Die Kommune muss den ersten Schritt machen
Bürgerbeteiligung wird für Kommunen zur wachsenden Herausforderung. Um die Einwohnerschaft über alles auf dem Laufenden zu halten und Protesten vorzubeugen, nutzen die Kommunen viele Kanäle – klassische wie das Amtsblatt, aber auch Social Media sowie ihre Internet-Auftritte. Zwar kommen immer mehr Ratgeber zum Thema „So-geht-Bürgerbeteiligung“ auf den Markt, Berater und speziell geschulte Mediatoren bieten ihre Dienste an. Zugleich geben aber auch Bürgerinnen und Bürger inzwischen ihre Meinung über so viele Kommunikationskanäle kund, dass die Verwaltung und die Kommunalpolitik mit dem Einsammeln und Reagieren nicht hinterherkommen.
Offizielle und inoffizielle Beteiligung
Bürgerbeteiligung zerfleddert heutzutage in offizielle und inoffizielle Foren. Es gibt auf Facebook oder Twitter Seiten, die den Ortsnamen tragen – aber nicht von der Kommune betrieben werden. Die Wirkung der inoffiziellen Foren sollte für das Meinungsbild zu einem strittigen kommunalen Thema indes nicht unterschätzt werden, sagen Experten.
Redaktionell hat die Kommune in diesen Fällen keinen Einfluss auf die Posts, auch wenn der Name der Facebook-Seite dies nahelegt. In den Kommentaren wird die Rathausspitze gelegentlich heftig kritisiert, wenn nicht sogar beleidigt. Nimmt der Bürgermeister Stellung zu einem Vorwurf gegen ihn, kann der Verwalter der Seite diesen Post einfach löschen. Das ist die Konsequenz, wenn sich eine Kommune ihren Ortsnamen bei Facebook nicht rechtzeitig gesichert hat.
Analoge Ansprache bleibt wichtig
Martin Müller tritt im Oktober für die SPD bei der Oberbürgermeisterwahl in der Stadt Göppingen (Baden-Württemberg) an. Der 58-Jährige berät seit vielen Jahren Kommunen in der Bürgerbeteiligung und coacht Jugendgemeinderäte. Seine Erkenntnis aus jüngster Zeit: „Je digitaler die Kommunikation vor allem jüngerer Bürger wird, umso analoger muss die Kommune auf die Entwicklung reagieren.“ Sie dürfe die inoffiziellen Internetforen zwar nicht ignorieren. Doch Kritiker eines Projekts wird sie im Netz selten überzeugen, auf die offizielle Seite einer Bürgerbeteiligung zu wechseln.
Die Mitarbeiter der Verwaltung müssen daher raus auf die Straße, in die Wohnquartiere, an die Wohnungstür, so lautet die Schlussfolgerung. Sie müssen dorthin, wo sich die Menschen treffen. Das kann ein Bürgerbüro sein, ein beliebtes Café, oder eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung in einer Halle. Doch nicht jedem Mitarbeiter einer Fachabteilung liegt das direkte Gespräch. Hier können externe Dienstleister unterstützen, damit die Kommunikation gelingt.
Anders als mit der analogen Suche werden kaum neue Bürger für die Beteiligung gefunden, bestätigt Hanns-Jörg Sippel, Vorsitzender des Netzwerks Bürgerbeteiligung in Bonn. „Die Verwaltung darf nicht warten, bis sich der Bürger in ihre Richtung in Bewegung setzt“, weiß er. Sie müsse den ersten Schritt machen.
Früher war das einfacher: Fast jeder hat eine Lokalzeitung gelesen. Später kam das Internet als alternative Kommunikationsplattform hinzu. Heutzutage gibt es viele Menschen, die kaum die Lokalzeitung oder das Amtsblatt lesen und auch selten auf der Internetseite der Kommune vorbeischauen. Sie folgen in der Regel auch nicht deren Facebook-Seite. Das ist nach Überzeugung von Müller und Sippel die erste Herausforderung, um einen Prozess zur Bürgerbeteiligung überhaupt erst in Gang zu setzen: Wie ruft man die Einwohner zur Teilnahme auf, die weder die traditionellen Medien, noch die digitalen Angebote der Kommune als Informationsquelle nutzen?
Experten: Hingehen zu den Bürgern“
Eine klassische (schriftliche) Einladung mobilisiert immer die gleichen Einwohner. Das ist für die Experten der Grund, warum in den Foren und Arbeitskreisen meistens dieselben Personen sitzen. Egal welches Thema debattiert wird, die Mitarbeiter der Verwaltung können sich ungefähr vorstellen, wer kommen und seine bereits bekannten Stellungnahmen abgeben wird. Neue Impulse gehen von diesem Teilnehmerkreis kaum noch aus.
Hingehen zu den Bürgern, das ist der eine Expertenrat. Ehrlichkeit zu demonstrieren, lautet der andere. „Die Beteiligten in der Verwaltung müssen Haltung zeigen. Sie müssen Bürgerbeteiligung wirklich wollen“, sagt dazu Müller. Sippel spricht von „Vertrauen aufbauen. Das ist entscheidend.“ Mit Bürgerbeteiligung, die als Pflichtübung wahrgenommen werde, erreiche eine Kommune selten ein gutes Ergebnis. Es sei ebenfalls entscheidend, als Verwaltung Geduld zu zeigen. Kontakte zu Bürgern zu knüpfen, das benötige Zeit – manchmal sogar mehrere Jahre. Die Kontaktsuche dürfe jedenfalls keine Einmalaktion bleiben. Gelingt ein klassisches Kennenlernen, werde das Internet zu einer guten Beteiligungsform. „Die Bindung wird über reale Treffen aufgebaut“, betont Sippel. „Das nächste kann im Internet stattfinden. Später folgt dann ein reales Treffen.“
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu