„Die Logik des Marktes folgt nicht den Bedarfen“

Die Wohnungsnot in vielen Städten ist groß. Was können Kommunen tun, um sie zu lindern? Welche Handlungsmöglichkeiten haben sie? Und in die Zukunft geblickt: Wie sehen neue Wohnformen in einer lebenswerten Stadt aus? Ein Gespräch mit Expertin Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik
von Karin Billanitsch · 21. Oktober 2020
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Frau Pätzold, in welcher wohnungspolitischen Situation befinden sich die Kommunen gerade?

Da gibt es natürlich sehr große Unterschiede. Es existieren Kommunen mit entspannten Wohnungsmärkten und Leerständen genauso wie die mit Wohnungsmangel, die unter dem Zuzug ächzen. An sich haben wir bundesweit genügend Wohnungen, sie sind nur eben falsch verteilt.

Sehen Sie dauerhafte Auswirkungen von Corona auf die Stadtentwicklung? Werden andere Prioritäten gesetzt werden?

Es werden momentan viele unterschiedliche Szenarien zu diesen Auswirkungen skizziert. Darunter sind Vorstellungen einer disruptiven Veränderung, die alles bisher Gedachte auf den Kopf stellt, genauso wie Ansichten, dass sich grundlegend nichts ändern wird. Die Dauer der Krise ist ein wesentliche Faktor, ebenso die wirtschaftliche Entwicklung: Wohnungsbau und Stadtentwicklung haben auch etwas mit Geld zu tun.
Viele der Projektionen bleiben relativ linear: Alle haben erlebt, wie schön das im Homeoffice ist, und folgern also, wir brauchen weniger Büroflächen in der Stadt und es müsse nicht jeder in die Kernstadt ziehen, sondern kann auch in der Uckermark wohnen. Andere haben ihre Wohnung als unwirtlich empfunden und erlebt, wie wichtig grüne Freiräume sind. Die Summe solche Einzelfacetten ist aber keine hinreichende Grundlage für Zukunftsaussagen.

In den vergangenen Jahren haben viele Städte Familien an das Umland verloren, also ist das ein Trend der sich vielleicht weiter verstärken wird, wenn es kein adäquates Wohn- und Freiraum­angebot in der Stadt gibt. Insofern verstärkt die ­Pandemie ein paar Entwicklungen.

Welche neuen Wohnformen sind im Kommen? Ich denke da an flexiblere Grundrisse, sodass Wohnen und Arbeiten besser kombinierbar sind, gemeinschaftliches Wohnen, zum Beispiel von Jung und Alt, mit gemeinschaftlichen Räumen für Kinder.

Viele Beispiele für gemeinschaftliches oder bedarfsgerechteres Wohnen gibt es schon lange, und es kommen jedes Jahr neue dazu. Sie werden meist von engagierten Gruppen initiiert, finanziert und realisiert – sind also kein reguläres Angebot des Wohnungsmarktes. Das ist ein ziemlicher Kraftakt, den nicht jedefrau und jederman(n) stemmen kann. Insofern liegt die „Dunkelziffer“ des Bedarfs nach solchen Wohnformen viel höher.

Die Frage ist doch: Warum sollten Investoren auf solche Wohnwünsche eingehen? Sie kriegen ja auch so alles los. Wie kommt also Bedarfsgerechtigkeit in den Marktprozessen zum Ausdruck? Kaum, denn es werden immer noch gern diese Mutti-Vati-Kind-Wohnungen gebaut, in denen Homeoffice am Küchen­tisch stattfinden muss. Das Gros des Neubaus stellt sich nur sehr langsam auf neue Bedürfnisse ein. Und um die vorhandenen Wohnungen umzubauen, dafür bräuchte man einen Leerstand von 20 Prozent, damit die Vermieter unter Druck stehen. Die Logik des Marktes folgt nicht unbedingt den Bedarfen. Ob sich das ändert, da mache ich ein Fragezeichen dran. Dass es notwendig wäre – das unterschreibe ich sofort.

Ließe sich das nicht durch Ausschreibungen verstärkt steuern, vor allem auf kommunalem Grund?

Das machen ja die Kommunen auch bei Konzeptausschreibungen, das sieht man schön in München, Hamburg, Tübingen und vielen anderen Städten. Doch dieser Hebel ist vergleichsweise klein. Der Anteil der jährlich hinzukommenden Neubauwohnungen ist, gemessen am Bestand, ohnehin sehr klein. Es gibt auch nicht so viele kommunale Flächen, dass dadurch ein statistisch messbarer Effekt entstünde.

Wie sehen Sie das Wohnen von morgen? Geht der Trend zu Verdichtung, zu mehr Hochhäusern oder Aufstockung – ohne die Fehler der Vergangenheit?

Die Fehler der Vergangenheit zu benennen, liegt immer im Auge des Betrachters. Alle Innenentwicklungsmaßnahmen zahlen auf das Ziel des Flächensparens ein. Das bedeutet nicht, Parks und Grünflächen zuzubauen, sondern eine bessere Ausnutzung der ohnehin schon versiegelten Areale. Hochhäuser – die Lieblinge der Architektinnen und Architekten – sehen zwar groß aus, bringen aber nicht zwangsläufig eine höhere Dichte. Es werden momentan in einer Reihe von Städten Hochhausentwicklungspläne aufgelegt, aber vor einem „Sozialhochhaus“ haben doch alle Respekt. Insofern sind Hochhäuser oft eine Art „Schöner-Wohnen-im-Eigentum-Projekt“. Das Segment alleine wird aber keine signifikante Entlastung des Wohnungsmarktes bringen. Das normale Höher-Bauen, also etwa aus dreigeschossigen Gebäuden vier oder fünf Stockwerke zu machen – das läuft ja schon.

