiete häufig gar keine Alternative zum Privatfahrzeug, weil immer weniger Schulen, medizinische Versorgung und Einzelhandel in kleinen Kommunen vorhanden sind. Für diese Teile der Bevölkerung mag deshalb die Vision einer „Stadt der 15 Minuten“ wie ein Leben auf fremden Planeten klingen.
Reduzierte Mobilität
Genau dieses Leben aber schwebt Anne Hidalgo vor, die sich in diesem Jahr die Grünen ins Boot geholt hat: Alles Wichtige soll für Pariser und Pariserinnen in 15 Minuten zu Fuß erreichbar sein, Einkaufen, Arztbesuch, Parks oder aber die Möglichkeit, einen Coworking-Arbeitsplatz zu nutzen, um nervige Anfahrtswege zu sparen. Das Konzept setzt nicht nur auf andere Formen von Mobilität, sondern schlicht auf deren Reduzierung. Damit bestünde weniger Bedarf an Parkflächen und Straßen. In diesem Zuge sollen auch Lieferketten reduziert werden und städtische Küchen und Schulkantinen nur mit regionalen Produkten beliefert werden. Alles ferne Zukunft? Hidalgo glaubt Nein!
Nun haben zwei Ereignisse der jüngeren Geschichte ihre Pläne enorm beschleunigt: Zum einen stiegen während der wochenlangen Streiks gegen die Rentenreform vor knapp einem Jahr viele Pariser gezwungenermaßen aufs Fahrrad um. Zum anderen bevorzugen seit der Corona-Krise viele, sich mit dem Rad oder Roller – statt gedrängt in der Metro – fortzubewegen.
So fern muss die grüne Zukunft für Paris also gar nicht sein. In den acht Wochen der Corona-Ausgangssperre, als die Natur die menschenleere Stadt wieder zurückeroberte, bekam man eine Ahnung, wie Paris eigentlich sein könnte. Es war – mehr als je zuvor und trotz Corona – eine wunderschöne Stadt.