Das Trauma des Holocausts mit Freundschaft überwinden

Seit dem Jahre 1980 sind die einstige Bergbaustadt Kamen und die Touristenmetropole Eilat Städtepartner. In Israel war die Kooperation zunächst umstritten. Doch trotz mancher Widrigkeiten hat sie sich bewährt.
von Silke Hoock · 22. November 2016
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Kamen ist eine Stadt am Rande des Ruhrgebietes. Auf den na­tionalsozialistischen Teil ihrer Vergangenheit stößt man an vielen Stellen im Stadtgebiet. Ein Mahnmal weist auf die zerstörte Synagoge hin. Zahlreiche im Straßenpflaster eingelassene Stolpersteine – kleine Gedenktafeln aus Messing vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der NS-Opfer – erinnern an jüdisches Leben und an die ausgelöschte jüdische Gemeinde. Heute setzt Kamen aktiv auf Versöhnung mit den Nachkommen der Opfer. Denn die Stadt an der Seseke und Eilat am Roten Meer in ­Israel sind Städtepartner – und Freunde geworden.

Beitrag zu Aussöhnung

„Die Partnerschaft mit Eilat ist sehr wichtig. Sie trägt bei zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden und zur Normalität im Umgang“, sagt Kamens Bürgermeister Herrmann Hupe. Der SPD-Politiker hat im Jahre 1980 eine Schülergruppe des Städtischen Gymnasiums Kamen bei ihrem ersten Besuch in Eilat begleitet. „Ich war Lehrer“, berichtet er, „außerdem war meine Mutter Jüdin und daher war ich sehr daran interessiert – vor allem an der Aussöhnung.“

Dass es überhaupt dazu kommen konnte, war nicht selbstverständlich. In den 70er Jahren, als die ersten Kamener Jugendgruppen und Sportdelegationen nach Eilat reisten und Kontakte zu israelischen Gruppen knüpften, war das Trauma, das der Holocaust verursacht hatte, noch zu nah. Die systematische Vernichtung der Juden durch Deutsche schien keine Freundschaft zuzulassen.

Heftige Debatten im Eilater Stadtrat

Als im Jahre 1979 der damalige Kamener Bürgermeister Friedhelm Ketteler Eilat die Städtepartnerschaft anbot, folgten heftige Debatten im Stadtrat. Viele Eilatis lehnten eine Städtepartnerschaft mit Deutschen ab. Es gab Vorbehalte, Deutsche in der eigenen Familie – zum Beispiel beim Schüleraustausch – aufzunehmen, erinnert sich Hupe. Den Sinneswandel führte schließlich der einstige Honorarkonsul von Deutschland in Eilat, Jacky Pri-Gal, herbei. Er gilt als Motor und Begründer der Städtepartnerschaft.

Jacky Pri-Gal, der im vergangenen Jahr im Alter von 85 Jahren verstarb, war Holocaust-Überlebender. Geboren in Rotterdam, hielt der Niederländer sich in der NS-Zeit als Jugendlicher zwei Jahre vor der Judenverfolgung versteckt und lebte in dieser Zeit in mehr als 30 verschiedenen Familien.

Die Erinnerung an das Unfassbare schwingt immer mit

Die einstige Bergbaustadt Kamen in Nordrhein-Westfalen und die Touristenmetropole Eilat (beide zählen rund 45.000 Einwohner) – seit 1980 sind sie Städtepartner. Seitdem hat es viele Begegnungen gegeben. „Am Anfang ging es um die Schuldfrage. Aber wir waren nicht schuldig. Dennoch war uns klar, dass wir die Erinnerung an das Geschehene bewahren müssen“, berichtet Hupe über viele Gespräche beim ersten Schüleraustausch.

Als die erste Delegation zum Gegenbesuch in Kamen eintraf, fuhr man gemeinsam nach Bergen-Belsen, dem einstigen KZ und heutigen Dokumentationszentrum. „Wir wollten auch an die Orte gehen, wo das Unfassbare geschehen war.“ Später wurde der Schüler­austausch ausgesetzt. Die Bilder von Raketenangriffen in Israel versetzte deutsche Eltern in Angst um ihre Kinder.

„Man hat uns nie abgelehnt”

Doch die Partnerschaft lebt. Der Freundeskreis „Shalom Eilat“ feierte gerade sein 20-jähriges Bestehen. Vorsitzender ist Dieter Drescher. Der einstige Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen organisierte den regen Austausch von Gewerkschaftsmitgliedern aus Eilat und Kamen. „Ich habe in Eilat zum ersten Mal mit Überlebenden des Holocausts gesprochen. Sie haben von Verfolgung und Zwangsarbeit erzählt. Als ich ihre Tätowierungen am Arm gesehen habe, hatte ich eine Gänsehaut“, sagt Drescher. Manfred Erdmann, Ex-Bürgermeister von Kamen (SPD), hat bei seinen vielen Begegnungen mit Israelis festgestellt: „Man hat uns nie abgelehnt.“

Allen drei hier zitierten Kamenern ist eines gemeinsam: In ihrer Kindheit wurde das Thema Holocaust verschwiegen. Hupes Mutter, jüdische Überlebende ­eines NS-Arbeitslagers, schwieg und wollte vergessen. Erdmanns Vater war „ein strammer Nazi – ich habe später den Kontakt abgebrochen“, Dreschers Vater – hat eisern geschwiegen. Alle drei Söhne haben einen anderen Weg gewählt – den der Aufarbeitung und Aussöhnung. So wie Jacky Pri-Gal, der in einem Interview sagte: „Mein Deutschland-Hass hat sich in den Wunsch nach Versöhnung verwandelt.“

Autor*in
Silke Hoock

Silke Hoock ist freie Journalistin in Dortmund.

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