Ein Quantensprung für den öffentlichen Nahverkehr

Rheinland-Pfalz will mit einem neuen Gesetz für landesweite Mindeststandards sorgen – Ziel ist ein einheitlicher Tarif
von Irmela Heß · 4. Dezember 2020
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Es soll ein Quantensprung für den Nahverkehr werden – mit ­anderen Finanzierungswegen und einer neuen Organisationstruktur, die unter anderem landesweit aufeinander abgestimmte Fahrpläne vorsieht: In Rheinland-Pfalz wird gerade ein neues Nahverkehrsgesetz (NVG) auf den Weg gebracht. Der Ministerrat hat den Gesetzentwurf beschlossen, noch in diesem Jahr soll der Landtag darüber entscheiden. In einem zweiten Schritt werden dann in einem neuen Landesnahverkehrsplan verbindliche Standards festgeschrieben.

Das NVG bestimmt die Art und Weise, wie der Nahverkehr im Land organisiert ist. Wesentlicher Punkt des neuen Gesetzes: Der ÖPNV soll zur Pflichtaufgabe werden, um die finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen und Kreise zu vergrößern. Das begrüßt unter anderem Michael Ebling (SPD), Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz: „Der Verbleib der Aufgabenträgerschaft bei Städten und Kreisen bei gleichzeitiger Verankerung des ÖPNV als Pflicht­aufgabe steigert die Möglichkeiten der Stadt Mainz, Verbesserungen im ÖPNV leichter angehen zu können. Dies ist wesentlich besonders im Hinblick auf Finanzierungsfreigaben, die unter dem Vorbehalt der ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz – Red.) stehen.“

„Rechtliche Aufwertung“

Es sei an der Zeit gewesen für neue Regelungen, meint Michael Mätzig, seit 2018 Geschäftsführender Direktor beim Städtetag Rheinland-Pfalz: „Das bisherige Nahverkehrsgesetz stammt aus der Mitte der 90er Jahre. Seitdem haben sich die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen stark verändert.“ Das Gesetz sei eine „rechtliche Aufwertung des ÖPNV von einer freiwilligen in eine Pflichtaufgabe“. Das hatte der Städtetag schon länger gefordert: Das Kalkül: Das Land muss die Kommunen mit ausreichend Finanzmitteln ausstatten, für Aufgaben, zu denen es die Städte und Gemeinden verpflichtet.

Eine weitere geplante Neuerung ist die Neustrukturierung des Nahverkehrs, der zurzeit noch mit fünf ÖPNV-Verbünden (Straße) und zwei SPNV-Verbänden (Schiene) eher kleinteilig organisiert ist. Künftig soll es nur noch zwei neue Zweckverbände für den ÖPNV auf Schiene und Straße geben: ÖPNV RLP Nord und ÖPNV RLP Süd. Damit sollen die organisatorische Zersplitterung sowie die Trennung von Schiene und Straße aufgehoben werden. Mitglieder der Zweckverbände sind die Landkreise und kreisfreien Städte sowie das Land. Innerhalb der Zweckverbände werden vier (je zwei) Regionalausschüsse Pfalz, Rheinhessen-Nahe, Trier und Rhein-Mosel gebildet – als politisches Pendant zu den Geschäftsstellen der heutigen Verbünde. Neu entstehen soll der „Ständige Ausschuss“, ein übergreifendes koordinierendes Gremium für die fachliche Arbeit.

Welche Angebote der ÖPNV – er wird schon heute unabhängig vom NVG gemeinsam von Kommunen, Kreisen und dem Land finanziert, das ihn jährlich mit rund 500 Millionen Euro fördert – landesweit bereitstellen soll, regelt dann der Landesnahverkehrsplan. Er setzt Mindeststandards fest, die alle erfüllen müssen. Zusätzlich können Kreise und kreisfreie Städte für ihr Gebiet einen lokalen Nahverkehrsplan aufstellen. Ziel ist aber, dass alle Verkehrsangebote mit einem oder mehreren Verbundtarifen nutzbar sein sollen. Mittelfristig soll es einen Tarif für das gesamte Land geben.

Dafür müssten sich die sehr unterschiedlichen Kommunen und Kreise auf ein Grundtaktangebot einigen, sogar ein landesweites Ticket ist im Gespräch. Ein landesweites Tarifsystem hält Michael Mätzig für sehr erstrebenswert: „Natürlich wird es bei der ersten Festlegung der Standards unterschiedliche Vorstellungen z. B. zwischen den Landkreisen und den kreisfreien Städten geben. Ich nenne hier nur das Thema Mindesttaktung. Hier müssen wir aber Kompromisse finden, wenn wir den ÖPNV in Rheinland-Pfalz landesweit stärken wollen.“ Auch OB ­Ebling plädiert dafür: „Mobilität macht nicht an Verbund-, Landes- oder Stadtgrenzen halt. Ein landesweiter Grundtakt und ein landesweites Ticket sind deshalb notwendig, insbesondere um die Attraktivität des ÖPNV weiter zu stärken und mehr Pendlerinnen und Pendler zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn zu bewegen.“

Dass die ÖPNV-Nutzung irgendwann kostenlos wird, halten sowohl Mätzig als auch Ebling für unrealistisch. Was aber durchaus denkbar sei, ist ein 365-Euro-Jahres-Ticket. „Dieses Konzept halte ich für sehr vielversprechend“, sagt Ebling. „Deshalb habe ich im vergangenen Jahr die Initiative zur Stärkung und zum Ausbau des ÖPNV in der Rhein-Main-Region gestartet und ein Modellprojekt für ein 365-Euro-Jahres-Ticket für das Rhein-Main-Gebiet vorgeschlagen.“

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