Auf Tuchfühlung
In Dormagen gibt es – wie in vielen anderen Kommunen auch – öffentliche Fraktionssitzungen, Stadtteilgespräche oder Aktionswochen. Die konkreten Themen werden jeweils von den Fraktionen und Ratsmitgliedern vorgegeben. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind Zuhörer oder kommen mit ihrem Anliegen in die offiziellen Bürgersprechstunden der Parteien. Alles demokratische Bausteine, die für Transparenz und Teilhabe stehen.
Wirkungsvolle Idee
Vor drei Jahren hatten die Dormagener Sozialdemokraten eine simple, aber außerordentlich wirkungsvolle Idee. Sie drehten den Spieß um und lassen sich seitdem einmal im Jahr selbst von den Dormagenern einladen. Bei konzentrierten Gesprächen und im direkten Kontakt erfahren sie dabei, welche konkreten Themen den Dormagenern auf der Seele brennen. Wir wollen „auf Tuchfühlung gehen“, sagt Bürgermeister Erik Lierenfeld (SPD) und nennt sein „niederschwelliges Angebot“ schlicht „Woche der Begegnung“.
Seit 2016 gibt es in der niederrheinischen Stadt, die gut angebunden auf halber Strecke zwischen Düsseldorf und Köln liegt, nun die „Woche der Begegnung“ – und bereits die Premiere 2016 war ein Erfolg. Mit einer eigenwilligen Plakataktion hatte die SPD Dormagen auf die „Woche der...“ hingewiesen, ohne genau zu verraten, um was für eine Woche es sich handelt. Das führte dazu, dass auch SPD-ferne Menschen neugierig wurden, erinnert sich Erik Lierenfeld. Der gebürtige Dormagener hatte 2014 „Haustürwahlkampf gemacht und den ganz direkten Draht zu den Menschen“ als wichtig erlebt. „Aus dem Amt heraus kann ich aber nicht mehr von Haus zu Haus gehen.“ Das wollte Erik Lierenfeld (32), derzeit einer der jüngsten Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen (NRW) kompensieren, um „das Miteinanderreden stärker in den Vordergrund zu stellen“. So entstand die „Woche der Begegnung“.
Einladungen für SPD-Ratsmitglieder
Ihr Prinzip ist unkompliziert: „Laden Sie ihre SPD-Ratsmitglieder zu sich ein“, postet der Dormagener Bürgermeister auf Facebook. Egal ob Fußballmannschaft, Seniorenheim, Alleinlebende, Familien oder Kegelclub. Es genügt ein Anruf im Rathaus und man darf sich wünschen, wer kommen soll. Bei jedem dieser Besuche geben die Bürgerinnen und Bürger das Thema für den Dialog vor – und nicht umgekehrt. „Alles wird persönlich, im geschützten Raum besprochen – ganz ohne Presse, das ist uns wichtig.“ Es gab Einladungen zu Gesprächen am Kaffeetisch, im Verein oder bei Bürgerinitiativen. Dabei ging es um neue Baugebiete, sanierungsbedürftige Radwege, Busfahren für Rollator-Nutzer, ein Kino, das geschlossen werden sollte, oder Radler in der Fußgängerzone. Aber nicht nur.
Nachhaltig beeindruckt hat den Bürgermeister eine ältere Dame, die Probleme mit dem Amt hatte wegen ihrer Sozialleistungen. „Sie hatte uns eingeladen, weil sie Hilfe suchte und jemanden zum Reden brauchte“, so Erik Lierenfeld. Der Vereinsamung entgegenzuwirken, das sei ein Impuls, den er aus dieser Begegnung mitnehme. „In der Woche der Begegnung unmittelbar erleben, wie es den Menschen in unserer Stadt geht. Dieses Spannungsfeld zu sehen und zu spüren, das stärkt auch die Demokratie.“ Wer kenne heute noch seine Nachbarn?, fragt Erik Lierenfeld – auch das ist für ihn ein Fazit aus der Begegnungswoche. „Den Wert des Miteinanders wieder schätzen, ist auch Demokratie. Wir können Gesellschaft nur miteinander gestalten“
„Immer ansprechbar“
Der Stadtverbandsvorsitzende Carsten Müller (SPD) ist Mitinitiator der Begegnungswoche. Für ihn ist sie deshalb eine spannende Idee, weil sie ein Versprechen aus dem Wahlkampf weiterführt: „Wir sind für die Dormagener immer ansprechbar, auch wenn kein Wahlkampf ist.“ Weil sich die Bürgerinnen und Bürger in der ersten „Woche der Begegnung“ einen geselligen Infostand gewünscht hatten, wird seitdem in der Mitte der Woche auf dem Ratshausplatz gegrillt. Für die Initiatoren gehört das gemeinsame Bratwurstessen – Sommer wie Winter – zum direkten Dialog. „Politik zum Anfassen“ nennt es Carsten Müller.
Gemeinsam mit zwei SPD-Stadträten war Carsten Müller auch bei der jüngsten „Woche der Begegnung“ von der Zonser Kirchengemeinde zur Bittprozession eingeladen worden. Zons mit seiner mittelalterlichen Zollfeste ist ein Stadtteil von Dormagen. „Ich habe den stillen Gang in den frühen Morgenstunden genossen.“ Und beim anschließenden Frühstück gab es – wie erhofft – gute Gespräche. „In den unmittelbaren Begegnungen macht Politik richtig Spaß.“ Für Erik Lierenfeld war der Besuch bei der Frauenberatungsstelle oder bei der Tafel ein Erlebnis. „Hinter die Kulissen schauen und das Spannungsfeld erleben. Wenn wir als Politiker wissen wollen, wie es den Menschen geht, müssen wir die ungeschminkte Wahrheit sehen.“ Für Dormagens Stadtchef steht – nicht nur in der „Woche der Begegnung“ – über allem der Dialog, „der ist in einer Demokratie ganz entscheidend“. „Uns gegenseitig zuhören, nur so können wir die Demokratie verteidigen und für die Zukunft gerüstet sein.“
ist Journalistin, Audio-Biographin und Coach. Lebt in Troisdorf bei Köln, arbeitet seit 1996 frei für den Öffentlich-Rechtlichen Hörfunk (WDR5) und schreibt regelmäßig für die DEMO. Homepage: www.rhein-reden.de