Aktuell werden in vielen Kommunen Wohnungsbaugesellschaften neu gegründet oder neu strukturiert, um mehr selbst bauen zu können, um dem Wohnraummangel zu begegnen. Ist das ein guter Weg?

Mit einer kommunalen Gesellschaft hat die Kommune ein Instrument, um ihre wohnungspolitischen Ziele direkt umzusetzen. Das öffnet andere Spielräume, denn mit den privaten Wohnungsunternehmen müssen Verhandlungen geführt werden, und dann stehen unter Umständen gegensätzliche Interessen im Raum.

Können Kommunen so günstiger bauen?

Die Frage ist, welche Kosten man so einzusparen oder zu umgehen versucht. Das eine sind die Grundstückskosten: Wenn kommunale Grundstücke oder Grundstücke der Bundesanstalt für ­Immobilienaufgaben verfügbar sind und das kommunale Wohnungsunternehmen nicht in den Bieterwettkampf um jeden Quadratmeter eintreten muss, dann kann günstiger gebaut werden. Dann gibt es die Wohnraumförderung, die puffert auch einen Teil der Kosten ab. Und wenn die Vermietung ohne überzogene Renditevorstellungen erfolgt, dann liegt der Mietpreis – etwa in München – deutlich unter den 19 Euro, die sonst aufgerufen werden. Aber selbst wenn alle Möglichkeiten des ­kostenbewussten Bauens umgesetzt werden, kann die Kostenmiete im Neubau nicht auf 3,50 Euro gesenkt werden. Eine Wohnungsbaugesellschaft ist keine wundersame „Kostensparmaschine“, sie muss einfach versuchen, an verschiedenen Stellen die Kosten zu beherrschen.

Wie können die Kommunen den ­Mietenanstieg bremsen?

Das eine ist, erst einmal Transparenz über die Mietpreise zu schaffen – dazu haben die großen Städte qualifizierte Mietspiegel. Dann gibt es seit fünf Jahren die Mietpreisbremse, mit der die Neuvermietungs-Mieten begrenzt werden können. Die Neuvertragsmiete darf höchstens 10 Prozent über dem Mietspiegel bzw. der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Um an die Mietpreise im Bestand heranzukommen, hat Berlin gerade den Mietendeckel eingeführt. Neben einer Mietobergrenze werden die Mieten für fünf Jahre eingefroren. Ein wesentlicher Beitrag zur Marktentspannung ist aber der Wohnungsneubau. Wenn mehr Wohnungen angeboten werden, dann – so die Logik – sinkt der Wettbewerbsdruck. Damit kann das Korrektiv der Nachfrage wirken und nicht jeder hohe Mietpreis muss akzeptiert werden.

Käme es in Betracht, Investoren dazu zu zwingen, schneller zu bauen?

Das setzt ja erst einmal die Annahme voraus, dass Investoren bewusst den Bauprozess verzögern würden – was nicht die Regel ist. Anders gelagert sind die Fälle, in denen baureife Grundstücke weiterverkauft werden, der Gewinn ­also nicht aus dem Hochbau, sondern aus der Wertsteigerung des Grundstücks gezogen wird. Oder wenn Eigentümer/Investoren lange abwarten – das geht von sogenannten Enkelgrundstücken bis zu Konflikten mit der Stadt über die zukünftige Bebauung bzw. Nutzung. Es ist schwierig, rückwirkend gesetzliche Regelungen zu erlassen, aber es ist natürlich möglich Baugenehmigungen zu befristen. Zwangsmaßnahmen zur ­Mobilisierung von Grundstücken, wie das Baugebot, müssen dagegen politisch durchgehalten werden – und schnell ­gehen solche Verfahren sicher nicht.

Sind es viele Grundstücke, die so in der Schwebe gehalten werden?

Im Bauüberhang sind schon einige. Was aber schwerer wiegt ist, dass es sich zum Teil um Schlüsselgrundstücke in den ­Innenstädten oder Stadtteilen handelt. Bei der Realisierung geht es so nicht nur um den Beitrag zum Wohnungsbau, sondern auch um die Qualitäten der ­Innenentwicklung. Diese ­innerstädtischen „Goldbrachen“ einer Entwicklung zuzuführen, die einen Beitrag für die Um­gebung leistet ist ein wichtiges Ziel.

Wie können wir denn auf 15, 20 Jahre gesehen idealerweise genügend Wohnraum schaffen?

Ich komme noch einmal zu meinem Anfang zurück: Wir haben ja eigentlich genügend Wohnraum. Es geht um die Balance aus Freizügigkeit der individuellen Wohnstandortwahl und der Förderung von Bleibe- und Zuzugsperspektiven auch in den Bereichen außerhalb der Großstadtregionen. Und in den Städten heißt es, diesen Umbau mit allen Wohnungsmarkt-Akteuren gemeinsam zu schaffen, ganzheitlicher zu denken. Kluge Grund­risse, bezahlbares Wohnen – das geht ­alles nicht schnell. Es braucht eine langfristige Strategie, die nicht nur darauf baut, in den nächsten vier Jahren dieses oder jenes Förderprogramm mitzunehmen. Es darf nicht immer nur den Fokus auf ein Thema geben – vielmehr muss das Verständnis, wie zeitgenössisches Wohnen geht, viel breiter diskutiert werden. Es wird schließlich an der Zukunft gebaut.

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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