Der Dorfladen kehrt zurück

MarktTreffs sind Begegnungsstätten auf dem Land. Schleswig-Holstein fördert sie seit den 1990er Jahren. Ein Erfolgsmodell, wie das Beispiel Heidgraben zeigt.
von Susanne Dohrn · 18. Mai 2021
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Moin, Manni“, so geht es in Heidgraben alle paar Minuten. „Manni“, eigentlich Manfred Langer, leitet in dem schleswig-holsteini- schen Dorf einen sogenannten MarktTreff. Wenn Läden und Gasthöfe schließen, der Arzt wegzieht, es keinen Ort der Be- gegnung mehr gibt, stirbt das Dorf. Das MarktTreff-Konzept stellt sich dieser Entwicklung entgegen, entwickelt von der Landesregierung Schleswig-Holstein und engagierten Akteuren aus der Region.

„Die Idee entstand Ende der 1990er Jahre. Inzwischen gibt es 43. Drei weitere sind in der konkreten Umsetzung, 50 könnten es werden“, sagt Ingwer Seelhoff, zuständig für das landesweite Projektmanagement. Das berät bei der Gründung, organisiert jährliche Netzwerktreffen aller Beteiligten und ist eine Informations-Drehscheibe, die dafür sorgt, dass alle an Ideen und Erfahrungen teilhaben.

Drei-Säulen-Modell

Das Projektmanagement bietet fachliche Unterstützung bei der Planung oder nutzt das weite Partnernetzwerk, um beispielsweise Kontakte mit der Kassenärztlichen Vereinigung herzustellen, wenn ein Arzt in dem Gebäude eine Zweitpraxis einrichten möchte. Seelhoff: „Die Gemeinden sind frei, für ihr Dorf die passende Lösung zu finden.“ Kein MarktTreff sei wie der andere, aber alle bauten aus drei Säulen: erstens einer wirtschaftlichen, z. B. einem Le- bensmittelmarkt oder Gasthof, zweitens aus Dienstleistungen z. B. einer Poststelle, und drittens sozialen, bürgerschaftlichen Angeboten wie einem Seniorentreff. Das Land fördert Planung und Bau mit maxi- mal 750.000 Euro. Besteht ein MarktTreff zwölf Jahre, kann die Kommune den Zuschuss vollständig behalten. Den Betrieb und Unterhalt muss sie selbst finanzieren.

Idealerweise liegen sie mitten im Dorf, wie das Klinkergebäude in Heidgraben mit seinen rot-weißen Sonnenschirmen, Bänken und Blumenbeeten. Drinnen befinden sich ein gut sortierter Supermarkt, eine Bäckerei mit Kaffee-Ausschank, eine Büchertauschecke mit Tischen zum Klönen, ein Veranstaltungsraum für etwa 40 Personen mit bodentiefen Fenstern und ein Friseur-Salon. Eröffnet wurde er 2014.

„Drei Millionen Euro haben Bau und Kauf des Grundstücks gekostet“, sagt Bürgermeister Ernst-Heinrich Jürgensen (SPD). Viel Geld für ein Dorf, das nicht mehr als 2.700 Einwohnern zählt.

Unser Dorf, unser Laden

Die Kosten der Einrichtung hat die Bürgergenossenschaft MarktTreff Heidgraben übernommen. Sie gab Anteilsscheine zum Stückpreis von 100 Euro aus und nahm einen Kredit auf. „Die Gemeinde zahlt eine monatliche Miete, mit der die Genossenschaft den Kredit abbezahlt und Anteilseigner, falls gewünscht, ausbezahlen kann“, erklärt Hans-Peter Ebeling vom Vorstand der Bürgergenossenschaft. Die Verwaltung profitiert, weil die Genossenschaft flexibler auf Anforderungen reagieren kann als die Kommune. So musste sie etwa die Investitionen für den Innenausbau nicht ausschreiben, weil die Genossenschaft die Kosten übernahm.

Für die Heidgrabener ist der Markttreff dank der Genossenschaft „ihr“ Laden, so der Bürgermeister.„Ein MarktTreff funktioniert nur, wenn die die Chemie zwischen Dorf und Markt- leiter stimmt“, weiß Projektmanager Seelhoff.

So wie bei Manni, obwohl ihm der Job nicht in die Wiege gelegt war. Der gelernte Koch und Kaufmann führte eine Druckerei, als der damalige Bürgermeister Udo Tesch (SPD) ihm die Stelle anbot, war aber als Mitglied des Sportvereins, der Freiwilligen Feuerwehr, der AWO und der Liedertafel gut vernetzt. Manni sagte zu, übergab seinen Betrieb an den Sohn, startete mit Mitte 50 nach dem Motto „Ravioli-Dosen verkaufen kann jeder“ neu und sammelt seitdem immer neue Erfahrungen: Der Lebensmittellieferant musste gewechselt werden. Der Brötchenverkauf am Sonntag lohnte sich nicht, eine Eisdiele machte Verluste.

Mit Corona kamen neue Herausforderungen. Café, Klönecke und Veranstaltungsraum sind geschlossen. Die Umsätze mit Familienfeiern, Catering und Frühstückstreffen fehlen. Marktleiter Manni schuf Ersatz: Jetzt kocht er fünfmal die Woche einen Mittagstisch zum Abholen: meist heimische Gerichte, einmal die Woche Eintopf, einmal vegetarisch, freitags Fisch. Bis zu 50 Essen verkauft er pro Tag, so dass der corona-bedingte Verlust wieder ausgeglichen werden konnte.

„Der Entwicklung des Dorfes hat der MarktTreff einen Schub gegeben“, sagt der Bürgermeister. Neue Wohngebiete sind entstanden und das Unternehmen floriert. Sobald wieder Begegnungen möglich sind, werden die Tische des Cafés wieder besetzt sein. Jürgensen: „Die Leute haben Sehnsucht nach Kontakt.“

 

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