Die MUT-Macherinnen
„Wir gehen doch nicht in Männerzirkel, wenn wir die Frauen erreichen wollen“, entrüstet sich Ellen Rublow fast ein wenig. „Nein, wir wollen, dass sich die Frauen selbst entscheiden können. Selbstbestimmt und ohne Druck.“
Die Frage danach, wie die Teams vom Dachverband der Migrantinnenselbstorganisationen (DaMigra e. V.) jene Frauen aus dem Iran, aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea oder anderen Ländern finden, auf denen der Fokus ihres Tuns liegt, war denn etwas unglücklich gestellt. Doch fraglos ist das auch nicht ganz leicht. Denn die meisten Migrantengruppen und -netzwerke in Deutschland seien nun einmal männerdominiert, räumt auch Ellen Rublow ein. „Anfangs gingen wir in Aufnahmeeinrichtungen und kontaktierten sie hier direkt“, erzählt sie. Inzwischen spreche sich ihre Arbeit aber auch herum, freut sich die DaMigra-Standortkoordinatorin für Magdeburg und Halle. Ihre regionalen „MUT-Workshops” seien gut besucht.
Potenzielle Hindernisse werden aus dem Weg geschafft
Damit dies so ist, und zwar ganz unabhängig vom möglichen (Un)Willen der Männer, denken die MUT-Macherinnen von vornherein pragmatisch: Man übernimmt die Fahrtkosten und sorgt während der Seminare für die Kinderbetreuung. Es dürfe halt „nie ein Problem daraus entstehen, wenn sie zu uns kommen wollen“, fügt die Hallenser Standortmitarbeiterin Dr. Ceren Deniz hinzu. Auch am Geld solle der Besuch nicht scheitern. „Zudem arbeiten wir konsequent in ihrer Sprache, haben ausreichend Dolmetscherinnen, damit die Frauen wirklich auch das letzte Detail verstehen.“
Bereits seit 2016 organisiert der in Berlin ansässige DaMigra e. V. jene Mut machenden Programme. Nach „MUT 3.0. Seid mutig. Geht neue Wege“ (2021/22) startete soeben „Gemeinsam MUTig“. Maßgeblich gefördert werden die Projekte durch die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, seit 2021 also die SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan, deren Eltern auch aus dem Irak stammen.
Lobbyistinnen für Frauen mit Migrationsgeschichte
In ihrer Netzwerkarbeit bauen die Frauen dabei vor allem auf bestehende lokale Gruppen und Initiativen. „Wir bündeln diese, fördern sie und qualifizieren sie weiter“, so Ellen Rublow, die einst aus der Ukraine nach Deutschland kam. Und zugleich wolle man „die Interessen von Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte bei politischen Entscheider(inne)n auf Bundesebene hörbar und sichtbar machen“, benennt Dr. Delal Atmaca einen wichtigen Punkt ihres Wirkens.
Die Berlinerin mit türkischen Wurzeln hat einst den Dachverband mitgegründet und leitet ihn nun als Geschäftsführerin. Aus eigenem Erleben weiß sie, dass „nach wie vor die gleichberechtigte Teilhabe und Chancengerechtigkeit abhängig von Zugehörigkeiten und Identitäten ist“. In ihren Augen ist das ein Demokratie-Defizit, das es abzubauen gelte.
Ein Ziel: geflüchtete Frauen aus der Isolation holen
Mit den MUT-Projekten wolle man geflüchtete Frauen informieren, beraten, bilden und begleiten, um so ihre gesellschaftliche Teilhabe zu unterstützen, erzählt Ellen Rublow. „Denn sie leben in einem Land, in dem man sie oft nicht als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft wahrnimmt.“ Es mangele diesbezüglich auch in Deutschland noch an Toleranz. Hierbei bediene man sich dann bewusst der Erfahrungen von Frauen mit Migrationsgeschichte, die schon länger in Deutschland leben. Diese agieren dann als die eigentlichen MUT-Macherinnen beziehungsweise Brückenbauerinnen.
Ziel sei es stets, geflüchtete Frauen „aus der Isolation zu holen und sie in die Lage zu versetzen, in ihrem neuen Umfeld ein selbstbestimmtes Leben zu führen“, so Dr. Ceren Deniz. Denn oft wären sie in ihrer Heimat bereits gut ausgebildet worden, aber Kriege hätten ihnen alle Chancen genommen. So gehe es in den MUT-Seminaren auch maßgeblich um den Zugang zum deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Weitere Themen seien die Kindererziehung, das Schulsystem, das Wohnrecht, die Rolle der Frau und wie überhaupt die deutsche Gesellschaft funktioniere.
„Diese Workshops bilden zugleich einen Schutzraum, in dem wir eine Vertrauensatmosphäre schaffen, in der sich die Frauen ohne Druck öffnen können“, berichtet Ellen Rublow. Und da es sich stets um international gemischte Gruppen handelt, bemerke sie immer wieder, „wie schnell dann alle eine gemeinsame Sprache finden, etwa kürzlich bei einem Treffen afghanischer und ukrainischer Frauen“. Erscheinen dann nach und nach einzelne Frauen nicht mehr, freut das die MUT-Macherinnen: Es ist für sie ein gutes Zeichen, dass diese Arbeit gefunden oder eine Ausbildung begonnen haben: „Ziel erreicht – sie sind selbstständig geworden“, schmunzelt die Standortkoordinatorin. Aber manche Migrantin sage auch: „Wenn ich es nicht mehr schaffe, schafft es meine Tochter …“
Mehr Informationen:
damigra.de
Harald Lachmann
ist diplomierter Journalist, arbeitete zunächst als Redakteur bei der Leipziger Volkszeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, und schreibt heute als freier Autor und Korrespondent für Tages-, Fach- sowie Wirtschaftszeitungen. Für die DEMO ist er seit 1994 tätig.